Requiem für die antike Kultur

Theodosius-Hippodrom-Istanbul.jpg

Theodosius I., Hippodrom, Istanbul

(hpd) Mit dem Ende des Imperium Romanum tritt vom späten vierten Jahrhundert an ein „Kulturverfall“ ein, für den die „Völkerwanderung“ oder der „Zerfall des Imperiums“ verantwortlich gemacht werden. Rolf Bergmeier nennt die tatsächlichen Gründe: die Allianz von Christentum und Kaiser, von Kirche und Staat.

Der Bestand der antiken Literatur ist vom späten vierten in das sechste Jahrhundert im Verhältnis von etwa 1: 1.000 verfallen. Parallel nahm die Analphabetisierung der Bevölkerung und der Rückzug der Wissenschaften und Künste zu. Wo liegen dafür die Ursachen? *)

Eine historische Analyse von Rolf Bergmeier

Wie bei keinem anderen römischen Kaiser wird die Regierungszeit des Kaisers Theodosius (379-395) mit der Zerstörung der traditionellen Kultur- und Kultstätten und mit harten Eingriffen in die religiöse Freiheit des Einzelnen verbunden. Am 27. Februar 380 verkündet der Kaiser, gemeinsam mit seinen Mitkaisern Gratian und Valentinian II., im barschen Feldwebel-Ton das Religionsedikt cunctos populos, nun müsse der gesamte Erdkreis christlich-trinitarisch denken: "Die diesem Gesetz folgen, sollen die Bezeichnung katholischer Christ beanspruchen, die anderen aber, nach unserem Urteil Unsinnige und Verrückte, sollen die schimpfliche Ehrenminderung der Häresie erleiden“. Und wie beim Militär üblich folgt dem Befehl die Androhung des Rohrstockes für den Fall des Ungehorsams: „.... und sie sollen fürs erste durch ein göttliches Gericht, dann aber auch durch die Ahndung unseres richterlichen Einschreitens....bestraft werden". Kurz darauf folgt ein offener Angriff auf die Opfer: Sie sollen von nun an bei einem Tempelbesuch die Strafe der Ächtung finden, denn - so erklären die drei Kaiser - "wir wollen, daß Gott mit heiligen Gebeten geehrt, nicht mit abscheulichen Gesängen entweiht wird".

In einer unheildrohenden Alliance greifen Kaiser und Kirche zu allen erdenklichen Mitteln, um heidnische und häretische Bücher, Bilder, Statuen und Gebräuche in den Kynegion zu verbannen, jenem Ort "wohin die Leiber der Hingerichteten geworfen wurden". Es gelte, so der machtbewußte Mailänder Bischof Ambrosius, "die gottschänderischen Verirrungen abzuschaffen, die Tempel zu schließen, die Götzenbilder zu vernichten". Mit dieser gezielten, breit angelegten Zerstörung soll die Tradition der polytheistischen Kulte unterbrochen, die bekämpfte Konkurrenz einzelgestellt, die sie tragende Kultur zerstört und somit mehr Raum für die grundlegend neue Heilsbotschaft geschaffen werden. Es ist ein Vernichtungsfeldzug.

Bücherverbrennungen

Damit wird das Todesurteil über die griechisch-römische Kultur gesprochen, da diese fast immer einen Bezug zur antiken Götterwelt hat. Bücherverbrennungen werden von höchster Stelle sanktioniert und als Handlungen verstanden, die Gott fundamental befriedigen und daher den Handelnden spirituellen Nutzen bringen. Und da Bücherverbrennung Gott befriedigt, wird sie häufig vollzogen. 391 gehen in Alexandria die Bücher in Flammen auf, angeordnet vom christlichen Patriarchen Theophilos. Im Jahr 400 wird von ihm verordnet, niemand dürfe die Schriften des Origenes „lesen oder besitzen“. 409 werden die „Mathematiker“ durch kaiserlichen Erlaß verpflichtet, „ihre Bücher vor den Augen der Bischöfe zu verbrennen, andernfalls seien sie aus Rom und allen Gemeinden zu vertreiben“. Ammianus Marcellinus berichtet von der Verfolgung und Hinrichtung von Personen, denen der Besitz von Büchern mit verbotenem Inhalt vorgeworfen wird. Ihre Codices und Rollen seien öffentlich verbrannt worden. Infolgedessen seien in den östlichen Provinzen aus Furcht vor ähnlichen Schicksalen ganze Bibliotheken vernichtet worden. 446 läßt Papst Leo alle Schriften der Manichäer verbrennen, 475 werden die Bücher des Nestorius als häretisch öffentlich verbrannt, 529 läßt Kaiser Justinian den letzten Zeugen klassisch-griechischer Philosophie, die Akademie von Athen, schließen und zwingt die verbliebenen sieben Philosophen Damaskios, Diogenes, Hermeias, Eulalios, Isidoros, Priskian und Simplikius zur Auswanderung an den Hof des Perserkönigs Kosroes. 546 wird ein Lehrverbot für Nichtchristen verkündet, die Verfolgung nichtchristlicher „Grammatiker, Rhetoren, Ärzte und Juristen“ angeordnet und 562 heidnische und häretische Bücher öffentlich verbrannt. Papst Gregor (540–604) verbietet, "die Worte des göttlichen Orakels [der Bibel] den Regeln des [Grammatikers] Donatus zu unterwerfen" und untersagt den Bischöfen, antike Zitate und Grammatik zu lehren: "Ein Mund", so schreibt er in einem Donnerbrief an Desiderius, könne "nicht das Lob auf Christus mit dem auf Jupiter vereinen" und der apostolische Legat Leo, Abt von St. Bonifaz, meint: "Die Stellvertreter Petri und seine Schüler wollen ... weder Plato noch Virgil, noch Terenz, noch das übrige Philosophenvieh haben“.

Damit ist in wenigen Zügen der Weltanschauungskampf der neuen Staatskirche gekennzeichnet, der „nicht nur um den Kult und den Glauben [geführt wird], sondern um das Ganze der Kultur ging“.