CeMAS-Report:

Welche Rolle spielten Verschwörungsideologien im Wahlkampf 2021?

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Frei erfundene Zitate, Gerüchte um Briefwahl-Manipulationen: Die Bundestagswahl 2021 war von Verschwörungserzählungen und Desinformation begleitet. Doch welchen Einfluss hatten diese Interventionen auf das Wahlverhalten? Dieser Frage ist das interdisziplinäre Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) in einem aktuellen Bericht nachgegangen.

Der nun veröffentlichte CeMAS-Report untersucht auf 113 Seiten die Strategien verschwörungsideologischer Akteure und ihre Netzwerke in den Sozialen Medien sowie das Wahlverhalten der Verschwörungsgläubigen.

Nach einem kurzen, prägnanten Überblick auf die Strukturelemente von Verschwörungsideologien – etwa auf den Kampf zwischen Gut und Böse – geht die Journalistin und USA-Kennerin Annika Brockschmidt in einem Exkurs auf die Situation in den Vereinigten Staaten ein. Gerade ein Jahr ist es her, dass Donald Trump nach seiner Niederlage den Mythos von der "gestohlenen Wahl" salonfähig machte. Eine Blaupause für die Strategien antidemokratischer Kräfte in Deutschland?

Auch hierzulande kam nach der Wahl rasch der Vorwurf einer angeblichen Wahlmanipulation auf, nachdem die querdenkernahe Kleinpartei "dieBasis" nur magere 1,4 Prozent der Stimmen erhalten hatte – eigene Befragungen des verschwörungsideologischen Milieus auf dem Messengerdienst Telegram hatten zuvor Werte bis zu 30 Prozent in Aussicht gestellt; auch die AfD hat bei der Wahl erheblich schlechter abgeschnitten, als von der Anhängerschaft erhofft. Obgleich derartige Umfragen offensichtlich nicht die Stimmung in der Gesamtbevölkerung widerspiegeln, wurden die Verschwörungsgläubigen dennoch durch den vermeintlichen "Betrug" nur noch stärker zusammengeschweißt.

Telegram: Hauptkanal für Desinformation und Verschwörungserzählungen

Telegram gilt als Hauptkanal für Desinformation und Verschwörungserzählungen in Deutschland. Dementsprechend dürften hohe Zustimmungswerte für politische Kräfte mit entsprechender Agenda unter den Usern nicht überraschen. Hierzu zitiert der CeMAS-Report eine Studie der Uni Basel, bei der im vergangenen Dezember 27 Prozent der befragten Telegram-Nutzenden als bevorzugte Partei die AfD angaben, 18 Prozent "dieBasis". Lediglich 6 Prozent gaben sich als FDP-Anhänger zu erkennen, 5 Prozent bevorzugten die Linke und jeweils 1 Prozent Grüne oder CDU/CSU. Die SPD ging in dieser Befragung leer aus. 

Eine weitere einflussreiche Gruppe sind die Anhänger von QAnon. Inwieweit sie die Bundestagswahl geprägt haben, untersucht der Rechtsextremismusforscher Miro Dittrich in seinem Beitrag. QAnon, hinter diesem kryptischen Kürzel verbirgt sich eine mutmaßlich US-amerikanische Quelle von Verschwörungserzählungen mit rechtsextremem Hintergrund. Verbreitung finden die Narrative unter anderem auf einem deutschsprachigen Telegram-Kanal mit 150.000 AbonnentInnen – Fachleuten zufolge die größte derartige Community außerhalb des englischen Sprachraums. Durch ihre internationale Vernetzung werde "die Globalisierung der rechtsextremen Szene beschleunigt", so Dittrich, "und zwar deutlich schneller und effektiver als durch die Alt-Right-Bewegung noch vor einigen Jahren".

Das Medium selbst trägt das Seine zur Verbreitung der antidemokratischen Inhalte bei, wie die Kognitionswissenschaftlerin Rocío Rocha Dietz in einem weiteren Beitrag darlegt. Durch virale Sprachnachrichen verbreiten sich verschwörungsideologische Stories bis in Familienchats und Freundesgruppen, auf Telegram und hinein in andere Messenger.

Problem nicht auf Deutschland beschränkt

Das Problem ist indes nicht auf Deutschland beschränkt, so eine überraschende Erkenntnis der Untersuchung. Demnach seien sechs der zehn meistgeteilten "alternativen Kanäle" im Ausland ansässig: drei in Österreich sowie jeweils einer in Russland, der Schweiz und Ungarn.

Bleibt die Frage, mit welchen Strategien die Gesellschaft der Herausforderung begegnen solle. An erster Stelle stehen für CeMAS hier Schutz für Opfer von Schmutzkampagnen und verbesserte Kommunikationsstrategien gegen Desinformation und die Verbreitung von Verschwörungsideologien. Gleichzeitig fordern die AutorInnen des Reports weitere Forschungen, um die Dynamik des Verschwörungsglaubens besser zu verstehen. Denn das Problem werde die Gesellschaft auch nach der Wahl auf anderen Schauplätzen weiter begleiten. Co-Autorin Pia Lamberty weist darauf hin, dass die Pandemie innerhalb kurzer Zeit eine zuvor nur lose verbundene Szene zusammengekittet habe. Besondere Brisanz besitze diese Erkenntnis angesichts der Klimakrise. Auch hier könne man sich auf ähnliche Szenarien vorbereiten, so Lamberty: "von individueller Leugnung des Klimawandels über gezielte Verbreitung von Desinformation bis hin zu verschwörungsideologischer Mobilisierung."

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