Unterschätzte Gefahr: Israelbezogener Antisemitismus

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Seit dem Beginn der Terrorangriffe auf Israel verbreiten unterschiedliche Akteur:innen Desinformationen und Propagandanarrative der palästinensischen Terrororganisationen. Bestehende Feindbilder werden hierbei bestätigt und weiter ausgebaut, antisemitische Vorstellungen manifestiert und die Brutalität der Hamas wird als vermeintlicher "Freiheitskampf" oder "Widerstand" legitimiert.

Israel, der Zionismus und Jüdinnen und Juden sind dabei kein zufälliges Ziel von Verschwörungsideologien und Desinformation. In diesem Beitrag wird auf eine gefährliche moderne Form des Antisemitismus eingegangen, der auch in Deutschland viel zu lange unterschätzt blieb: der israelbezogene Antisemitismus.

Desinformationen im Kontext des Terrorangriffs der Hamas auf Israel

Viele der Desinformationen, die seit den Terrorangriffen auf Israel im Umlauf sind, finden sich in Sozialen Netzwerken. Laut NewsGuard diente hier vor allem X (ehemals Twitter) als Multiplikator – die dort verbreiteten Falschnachrichten fanden sich anschließend auch auf anderen Plattformen wie Facebook, Instagram, Telegram und TikTok.

Auch das deutschsprachige verschwörungsideologische Milieu greift die kursierenden Falschbehauptungen nicht nur wiederholt auf, es ist mitunter auch Ursprung der Desinformationen. Tradierte antisemitische Verschwörungserzählungen werden aktualisiert und auf die aktuellen Ereignisse angewandt. Israel wird in dieser Konstruktion vom Opfer zum Täter gemacht: So kursieren Erzählungen, denen zufolge die israelische Regierung im Geheimen von den Terroranschlägen gewusst und sie bewusst zugelassen haben und die Ermordung der eigenen Bevölkerung unterstützt haben soll. Dämonisierungen dieser Art unterstützen die moralische Legitimation von Gewalttaten bis hin zum als Widerstand geframten Terror gegen Israelis.

Strukturelle Parallelen von Antisemitismus & Verschwörungsideologie

Israel, der Zionismus und Jüdinnen und Juden sind nicht zufällig Ziel von Verschwörungsideologien und Desinformation. Zwischen Antisemitismus und Verschwörungsideologien bestehen strukturelle Parallelen.

  • Beide personifizieren abstrakte und vermittelte gesellschaftliche Verhältnisse, indem sie eindeutig konkret identifizierbare Menschen(-gruppen) für als negativ wahrgenommene Prozesse verantwortlich machen.
  • Dabei folgen sie einem Manichäismus, dessen Vorstellung der Welt durch eine mutmaßlich stattfindende Entscheidungsschlacht zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis gekennzeichnet ist.
  • Als drittes Strukturelement kann das Denken in identitären Kollektiven verstanden werden, demzufolge nicht Individuen bestimmte Eigenschaften besitzen – die etwa aus individuellen, sozialen und kulturellen Kontexten entstehen können –, sondern Individuen aufgrund ihrer (religiösen, kulturellen, "rassischen") Gruppenzugehörigkeit unveränderliche Eigenschaften besäßen. Verschwörungsvorwürfe ziehen sich durch alle Ausdrucksformen der Jüdinnen:Judenfeindschaft, von religiös begründetem Antijudaismus bis zu israelbezogenem Antisemitismus.

Antisemitismus verbleibt nicht im Netz

Israelbezogener Antisemitismus stellt eine besondere Herausforderung in der Antisemitismusbekämpfung dar. In ihm wird Israel als Projektionsfläche für antisemitische Einstellungen genutzt, während die Verbreitenden behaupten, lediglich "Israelkritik" zu betreiben. Anstatt israelische Politik zu kritisieren, was entgegen einer verbreiteten Auffassung nicht verboten ist, werden beim israelbezogenen Antisemitismus antijudaistische und antisemitische Stereotype aktualisiert und mit Israel verknüpft. Es ist daher besonders problematisch, wenn Desinformationen und Propaganda verbreitet und bestehende Feindbilder und antisemitische Vorstellungen bestätigt oder weiter ausgebaut werden.

Derzeit wird dies besonders bei den antiisraelischen Demonstrationen deutlich, welche die Brutalität der Hamas als vermeintlichen "Freiheitskampf" oder "Widerstand" legitimieren und die durch die Übernahme von Propaganda- und Desinformationsnarrativen weiter angeheizt werden. Die kollektive Schuldzuschreibung von Jüdinnen und Juden weltweit für die Israel vorgeworfenen Taten bedeuten eine große Gefahr für deren Leben.

Für die erste Woche nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel verzeichnete der Bundesverband RIAS 202 verifizierte antisemitische Vorfälle, die fast vollständig dem israelbezogenen Antisemitismus zuzurechnen seien. Im Vergleich zum Vorjahr bedeute dies einen Anstieg um 240 Prozent. An vielen Orten in Deutschland und weltweit steigt die Anzahl an Übergriffen, Angriffen und Bedrohungen gegen Jüdinnen und Juden.

Israelbezogenen Antisemitismus eindämmen und bekämpfen

Der größte Anschlag auf Jüdinnen:Juden seit der Gründung des israelischen Staates wird von Desinformationen begleitet, die mitunter auch vom deutschsprachigen verschwörungsideologischen Milieu aufgegriffen werden, indem die aktuellen Entwicklungen in Israel in tradierte antisemitische Verschwörungserzählungen eingeordnet werden. Die Bilder antiisraelischer Demonstrationen und Studien der Antisemitismusforschung machen allerdings auch deutlich, dass israelbezogener Antisemitismus in Deutschland eine Herausforderung für unsere postmigrantische Gesellschaft darstellt: So ist insbesondere israelbezogener Antisemitismus unter Migrant:innen aus der MENA-Region und Muslim:innen besonders verbreitet. Es ist in der Bekämpfung und Eindämmung von israelbezogenem Antisemitismus daher geboten, die bereits existierenden Maßnahmen für diese Problemlage innerhalb migrantischer und muslimischer Bevölkerungsgruppen auszubauen und zu verstetigen. Die rassistische Instrumentalisierung und Externalisierung von Antisemitismus stellen dabei keine Lösung für diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar.

Neben verstärktem Schutz jüdischer Einrichtungen und der konsequenten Strafverfolgung antisemitischer Straftaten ist auch ein entschiedeneres Vorgehen gegen die im Netz verbreiteten antisemitisch motivierten Desinformationen und Verschwörungserzählungen, welche häufig von Gewaltaufrufen gegen Jüdinnen und Juden begleitet werden, dringend nötig. Die Gefahren des lange ignorierten israelbezogenen Antisemitismus sind derzeit besonders eindrücklich. Israelbezogener Antisemitismus ist ein besonderes Problem innerhalb von Bevölkerungsgruppen mit Migrationsgeschichte – aber nicht ausschließlich: Der Diskurs auf Telegram zeigt, dass hier verschwörungsideologische und rechtsextreme Akteur:innen etablierte Feindbilder aufgreifen und verstärken. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung im Umgang mit israelbezogenem Antisemitismus.

Der gesamte Artikel mit ausführlichen Einordnungen ist auf der Website von CeMAS verfügbar.

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