Wer darf dem Papst widersprechen?

GÖTTINGEN. Nach ersten Rezensionen des Buches „Jesus von Nazareth" von Joseph Ratzinger

/ Benedikt XVI., zu denen - nach einigem Zögern - Prof. Dr. Horst Herrmann für den hpd auch seine Meinung geäußert hatte, erfolgen jetzt die Rezensionen der Rezensionen. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Beitrag von Prof. Dr. Dr. Karl Kardinal Lehmann, der als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ein besonderes Gewicht hat. Ihm antwortet - als Betroffener - Prof. Dr. Gerd Lüdemann.

 

 

Offener Brief an Kardinal Lehmann

Sehr geehrter Herr Kardinal,

in einem Gastkommentar für die Juni-Ausgabe der Mainzer Kirchenzeitung „Glaube und Leben" haben Sie meine Kritik des Jesusbuches von Benedikt XVI. in Spiegel-Online vom 26. April 2007 und die von Karl-Heinz Ohlig in der FAZ vom 7. Mai 2007 als nicht seriöse, abseitige Wortmeldungen eingestuft.

Leider begründen Sie diese schweren Vorwürfe inhaltlich mit keinem Wort und nennen auch nicht die in unseren Essays angeführten Argumente gegen den wissenschaftlichen Wert des päpstlichen Opus. Daher fasse ich meine Einwände noch einmal in zwei Punkten zusammen:

Erstens. Der Papst versieht sein Werk mit einem falschen Etikett. Die durch das Vorwort geweckte Erwartung, dass er vernünftige Gründe für die Einheit von historischem Jesus und verkündigtem Christus vorlegt, wird bitter enttäuscht. Schlimmer noch, der Papst beschäftigt sich gar nicht ernsthaft mit Jesus von Nazareth als historischer Gestalt, sondern meditiert über weite Strecken des Buches über den „Herrn".

Zweitens. Es ist ein wissenschaftlich unmögliches Verfahren, von der Glaubwürdigkeit der Evangelien auszugehen und sie als historisch einander ergänzend zu lesen, ohne zuerst plausible Argumente gegen den anders lautenden wissenschaftlichen Konsens der Forschung vorzulegen. Er lautet: „Johannes" hat das jüngste Evangelium verfasst und war ebenso wenig Augenzeuge wie die drei anderen Evangelisten, von denen gemäß der Zwei-Quellen-Theorie „Matthäus" und „Lukas" unabhängig voneinander sowohl eine Spruchquelle („Q") als auch das Markusevangelium benutzt haben.

Sie schreiben, sehr geehrter Herr Kardinal, dass das Jesusbuch Benedikts XVI. einen wissenschaftlichen Anspruch erhebe und sich wie jedes andere wissenschaftliche Werk dem akademischen Brauch der kritischen Überprüfung stelle. Wie Sie als Wissenschaftler selbst wissen, reicht das Gesamturteil einer Rezension in der Fachwelt von vorbehaltlosem Lob bis zu grundsätzlicher Kritik. Der Wert einer Rezension hängt davon ab, ob sie fundierte Gründe für die jeweilige Einschätzung vorlegt. Karl-Heinz Ohlig und ich haben aus verschiedenen Blickwinkeln Gegenargumente gesammelt und grundsätzliche Kritik geäußert. Mir ist unverständlich, warum Sie diesen Widerspruch gegenüber einem wissenschaftlichen Buch nicht ertragen und darauf mit teilweise unwahren Hinweisen zu meiner Person reagieren. Beispielsweise haben die evangelischen Kirchen in Niedersachsen mir nicht die kirchliche Lehrbefugnis entzogen, sondern beim Land Niedersachsen meine Lehre als Theologieprofessor beanstandet.

Offenbar gelten für das vorliegende Papstbuch doch andere Gesetze als für jedes andere wissenschaftliche Buch, obwohl sein Verfasser, Joseph Ratzinger, es ausdrücklich als nicht-lehramtlichen Akt bezeichnet hat. Möglicherweise sähen Sie sich in Ihrer Eigenschaft als Kardinal außer Stande, dem Buch des Papstes zu widersprechen, auch wenn Sie als Exeget um die geringe Qualität seiner Textbehandlungen wüssten. Und nun stellen Sie auch noch den emeritierten katholischen Theologieprofessor Karl-Heinz Ohlig ob seiner Kritik als Buhmann hin und vergrößern damit doch nur die Unfreiheit der an römisch-katholischen Fakultäten Lehrenden.

Sie, geehrter Herr Kardinal, haben Fairness für den Papst verlangt. Gewiss, aber dabei darf die Wahrheit nicht auf der Strecke bleiben. Eben darum verdient das neue Werk von Benedikt XVI. aus wissenschaftlicher Sicht nur das Prädikat „Mangelhaft." Ich habe dies in dem von Ihnen gescholtenen Essay in Spiegel-Online begründet und es in meinem demnächst erscheinenden Buch „Das Jesusbild des Papstes" näher ausgeführt.

Göttingen, den 06. Juni 2007

Gerd Lüdemann.