Ein Ironiker weniger auf der Welt

PALO ALTO / NEW YORK. Am vergangenen Freitag verstarb nach längerer Krankheit der weltweit bekannte und geachtete Philosoph Richard Rorty,

geboren am 4. Oktober 1931, ein begnadeter Ironiker, der denen, die denjenigen nachjagten, die Salmon Rushdie verfolgten, in „Wahrheit und Fortschritt“ ins Stammbuch schrieb, sie sollten die Verfolger nicht verfolgen, als seien diese geisteskrank, sondern sie wie nicht beneidenswerte Wesen behandeln.

Ursächlich für Fundamentalismus, Sexismus und Rassismus hielt er nicht die mangelnde Vernunftfähigkeit von derlei Protagonisten, sondern deren sozioökonomische Benachteiligung. „Das Problem der bösen Leute ist, daß sie nicht soviel Glück gehabt haben wie wir selbst hinsichtlich der Umstände, unter denen sie aufgewachsen sind. Anstatt alle die Leute dort draußen, die sich Mühe geben, Salman Rushdie ausfindig zu machen und umzubringen, wie Vernunftlose zu behandeln, sollten wir mit ihnen umgehen wie mit Benachteiligten“ (S.259f). „Mitleid kann man lernen“ titelte dem Verstorbenen durchaus gerecht werdend gestern der Berliner „Tagesspiegel“.

 

Richard Rorty  – zu seiner Person siehe seine Homepage  und die Biographie bei Wikipedia  – habe eine „Philosophie gegen Lachfeinde“ entwickelt, erinnert die „Süddeutsche“  an ihn und die „Frankfurter Rundschau“ schreibt, er habe stets zum Misstrauen aufgerufen, gerade bezüglich auf Philosophen, seine eigenen Berufskollegen. Berühmt wurden Sentenzen wie die, an Abraham Lincolns ähnlich lautende Anmerkung erinnernd, dass der Roman „Onkel Tom’s Hütte“ von Harriet Beecher-Stowe wohl mehr Einfluss auf die positive Entwicklung der Menschenrechte hatte als die vielen klugen Schriften von Theoretikern.

 

Rorty wandte sich als Nicht-Theist und Pragmatist gegen Letztbegründungen – und stand hier im Denken William James und John Dewey sehr nahe. Sein agnostisches Denken ist in diesem Anliegen – keine Letztbegründungen! – dem von Atheisten verwandt, obwohl er ein Verfechter einer (dann doch wieder sehr humanistisch gedachten) zukünftigen „Religion der Nächstenliebe“ blieb. Transzendenz war für ihn das utopische Element.

 

Aus Anlass des Todes von Rorty veröffentlicht der hpd die folgende, sehr kritische Rezension von
Petra Caysa (Berlin):

 

Richard Rorty und Gianni Vattimo

Die Zukunft der Religion

Hg. von Santiago Zabala

Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 2006, 114 S.; ISBN 3-518-58458-8, 16,80 €

 

Zwei Altmeister des postmodernen, nachmetaphysischen Denkens bitten zum Gespräch. Genauer, sie werden zum Gespräch gebeten. Hinzu tritt der Herausgeber dieses, dem Umfange nach schmalen Bändchens. Dieser identifiziert sich qua Geburtsjahrgang, durch persönliche Stellungnahme sowie Interviewführung als Angehöriger der Enkelgeneration des von Rorty und Vattimo gepflegten Denkstils.

In diesem Buch, zwar verkaufsfördernd – Feuilleton-Bestseller und Modethema Religion – aber in der Sache irritierend mit „Die Zukunft der Religion“ betitelt, sind sehr unterschiedliche Texte versammelt. Zunächst bringt der Herausgeber seine mit hohem kulturellen Kapitalwert ausgestatteten berühmten Philosophenkollegen zur Vorstellung. Diese Präsentation unter der Überschrift „Eine Religion ohne Theisten und Atheisten“ schlägt einerseits das Hauptthema des Buches vor, andererseits charakterisiert sie die philosophischen und intellektuellen Positionen der beiden Hauptakteure.

Rorty, dem die Wiederbelebung der Ironie im aktuellen philosophischen Diskurs zu verdanken ist, gilt als postmodern geläuterter neuer Pragmatist, während Vattimo, der Erfinder des „schwachen Denkens“, als ebenso geläuterter Hermeneutiker agiert. Im Schnelldurchlauf und nahezu das vollständige Begriffsarsenal der metaphysik-kritischen und nachmetaphysischen Philosophiedebatten ausschöpfend, versucht der Herausgeber das Feld zur Bestimmung dessen, was die Zukunft der Religion sein könnte, abzustecken. Dass es sich dabei im Wesentlichen um die philosophischen Grundannahmen von Rorty und Vattimo handelt, trifft erwartungsgemäß zu. Misslich hingegen, dass trotz des überbordenden philosophischen Argumentationsaufwandes die intellektuelle Botschaft, die Religion betreffend, sehr spartanisch daherkommt. Für Philosophie-Freaks mag Zabalas Hinführung zum Thema eine Lektürefeier ergeben, für alle anderen hingegen wird ein Hürdenwald aus Begriffen aufgestellt, vor dem die philosophisch Ungeübten zur Kapitulation genötigt werden.

Es folgen zwei Essays, in denen Rorty und Vattimo selbst zu Wort kommen. Auch hier überwiegt philosophisches Vorgeplänkel – bis das Angekündigte Thema wird. Die Religion, im engen Sinn ist stets die christliche gemeint, gezielt wird aber auf alle menschlichen Religionserfindungen, und ihre Zukunft betreffend einigen sich Rorty und Vattimo auf ihr Aufgehen in den praktischen Appell an die menschliche Nächstenliebe. Gänzlich deinstitutionalisiert, entkleidet aller Machtverkopplungen und auf jegliche absolute wie objektive Wahrheitsansprüche verzichtend, – keine Kirche mehr –, gleicht die zukünftig ausgeübte christliche Religion in der Beschreibung der Autoren dem unaufhebbaren menschlichen Streben nach einer die einzelne Existenz übersteigenden Gemeinsamkeit.

Differenz taucht auf, wenn zur Sprache kommt, wie diese in Aussicht gestellte Zukunft zu bewerkstelligen wäre. Im Einverständnis mit Vattimo schreibt Rorty: „Wenn man aber die Idee aufgibt, daß entweder das Streben nach Wahrheit oder das Streben nach Gott in allen menschlichen Organismen ’fest verdrahtet’ ist, und statt dessen zulässt, beide als Produkt kultureller Formierung zu betrachten, dann wird eine solche Privatisierung (gemeint ist die der Religion, d.V.) natürlich und angemessen erscheinen. Leute wie Vattimo werden dann nicht mehr meinen, daß mein Mangel an religiösem Gefühl ein Zeichen von Vulgarität ist, und Leute wie ich werden nicht mehr meinen, daß das Vorhandensein solcher Gefühle ein Zeichen von Feigheit ist. ...

Unter dem Strich läuft der Unterschied zwischen Vattimo und mir darauf hinaus, daß er in der Lage ist, ein vergangenes Ereignis als heilig anzusehen, während ich das Gefühl habe, daß Heiligkeit allein einer idealen Zukunft innewohnt. Für Vattimo ist Gottes Entscheidung, von unserem Herrn zu unserem Freund zu werden, das entscheidende Ereignis, von dem unsere heutigen Bemühungen abhängen. Sein Gefühl für das Heilige, knüpft sich an die Erinnerung an jenes Ereignis und die Person, die es verkörperte. Mein Gefühl für das Heilige, soweit ich eines habe, ist an die Hoffnung geknüpft, daß eines Tages, vielleicht schon in diesem oder im nächsten Jahrtausend, meine fernen Nachfahren in einer globalen Zivilisation leben werden, in der Liebe so ziemlich das einzige Gesetz ist.

In einer solchen Gesellschaft wäre die Kommunikation herrschaftsfrei, Klassen und Kasten wären unbekannt, Hierarchien zweckmäßige Einrichtungen auf Zeit, und Macht läge allein in der Verfügungsgewalt einer frei übereinkommenden, belesenen und gebildeten Wählerschaft.“ (S.46f) Klarer ist die Botschaft im gesamten Buch nicht formuliert. Die Quintessenz des Ganzen: Die Zukunft der Religion besteht in der Utopie und diese bedarf stetiger, unermüdlicher Re-Aktualisierung im Gespräch.

 

Im dritten Abschnitt das Buches ist ein Gespräch zwischen Rorty und Vattimo aus dem Jahr 2002 dokumentiert. Die Botschaft bleibt die oben zitierte, ihre Entstehungszusammenhänge aber werden diesseits des philosophischen Horizonts kenntlicher. „Vattimo: Mir scheint auch, daß in unserer globalisierten Welt die Notwendigkeit einer vergesellschafteten Ökonomie immer unabweisbarer wird. Rorty: Genau, und sei es auch nur, weil in Europa und Amerika einfach keine Arbeitsplätze übrigbleiben werden. Die Arbeit der Welt wird in Ländern wie Malaysia und Zimbabwe getan werden, da bleibt den Arbeiterklassen der alten Demokratien keine Hoffnung.“(S.90)

Die neue zukunftsfähige Religion der Nächsten Liebe gerät zur elementaren Grundausstattung des Bewusstseins der Inhaber und Verausgaber des globalisierten Arbeitskraftvermögens. Kooperation ohne den Zwang des globalisierten Kapitalverhältnisses, weil in ihr Liebe und Abhängigkeit einander produktiv wie positiv bestätigen, was nach Martha Nussbaum zugleich die Quelle der Moral bildet. Die Figur der Multitude könnte das Subjekt dieser Liebesarbeit sein. Aber wozu soll das Ganze dann noch Religion heißen?

Das ganze Buch scheint von einer veritablen Verkehrung zu profitieren. Rortys und Vattimos Auskünfte über die Zukunft der Religion leben von den philosophischen und politischen Voraussetzungen, die beide teilen. Diese Implikationen beherrschen den Text. Die Zukunft des nachmetaphysischen Denkens von Rorty und Vattimo liegt möglicherweise diesseits der Religion.

 

 

(Die Rezension war ursprünglich für humanismus aktuell gedacht. – Weitere Rezensionen zu diesem Buch bei perlentaucher.de.)