Reichweitenbegrenzung ist vom Tisch

BERLIN. Bundestagsabgeordnete von SPD, FDP, Linken und Grünen haben sich auf einen

fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf zu Patientenverfügungen geeinigt und heute auf der Pressekonferenz im Jakob-Kaiser-Haus vorgestellt. Dieser Entwurf lehnt eine Reichweitenbegrenzung ab, stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten, begrenzt die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts und sorgt für einen effektiven Grundrechtsschutz.

Beteiligt an der Überarbeitung der ursprünglichen Vorlage der Bundesjustizministerin Zypries (SPD) von 2004, die mit Beginn der Großen Koalition jedoch zurückgezogen wurde, waren v.a. Joachim Stünker (SPD), Michael Kauch (FDP), Luc Jochimsen (Die Linken) und Jerzy Montag (Grüne). Das inhaltliche Zusammengehen deutete sich in der Parlamentsdebatte Ende März diesen Jahres bereits an.

Nach dem Entwurf soll es umfassende Möglichkeiten geben, den Patientenwillen schriftlich zu erklären. Die Patientenverfügung soll immer und in jeder Phase der Krankheit verbindlich sein, solange der Patient sich nicht anders äußert. Eine Missachtung gilt als Körperverletzung. Situationen, in denen es zwischen Ärzten und dem Betreuer eines Patienten Differenzen über die Verbindlichkeit einer Verfügung gibt, wird das Vormundschaftsgericht klären. Mögliche Festlegungen des Patienten, die auf eine „Tötung auf Verlangen“ hinauslaufen, werden immer unwirksam bleiben.

Über die Ausgestaltung einer gesetzlichen Neuregelung wird seit längerem quer durch die Parteien kontrovers diskutiert. Verschiedene Gesetzentwürfe, darunter auch zwei aus der Unionsfraktion, sollen noch vor der Sommerpause in den Bundestag eingebracht werden. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) will ein Abschalten von medizinischen Geräten auf Fälle beschränken, in denen der Patient an einer irreversibel tödlichen Krankheit leidet oder dauerhaft bewusstlos ist (in diesem Fall soll immer ein Vormundschaftsgericht entscheiden).

CDU- und CSU-Gesundheitspolitiker Hans Georg Faust und Wolfgang Zöller lehnen zwar eine Reichweitenbegrenzung ab, fordern aber eine gerichtliche Überprüfung der Patientenverfügung, ob diese im eintretenden Fall auch tatsächlich dem Willen und der aktuellen Lage des Patienten entspricht. Die durch und durch unpraktikablen Ideen des SPD-Politikers Röspel scheinen in der Versenkung verschwunden zu sein.

Der Wille des Patienten ist der aktuell geäußerte und der mutmaßliche. Hier übernimmt der Entwurf die entsprechende bisherige maßgebliche Rechtsprechung. Der Entwurf sagt deutlich, dass die Wirksamkeit der Patientenverfügung endet, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die dem aktuell geäußerten Willen widersprechen. Fehlt es dagegen an Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung, so sind die Festlegungen des Patienten als Indiz zur Ermittlung seines mutmaßlichen Willens heranzuziehen.

Der Bundesvorsitzende des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Dr. Horst Groschopp, begrüßte heute in einer Presseerklärung die vorgestellte gemeinsame Gesetzesinitiative zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen: „Im Interesse der Patientinnen und Patienten freue ich mich außerordentlich über die jetzige Entwicklung in der Patientenverfügungsdebatte. Diese politische Annäherung der Parlamentarier quer durch (fast) alle Fraktionen zeigt, dass die Zeit reif ist für ein Patientenverfügungsgesetz, das den Bürgerinnen und Bürgern ein größtmögliches Selbstbestimmungsrecht einräumen wird.

Wichtig ist vor allem, dass die Extremposition einer Reichweitenbeschränkung auf den Sterbeprozess, wie ihn vor allem die christlichen Kirchen befürwortet haben, im Deutschen Bundestag nicht mehrheitsfähig ist. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass sich selbst in der CDU/CSU die Vertreter einer gemäßigten Position durchzusetzen scheinen. ... Wir erwarten vom Deutschen Bundestag noch in diesem Jahr ein Patientenverfügungsgesetz, das diesen Kriterien entspricht.“

Die Bundesbeauftragte des HVD für Patientenverfügungen und humanes Sterben, die der so genannten „Kutzer-Kommission“ angehörte, aus der viele Vorschläge für den jetzigen Entwurf hervorgingen, Gita Neumann, begrüßt am jetzigen Entwurf, dass zwei Extrempositionen damit endgültig vom Tisch sind:
„Die so genannte Reichweitenbegrenzung der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung einerseits und die Vorstellung einer – auf zukünftige Lebenssituationen bezogenen – verabsolutierten Autonomie andererseits.“ Das heißt: Auf jede konkrete Maßnahme, jedes Krankheitsbild und -stadium könne sich prinzipiell ein vorausverfügter Behandlungsverzicht verbindlich beziehen. Niemand könne jedoch mit einer späteren unmittelbaren 1:1 Umsetzung einer pauschalen Formulierung wie etwa der folgenden rechnen: „Wenn ich einmal – auch nur leicht – dement bin, will ich, dass man mich sterben lässt“.

Zwischen diesen Eckpunkten liegen feine Differenzierungen und ein Spannungsfeld zwischen zu beachtenden Einstellungen des Betroffenen und verbindlichen Behandlungsanweisungen, so die Expertin des Humanistischen Verbandes. Hinter diese Eckpunkte wird aber kein Gesetz (wie auch immer es nun konkret ausfallen möge) und keine Praxis (auch wenn es gar kein Gesetz geben sollte) mehr zurückfallen können, zeigt sich Neumann überzeugt: „Wir haben deshalb heute unseren aktualisierten Fragebogen für die Erstellung einer individuell-konkreten Patientenverfügung als Version 2007 ins Netz gestellt. Selbstverständlich gelten auch weiterhin frühere bzw. andere bewährte Modelle wie die so genannte Standard-Patientenverfügung, z.B. nach den Vorgaben des bayerischen oder des Bundesjustizministeriums“, betont sie dabei.

Der SPD-Abgeordnete Joachim Stünker gibt sich zuversichtlich, dass mindestens zwei Drittel seiner Fraktion diesen Entwurf mittragen und hofft, dass dieser nach der Sommerpause ins Gesetzgebungsverfahren gehen kann. Ähnliches wird von den anderen am Entwurf beteiligten Parteien erwartet. Auch in der CDU/CSU werden sich wohl letztlich vernünftige Überlegungen durchsetzen – nach diesem politischen Erdrutsch.

Den gemeinsamen Gesetzesentwurf haben bereits 75 Abgeordnete unterschrieben. Den genauen Wortlaut können Sie als PDF im Anhang lesen.

GG