Verfahren gegen Flugblattverteiler eingestellt

Nach sechswöchiger Ermittlungsdauer ist das Verfahren gegen einen Flugblattverteiler eingestellt worden. Dem Mitglied 

des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA e.V.) war vorgeworfen worden, eine Flugschrift verbreitet zu haben, die „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ gezeigt habe – gemeint war damit nebenstehendes historische Foto, auf dem Hitler und der päpstliche Nuntius Torregrossa zu sehen sind.

 

Nachdem er im Umland von Mannheim Anfang April Flugblätter in Briefkästen gesteckt hatte, erhielt Fritz Köhler zu seinem großen Erstaunen vier Wochen später eine Vorladung vom Polizeipräsidium Rheinland-Pfalz: er habe sich zur „Beschuldigtenvernehmung“ in der Polizeiinspektion Ludwigshafen einzufinden. Ihm werde zur Last gelegt, „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ verwendet zu haben, was im Klartext heißt: Nazi-Symbole.

Nun ist im März ein Urteil des Bundesgerichtshofes ergangen, das sich genau mit dieser Frage befasst: unter welchen Umständen dürfen verbotene nationalsozialistische Symbole, wie zum Beispiel das Hakenkreuz, gezeigt werden. Anlass war die Verurteilung eines Versandhändlers durch das Landgericht Stuttgart. Dieser hatte in seinem Sortiment Aufkleber und Anstecker, die durchgestrichene Hakenkreuze zeigten oder ein Strichmännchen, das die Swastika in den Mülleimer befördert – beides Bilder, die seit Jahrzehnten von der Antifa verwendet werden und für jeden Menschen mit durchschnittlicher Intelligenz in ihrer Ikonographie eindeutig sind. Das Landgericht Stuttgart gelangte hingegen zu der Auffassung, dass vor allem letzteres Motiv dahingehend missverstanden werde könnte, dass das Hakenkreuz aus dem Mülleimer wieder herausgezogen werde, und verurteilte den 31-Jährigen zu einer Geldstrafe von 3.500 Euro. Der BGH kassierte dieses Urteil und machte durch die Erklärung, diese Interpretation sei eine „allenfalls theoretische“ Möglichkeit, deutlich, dass die Kollegen in Stuttgart als offenbar nicht sonderlich helle einzuschätzen sind. Wenn die Distanzierung vom Nationalsozialismus aus dem Kontext eindeutig hervorgeht, dürfen die betreffenden Symbole also abgebildet werden.

Kollaboration von katholischer Kirche und Hitler-Deutschland

Dieses Urteil vor Augen erscheint es schon skandalös, dass Fritz Köhler sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen musste, NS-Propaganda zu betreiben. Denn sein Flugblatt thematisierte die Kollaboration von katholischer Kirche und Hitler-Deutschland am Beispiel des von kirchlicher Seite angeordneten Glockengeläuts anlässlich des Einmarsches der Wehrmacht in die Tschechoslowakei 1938 oder der Niederlage Polens 1939. Sein Flugblatt hatte Köhler mit einem bildlichen Beleg für die Zusammenarbeit von Klerus und Faschisten illustriert: einem zeitgenössischen Plakat zur Volksabstimmung über den Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund. Im oberen Teil zeigt dieses ein Bild, auf dem sich Hitler und der Nuntius Torregrossa die Hand reichen; darunter erfolgt an alle deutschen Katholiken die Aufforderung, in der Volksabstimmung – gemäß dem Willen der NS-Regierung – mit „Ja“ zu stimmen. Im Hintergrund der Szene, die während der Grundsteinlegung zum Haus der deutschen Kunst stattfand, sind mehrere Flaggen zu sehen, darunter zwei mit Hakenkreuz.

Da als Quelle für die Abbildung das Nachrichten-Magazin „Der Spiegel“ angegeben war, hätten den ermittelnden Beamten erste Zweifel kommen müssen, ob sie hier neofaschistische Propaganda in Händen halten. Wenn im Text dann von „Nazi-Diktatur“ und „Angriffskrieg“ die Rede ist, müsste auch dem größten Zivilversager klar sein, dass sich dieses Flugblatt kritisch gegen NS-Staat und Kirche richtet.

 

Zwar ist das Verfahren nun eingestellt, doch es bleibt der dreiste und offensichtlich widerrechtliche Einschüchterungsversuch gegenüber einem politisch aktiven Bürger. Bei Fritz Köhler immerhin blieb er wirkungslos; er wird weiterhin Flugblätter zur Aufklärung über die – historische wie aktuelle – Verflechtung von Staat und Kirche verteilen.

Gunnar Schedel