Drei Fragen an... Bruno Weil

FRANKFURT (hpd) Am Wochenende 19./20. Juni findet in Frankfurt ein Seminar statt, das Islam und Islamismus als Herausforderung für die Friedensbewegung thematisiert. Im Vorfeld stellt hpd die Referenten und ihre zentralen Thesen in Kurzinterviews vor. Veranstaltet wird die Tagung vom Bildungswerks der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Hessen; dort können sich Interessierte auch anmelden.

hpd: Sie werden in Ihrem Vortrag gewaltfreie, emanzipatorische Bewegungen aus dem islamischen Kulturkreis vorstellen, darunter Mahmud Taha – könnten Sie seine zentralen Aussagen kurz darstellen?

Bruno Weil: Taha versuchte, eine libertäre und gewaltfreie Koran-Interpretation in der muslimischen Theologie zu begründen und zu verankern. Taha unterteilte das Leben Muhammads in eine Lebensphase als Verfolgter/Outlaw in Mekka und in eine Lebensphase als Staatsgründer und Krieger in Medina. Alle Koran-Suren von Medina sind nach Taha lediglich zeitbedingt und daher heute ungültig, dies umfasst die Sharia ebenso wie alle Formen des Jihad. Die nach Taha als aktuell und auch heute gültig auslegbaren Suren aus Medina beinhalten Frauenemanzipation, Sozialismus und eine historische Tendenz zu immer weniger Staat und Strafen, weil das menschliche Individuum nach rationaler Vervollkommnung strebt und daher äußere Zwänge mehr und mehr überflüssig werden.

hpd: Mit der Islamischen Weltliga geriet Taha in Konflikt – was wurde ihm vorgeworfen?

Bruno Weil: Taha wurde von der Islamischen Weltliga wie dann auch vom sudanesischen Militärregime unter Numairi Ketzerei vorgeworfen – das heißt im muslimischen Milieu Apostasie. Taha wurde zum Tode verurteilt und 1985 hingerichtet, was zu einem Volksaufstand im nördlichen und mittleren Sudan führte. Ganz besonders wurde Taha als Sufi vorgeworfen, sich nicht an die orthodoxen Pflichten eines Muslim zu halten. Theologisch wurde ihm vor allem angelastet, die sogenannte Abrogation angegriffen zu haben, d.h. die lange geschichtliche Praxis der Mullah-Interpreten, bei vorliegenden kontroversen oder inhaltlich gegensätzlichen Koran-Suren fast durchgängig die späteren gegenüber den frühen und die autoritären gegenüber den freiheitlicheren Suren bevorzugt und als gültig festgelegt zu haben.

hpd: Werden Tahas Ideen heute noch in der islamischen Welt weitergetragen?

Bruno Weil: Die Tahasche Theologie bleibt im Norden und in der Mitte des Sudan bekannt und repräsentiert eine kontinuierliche innerkulturelle und intellektuelle Herausforderung für das islamistische Regime und den Zentralstaat in Khartoum. Taha repräsentiert die föderalistische Vision des Sudan, die der Zentralstaat durch den Bürgerkrieg mit dem Süden und die Massaker in Darfur kompromittiert hat. Sie wird im heutigen Sudan allerdings durch die von Taha gegründete Organisation, die „Republikanischen Brüder“, nach außen dargestellt, die eine sehr wechselhafte und sprunghafte Geschichte hat, in der sich Duldung des herrschenden Regimes, Phasen des Widerstands und der Unterdrückung, parteiförmige Beteiligung, Tolerierung und Nicht-Kandidatur sowie die Zusammenarbeit mit dem Regime zum Beispiel bei den Verhandlungen um einen Friedensvertrag mit dem Süden abwechselten. In der arabischen und der gesamten islamischen Welt hat die Taha-Interpretation des Koran eine oppositionelle Bedeutung für die kreative geistige Tradition des Sufismus als einer vielfältigen und pluralistischen Alternative zur Mullah-Orthodoxie einerseits, sowie für die gelungene Möglichkeit einer Vermischung westlich-rationaler Inhalte mit den freiheitlichen und gewaltablehnenden Bestandteilen der islamischen Tradition andererseits.

Die Fragen stellte Martin Bauer

 

Bruno Weil ist Mitglied des HerausgeberInnenkreises der Zeitschrift Graswurzelrevolution. Auf der Tagung wird er Strömungen innerhalb des Islams vorstellen, die gewaltfreie, emanzipatorische Ansätze vertreten.