Die Kontroverse rund um Dawkins neuestes Buch „Der Faschismuswahn" spitzt sich zu.
Hier ist eine von vielen aktuellen Rezensionen, die ihn herausfordert:
Nur Dawkins, oder vielleicht sein Psychiater, wissen, warum ihn dieses Thema so wütend macht; man sollte ihn jedoch darauf hinweisen, dass die maßlose Feindlichkeit, die er seinem Thema gegenüber zeigt, kontraproduktiv wirkt. Ich werde meine abgewetzte Schirmmütze essen, falls dieses Buch auch nur den zögerlichsten Halb-Faschisten dazu bringt, seinem Glauben abzuschwören.
... [Dawkins] Verständnis von „Faschismus" strotzt beklagenswerterweise mit Fehlern. Dawkins kennt „Mein Kampf" nur oberflächlich, oder die Poesie von Marinetti; und er scheint keine Ahnung zu haben von den subtileren und intellektuell stimulierenderen Werken von faschistischen Philosophen wie Hermann Graf, Keyserling, Alfred Baeumler, Martin Heidegger, Giovanni Gentile, Rafael Sánchez Mazaz, Alain de Benoist und vielen anderen. Nur jemand, der die vollständigen Werke all dieser Denker gemeistert hat, kann sich auch nur im Entferntesten in der Position sehen, ein antifaschistisches Argument vorbringen zu dürfen. Das Fehlen dieses notwendigen Grundwissens untergräbt Dawkins Recht von vorne herein, den Faschismus überhaupt anzugreifen.
Es fängt bereits damit an, dass er den Fehler macht, von „Faschismus" zu sprechen, als wäre dieser ein vereinigtes Ganzes. In Wahrheit gibt es natürlich sehr viele Spielarten und Geschmacksrichtungen des Faschismus. Beziehen sich diese Verallgemeinerungen auf den Italienischen Faschismus? Den Hitler'schen Faschismus? Islamofaschismus? Falangismus? Kryptofaschismus? Brasilianischer Integralismus? Es ist bedeutungslos, aus diesem mannigfaltigen Flickenteppich menschlicher Praktiken einen idealisierten, monolithischen „Faschismus" zu extrahieren, selbst für polemische Zwecke. Es ist auch nicht richtig, den Faschismus als „rechtsaußen" zu bezeichnen (was ist mit dem Werdegang von Otto Johann Maximilian Strasser?) oder „militaristisch" (viele Faschisten sind vollkommen friedfertig).
Dawkins vergleicht stets das Beste des Nicht-Faschismus mit dem Schlimmsten des Faschismus. Er (erneut wiederholt) wirft dem Faschismus vor, „extremistisch" zu sein. Es gab einige extremistische Faschisten, natürlich, aber das bedeutet ja nicht, dass der Faschismus als solches extremistisch wäre. Ich habe mich gewiss nicht wiedererkannt in Dawkins bitterem, hasserfülltem Portrait, noch irgendein Mitglied meiner örtlichen Parteiorganisation. Er scheint außerdem nicht zu erkennen, dass seine eigene Position, der so genannte Nicht-Faschismus, auch eine Art von Faschismus ist: Eine Glaubensstruktur, die auf Basis des Faschismus definiert wird, die bei vielen ihrer Kerngedanken von den faschistischen Traditionen abhängt.
... Nehmen wir zum Beispiel diese voreingenommene Beobachtung: „Der Faschismus versucht alle Aspekte des Lebens einer totalen staatlichen Kontrolle unterzuordnen, vom politischen und kulturellen Recht bis hinunter zu Fragen der individuellen ethischen und sexuellen Wahl. Er wertet die Stärke auf und verherrlicht den Nationalstaat als überlegen gegenüber den Individuen, aus denen er besteht." Nicht einmal der Juniorparteisekretär der Nationalsozialistischen Partei, der mich als Erster in den Faschismus einführte, glaubte das! ...
Fast alle von Dawkins Behauptungen können leicht widerlegt werden. Seine Hauptaussage lautet, dass „die faschistische Mentalität" (was immer das ist), „Menschen dazu bringt, grausame Taten der Barbarei und der Gewalt zu verüben", dass sie „eine Neigung befördert, die Menschheit in Schafe und Ziegen zu trennen und dadurch nicht nur die Verfolgung der Ziegen ermöglicht, sondern aktiv ermutigt". Dann kommt er an mit dem müden, alten Argument des Holocaust. Ich habe Neuigkeiten für Professor Dawkins: Ja, Faschisten haben in den 1940ern sechs Millionen Juden ermordet. Aber sie haben das nicht getan, weil sie Faschisten waren; sondern weil sie menschliche Wesen waren. Die Ermordung von Juden zieht sich durch die ganze Geschichte. Juden ermorden gehört zu den Dingen, die Menschen schon immer getan haben; verabscheuungswürdig, vielleicht, aber ein Fakt des Lebens. Angesichts dessen, dass die Ermordung von Juden dem Hitler'schen Faschismus vorausgeht und angesichts dessen, dass sie nach dem Rückgang des Einflusses des Hitler'schen Faschismus weitergeführt wurde, ist es denke ich ziemlich offensichtlich, dass dieser spezielle Massenmord an Juden nur sehr wenig mit dem Hitler'schen Faschismus zu tun hatte, und alles mit der dem Menschen angeborenen Fähigkeit zum Bösen - etwas, nebenbei bemerkt, für das der Faschismus nicht nur eine erklärende Theorie darstellt, sondern ein Heilmittel, was mehr ist, als man von Professor Dawkins behaupten kann.
... Obwohl er den Faschismus bezichtigt, ein Extremismus zu sein; so weigert er sich doch glatt, die extremistische Voreingenommenheit seiner eigenen nicht-faschistischen Position anzuerkennen. Er verschließt sich vollkommen der offensichtlichen Wahrheit, dass seine geliebten Nicht-Faschisten genau so viele Menschen getötet haben wie die Faschisten - mehr sogar. Warum konzentriert Dawkins seine Polemik nicht auf die? Der Grund ist, dass ihn eine gewisse hysterische Feindlichkeit gegenüber der bloßen Idee des Faschismus blendet. (Er behauptet zum Beispiel, dass „Nicht-Faschisten im Namen des Nicht-Faschismus nichts Böses tun", was den ranghohen Faschisten neu wäre, die von den antifaschistischen Nürnberger Prozessen zum Tod durch den Strick verurteilt wurden). Alle Ideale - politische, transzendente, humane, oder erfundene - können missbraucht werden. Und da wir das wissen, müssen wir versuchen herauszufinden, wie wir das verhindern können, anstatt einfach unkritisch auf den Faschismus einzuprügeln. Aber Dawkins kann das nicht verstehen.
Ich behaupte natürlich nicht, dass der Faschismus perfekt wäre, kein vernünftiger Faschist würde das. Auch wenn der Führer in der Tat die unfehlbare Verkörperung des Volkswillens ist - gewöhnliche Faschisten unterliegen sämtlichen Fehlbarkeiten des menschlichen Wesens. Der Faschismus hat auch noch niemals etwas anderes behauptet. Aber während sich Dawkins damit begnügt, all die gelegentlichen schlechten Auswirkungen des Faschismus hervorzuheben, so ignoriert er absichtlich all das Gute, das der Faschismus offenkundig in der Welt vollbracht hat. In diesem Buch werden die erstaunlichen architektonischen Leistungen nicht einmal erwähnt, die Autobahnen, die Wirtschaftswunder, und vor allem das Gefühl, dazu zu gehören, einen Sinn und eine Bedeutung im Leben zu haben, welche die Teilnahme an der Faschistischen Bruderschaft dem gewöhnlichen, einfachen Manne bringt. Alle Belege zeigen, dass Faschisten sich viel eher als Nicht-Faschisten selbstlos einem größeren Ideal widmen und ihre eigene Erfüllung dafür opfern; tatsächlich ist das für viele Menschen der Sinn des Faschismus.
Weit davon entfernt, ein ernsthaftes philosophisches Buch zu sein, enthält diese schlecht bearbeitete und geschwätzige Schmähschrift praktisch alles, was dem Autor gerade in den Sinn kam: Seite um sarkastische Seite voller Angriffe gegen jeden Aspekt des Faschismus sind aus Dawkins Sicht ein leichtes Ziel. Dawkins vermeidet die wahre Frage, ob das politische Verständnis eines Menschen mit einer strukturlosen, anarchischen und bedeutungslosen Gruppierung aufhört, oder mit einer Autorität, die Ordnung, Stabilität und einen Lebenssinn garantiert. Unter dem Strich kann Dawkins einfach nicht die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass der Faschismus ein tiefsitzendes Bedürfnis im Menschen befriedigt. Aber die Belege für diese These sind sehr stark. Andernfalls hätte der Faschismus niemals so populär sein können, wie er es so lange Zeit war.
Übersetzung: Andreas Müller
Original: The Valve.org. 09. September 2007
Anm.: Es handelt sich um eine Satire. Der Autor Adam Roberts ist Schriftsteller und Literaturwissenschaftler.
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