NORDAFRIKA. (hpd) Groß ist derzeit das Erstaunen, wie plötzlich ein anderes Arabien auf der Weltbühne erscheint als jene Scheingemeinschaft islamischer Diktaturen, die sich von West-Afrika bis zur Ostspitze der arabischen Halbinsel hinziehen und den Anschluss an die Entwicklung in anderen Weltteilen verpasst haben.
Es ist viel darüber geschrieben worden, ob sich diese arabischen, dominant islamischen Gesellschaften demokratisieren und modernisieren können, wie wir es in den letzten Jahrzehnten in Asien und Süd-Amerika erlebt haben. Die Aufstände großer Teile der Bevölkerung – auch der weiblichen – in Tunesien und dann auch in Ägypten, Libyen und auf der arabischen Halbinsel haben überrascht, weil die von religiösen und weltlichen Autoritäten eingefrorenen Gesellschaften von unten, von der Jugend her aufzutauen scheinen; Internet und soziale Netzwerke haben die latente Hitze eines verborgenen Freiheitswillens zu Schmelzenergie gemacht. Einmal mehr wird in diesen Bewegungen die Lüge autoritärer Regime vom Atlantik bis zum chinesischen Meer aufgedeckt, die Menschen wollten es jeweils nicht anders, als es die „väterlichen“ Diktatoren – oft im Bündnis mit dem jeweiligen Klerus – verordnet haben und mit Gewalt aufrecht erhalten.
Umgekehrt zeigt sich, dass die universellen Menschenrechte eigentlich überall sehr ähnlich gesehen werden, wenn der Druck, dies zu verleugnen, von den Menschen genommen wird – am besten durch diese Menschen selbst und nicht durch noch so gut gemeinte Invasionen. Ganz besonders ist hervorzuheben, dass zu diesen Menschenrechten eben auch das Recht auf individuelle Selbstbestimmung von Männern und Frauen gleichermaßen gehört. Wer arabische Mitbürger in Europa oder den USA beobachtet, kann sich da nicht wundern; denn diese sind ganz überwiegend kooperative Mitspieler in den jeweiligen Gesellschaftssystemen geworden. Kleine Gruppen religiöser oder ethnischer Fanatiker können das Bild so wenig dominieren wie die ewig gestrigen Evangelikalen, Faschisten oder Ethno-Terroristen in unseren „entwickelten“ Gesellschaften.
Nun wird man annehmen müssen, dass die revolutionär-demokratisch entstehenden neuen Systeme und Staatsformen weiterhin islamisch geprägt sein werden – ja, dass demokratische Verfassungen den Islam als beherrschende Religion festschreiben werden. Dass der Volkswille in diese Richtung geht, dürfte außer Zweifel stehen, auch wenn sich hoffentlich Bekenntnisse zu Meinungs- und Religionsfreiheit sowie Minderheitsrechten Aufnahme in den künftigen Verfassungen finden werden.
Es wird also ein Spannungsverhältnis zwischen individuellen Rechten der Bürger und religiösen Normen bleiben, die sich in islamischer Tradition stets auch auf die staatlichen Belange beziehen.
Gibt es nun Kräfte, die stark genug sind, die Balance in Richtung vollständige Religionsfreiheit, Trennung von Staat und Religion, ja Säkularisierung zu verschieben?
Ja, es werden die Frauen sein
Ich glaube: Ja, und es werden die Frauen sein, die aus ihrer religiös, aber auch einfach kultur-traditionell untergeordneten Position unaufhaltsam aufsteigen werden. Wo Demokratie Frauen gleiche staatsbürgerliche Rechte und Pflichten wie Männern einräumt, ist der Weg zu ihrer besseren Ausbildung und einflussreicheren Positionen frei – mag es auch so langsam gehen wie in Europa ja auch. Diese Entwicklung der weiblichen Bevölkerungshälfte aber, ihre Intelligenz und ihr Ehrgeiz, sprengt ein zentrales Element islamischer Gesellschaftslehre, die unmissverständlich im Koran selbst verankert ist: die Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Manne. (Der Koran wird hier zitiert nach der Übersetzung von Ludwig Ullmann, Goldmann Verlag, 1959, 7. Auflage 1991)
Ist es vorstellbar, dass tüchtige und erfolgreiche Frauen Sure 4, Vers 35 hinnehmen, der da sagt: „Die Männer sollen vor den Frauen bevorzugt werden, weil Allah auch die einen vor den anderen mit Vorzügen begabte ... Rechtschaffende Frauen sollen gehorsam, treu und verschwiegen sein, damit auch Allah sie beschütze. Diejenigen Frauen aber, von denen ihr fürchtet, dass sie euch durch ihr Betragen erzürnen, gebt Verweise, enthaltet euch ihrer, sperrt sie in ihre Gemächer und züchtigt sie...“
Und wer wird im demokratischen Rechtssystem den Grundsatz aus Sure 2, 283 zum genau halben Wert weiblicher Zeugen akzeptieren: „… und nehmt zwei Männer aus eurer Mitte zu Zeugen. Sind aber zwei Männer nicht zur Stelle, so bestimmt einen Mann und zwei Frauen, die sich eignen, zu Zeugen; irrt sich dann eine, so kann die andere ihrem Gedächtnis nachhelfen. …“ oder die Erbrechtsbestimmung in Sure 4/12: Hinsichtlich eurer Kinder hat Allah folgendes verordnet: männliche Erben sollen so viel haben wie zwei weibliche....
Halbe Portion und fruchtbarer Acker?!
Diese Vorschriften, Einordung als halbe Portion und fruchtbarer Acker dürften weibliche Bürger einer demokratischen Gesellschaft in der Regel nicht mehr akzeptieren und damit einen entscheidenden Schritt zur Abkehr wörtlicher Befolgung der Koranvorschriften durchsetzen – ein Dammbruch zu einer menschenrechtskonformen Interpretation religiöser Vorschriften und Traditionen, ein Durchbruch auch zu der Freiheit, keiner Religion zu glauben.
Sure 2, 224 „ Die Weiber sind euer Acker, geht auf euren Acker, wie und wann ihr wollt, weiht aber Allah zuvor eure Seele…“dürfte ebenfalls in immer schärferen Konflikt mit dem Selbstverständnis der Frauen geraten.
Natürlich werden Bildung der gesamten demokratischen Gesellschaft und ein weltweit freier Fluss von Informationen auch über die Frauenfrage hinaus zu fruchtbaren Konflikten mit traditionellen Normen führen. Das muss den Islam so wenig verdrängen, wie bei uns die christlichen Religionen nicht verdrängt wurden; aber es wird den Islam verändern, wie sich auch andere Religionen immer wieder unter dem Druck tatsächlicher Verhältnisse geändert haben – auch der Islam selbst in seinen verschiedenen historischen und regionalen Ausprägungen. Wir in Europa wissen, wie viele Konflikte auf diesem Weg von starrer Tradition zur weltanschaulichen Freiheit zu bestehen waren und sind, denn auch wir sind gewiss noch nicht am Endpunkt dieser Entwicklung angelangt.
Gerd Eisenbeiß