Evangelikale auf dem Weg zur Gewalt

Evangelikale Glaubensgemeinschaften radikalisieren sich weltweit.

Es handelt sich um christliche Fundamentalisten. Sie lehnen die Evolutionstheorie ab, positionieren sich gegen Abtreibung, Stammzellenforschung, Sex vor der Ehe, Verhütung etc. und sie glauben, dass sich Homosexuelle gegen Gott versündigen. Sie richten sich auch gegen Anhänger anderer Religionen, vor allem gegen Muslime, doch ihre größten Feinde sind Atheisten. Noch überwiegen die Evangelikalen, welche ihre Ziele auf friedliche Weise erreichen wollen. Das beginnt sich zu ändern.

In den Vereinigten Staaten läuft derzeit eine Dokumentation in den Kinos, die sich mit dem Ferienlager "Kids on Fire Summer Camp" beschäftigt, das von der „wiedergeborenen Christin“ Becky Fischer geleitet wird. In diesem Jesus Camp werden Kinder zu "christlichen Soldaten" erzogen. Dort lehrt man die Kleinen, wie sie Amerika für Jesus Christus zurück gewinnen sollen. Man sieht Kinder im Alter von 10 Jahren, die mit Armeefarben bemalt in Tanzaufführungen marschieren und Parolen schreien. "Wir werden hier dazu trainiert, Gottes Armee zu sein", so ein kleiner Junge stolz. Ein Mädchen weint und kreischt "Nicht mehr, nicht länger", womit sie sich gegen Abtreibungen ausspricht. Sie sieht so aus, als hätte sie bei dem Gedanken an Abtreibung selbst Schmerzen. Im Jesus Camp werden außerdem Teufelsaustreibungen an Kindern vorgenommen, die sich dabei wie bei einem epileptischen Anfall auf dem Boden wälzen.

Die Militarisierung der christlichen Rechten wird auch an anderen Fronten voran gebracht. So wird zum Beispiel ein Computerspiel zur Buchreihe Left Behind entwickelt. Die Bücher handeln vom Endkampf zwischen Gut und Böse und haben sich inzwischen über 63 Millionen mal verkauft. Es lohnt sich, einen näheren Blick auf das Spiel zu werfen, denn es steht zu befürchten, dass es sich ebenfalls gut verkaufen wird.

Auf der Website zum Titel weisen die Entwickler darauf hin, dass es sich bei der Spielhandlung um eine fiktive Geschichte handle und dass sie nichts mit der biblischen Offenbarung zu tun habe. Diese Aussage ist schlicht falsch, denn nicht nur die Spieledemo beweist das Gegenteil. Vielmehr handelt es sich um ein christlich-fundamentalistisches Spiel zu einer ebensolchen Buchreihe. Im FAQ antworten die Entwickler auf die Frage, ob in ihrem Machwerk jemand umgebracht wird, dass Leute "verschwinden", genau wie in den Büchern. Tatsächlich verschwinden sie - nachdem man mit seinen "christlichen Soldaten" auf die Atheisten eingeprügelt oder sie erschossen hat. Die Ungläubigen stehen unter dem Kommando Satans und - man halte sich fest - heißen "Global Community Peacekeepers". Sie streben also nach einer Weltgemeinschaft und nach Weltfrieden, was laut Entwicklerstudio "impostrous" sein soll, ganz was Böses.

In der Demo zum Strategietitel betätigt man sich auf mannigfaltige Weise christlich. Es gibt zum Beispiel einen „Missionierungs“-Button. Damit ist es möglich, mit einer Gruppe „Gotteskrieger“ einen Unentschlossenen einzukreisen und so lange auf ihn einzureden, bis er zu Gott findet. Die Passanten haben allesamt ihre Lebensgeschichten im Angebot. In diesen geht es darum, wie sie Christen geworden sind oder warum sie sich noch nicht für Gott entscheiden konnten. Jene haarsträubenden Geschichten versuchen den Eindruck zu vermitteln, dass es nur logisch sei, zum Christentum zu konvertieren. Kein Problem, wenn man spät dran ist, Gott wird das vergeben. Auf den Straßen finden sich auch Gruppen "böser Musiker" (Rapper), die mit ihrer Musik "Spirit Points" absaugen und versuchen, den Spieler zum Bösen zu bekehren. Die Musiker-Spielfiguren kann man ebenfalls töten.

Verlorene „Spirit Points“ erlangt man durch Beten wieder. Es ist möglich, Gebäude zu erwerben und sie zur militärischen Aufrüstung zu verwenden. Man kann darin allerlei moderne Waffen und Kriegsgerät bauen, die biblische Namen tragen wie "Prayer Warrior" (Gebets-Krieger). Zentraler Stützpunkt ist - wie könnte es anders sein - eine Kirche. Im Hintergrund erschallt Musik von christlichen Rockbands. Die Entwickler betonen die moralische Überlegenheit ihres Spiels gegenüber bösen Spielen wie GTA, ein sehr erfolgreicher Action-Titel, in dem man für Verbrechersyndikate arbeitet. Dabei nimmt sich GTA nicht ernst, dort kann man karikierte gesellschaftliche Gruppen jeder Couleur anzugreifen, während man in Eternal Forces ausschließlich Atheisten bekämpft und Zivilisten erschießen kann, wenn sie sich nicht bekehren lassen, natürlich nur, um ihre Seele zu retten. Die amerikanische Satire-Sendung Daily Show bringt es auf den Punkt: "Verdammt! Er hat den Kerl gerade direkt zwischen die Augen gerettet!" Left Behind soll Jugendliche dazu bringen, sich Fragen "von zeitloser Bedeutung" zu stellen. Dieser Tipp sei an die Entwickler weiter gegeben. Die Grafik des Titels ist auf dem Stand von vor zehn Jahren stehen geblieben, die haarsträubende Story auf dem Stand von vor 2000 Jahren. Die Steuerung ist unnötig kompliziert bei gleichzeitig stark limitierten Handlungsmöglichkeiten in immer gleichen Umgebungen eines tristen New York.

Die Demo vermittelt bereits einen guten Eindruck von der mangelnden Qualität des Spiels. Der Rezensent schließt sich hiermit freiwillig den satanischen "Global Community Peacekeepers" an und hofft, dass dieses Spiel niemals in die Hände von Kindern gerät - oder überhaupt in Hände gerät. Dieser Titel ist Gehirnwäsche, Aufruf zur Gewalt und Hetze gegen Un- und Andersgläubige. Klickt man die Hauptfigur an, sagt sie "Enlighten me!" - "Erleuchte mich!" Leider gibt es dafür keinen Button.

Left Behind und Jesus Camp sind nur zwei Beispiele von vielen. So gibt es etwa noch die Jugendbewegung Battle cry, zu Deutsch "Schlachtruf", die Jugendliche mittels Popkonzerten zu christlichen Kriegern erziehen will. Und natürlich die von der Arte-Dokumentation über christlichen Fundamentalismus bekannte Jesus Revolution Army, "Jesus revolutionäre Armee". Das sind kleine Gruppen christlicher Jugendlicher. Sie leben in streng hierarchisch organisierten Gemeinschaften und ziehen täglich aus, um andere Jugendliche zu missionieren, was sie mit Konzerten und Straßenarbeit erreichen wollen. Die Jesus Revolution Army operiert europaweit. Sie ist als kirchliche Organisation anerkannt und arbeitet mit lokalen Kirchen und Jugendgruppen zusammen - auch in Deutschland.

Angesichts dieser Entwicklungen sollte man sich klar positionieren. Dies ist keine Weichfilter-Religiosität, wie wir sie aus Deutschland kennen. Diese Leute denken nicht daran, die Bibel zu interpretieren. Wir haben es hier mit echten Fanatikern zu tun, die auch vor Teufelsaustreibung, Gewalt und Gehirnwäsche bei kleinen Kindern nicht zurück schrecken. Jede Unterstützung evangelikaler Positionen sollte besser gut durchdacht, also unterlassen werden. Die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) dagegen gibt zum Thema evangelikale Unterrichtsinhalte in deutschen Schulen zum Besten:

"Ist es nicht sogar eine erstaunliche Erkenntnis, wie sehr Biologie und der Bericht von den sieben Schöpfungstagen auch übereinstimmen, aber auch zu sehen, welch ein Glaubensbekenntnis der zweite Schöpfungsbericht darstellt? Eine solche Auseinandersetzung junger Menschen auf dem Weg zu ihrer Identität braucht es in Schule und Familie!"

Frau Wolff sei der Besuch einiger Vorträge zum Thema Evolutionstheorie empfohlen, denn diese Aussage ist an Ahnungslosigkeit und Absurdität nicht mehr zu überbieten. Der Frankfurter Rundschau sagte Wolff zwar, sie wolle sich nicht mit Vertretern des Kreationismus verbünden, weil sie der Ansicht ist, dass die christliche Schöpfunslehre die Evolution nicht bestreite, trotzdem meinte sie, es solle auf einer öffentlichen Schule möglich sein, die Evolutionstheorie in Frage zu stellen.

Zunächst einmal ist es so, dass sich Schöpfungsmythos und Evolutionstheorie klar widersprechen. Seit wann behaupten Evolutionsbiologen, die Welt sei in sechs Tagen von einem persönlichen Gott erschaffen worden? Nein, sie wissen es besser, aus dem simplen Grunde, weil die Evolutionstheorie von "Bergen an Beweisen" (Richard Dawkins) untermauert wird. Selbstverständlich dürfen, ja sollen Schüler alles hinterfragen, was man ihnen beibringt, aber wo kommen wir denn da hin, wenn Lehrkräfte darauf hinweisen, dass sie ihren Schülern falsche Dinge lehren, nur weil ihr heiliges Buch anderer Meinung ist? Wenn Lehrer ihre Schüler auf Mängel im Lehrplan aufmerksam machen, so doch bitte nur auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht aufgrund ihres persönlichen Glaubens. Frau Wolff sagt außerdem:

"Es muss aber auch klar sein, dass naturwissenschaftliche Aussagen jederzeit in einen Dialog mit philosophischen oder auch theologischen Fragen zu stellen sind."

Ach, muss das klar sein? Das klingt so demokratisch, ein Dialog - wie schön. Genau so versuchen die Kreationisten auch in den USA hinzudrehen. Tatsächlich ist die Beweislast für die Evolution erdrückend, für die Schöpfung gleich Null. Wenn man auf der Basis einen Dialog fördern will, kann man mit der gleichen Berechtigung die Lehre, ein Spaghettimonster habe die Erde erschaffen, zum Bestandteil des Biologieunterrichts machen. Am besten man weitet das Prinzip auf alle Fächer aus und erzählt in Sexualkunde die Lehre vom Storch, der die Kinder bringt oder in Chemie die Lehre, wie man Staub in Gold verwandelt.

Nein! Junge Menschen brauchen keinen christlichen Fundamentalismus und zugehörige "Lehrinhalte", sei es Teufelsaustreibung oder Schöpfungsmythos, um ihre Individualität zu entfalten! Was sie brauchen ist eine Erziehung zur Vernunft und Humanität! Ein Merksatz für Sie, Frau Wolff: Teufel, Schöpfung, Gottgericht sind für kleine Kinder nicht!

Wer Frau Karin Wolff etwas mitteilen möchte, findet hier ihre E-Mail-Adresse.

Andreas Müller