OSLO. (hpd) David P. Silverman ist Präsident der American Atheists und war Delegierter beim World Humanist Congress 2011 in Oslo. Dort sprach Silverman über die drei aktuellsten Herausforderungen in den Vereinigten Staaten und formulierte die optimistische Hoffnung, dass Atheisten die Religion in der Zukunft besiegen werden.
hpd: Vor welchen Herausforderungen stehen heute die amerikanischen Atheisten?
David P. Silverman: Nun, da gibt es gleich mehrere Herausforderungen. Sowohl für Atheisten in den Vereinigten Staaten als auch für die Organisation American Atheists. Ich werde auf beide Gruppen eingehen. Die größte Herausforderung für Atheisten in den USA besteht in der politischen Landschaft. Atheisten werden durch die Politiker derzeit vollständig abgetan und zurückgewiesen. Tatsächlich ist es die bevorzugte Haltung in den Vereinigten Staaten, dass Atheisten durch Politiker herabgesetzt werden. Sie vermeiden um jeden Preis, dass sie mit Atheisten assoziiert werden könnten. Ein gutes Beispiel ist die kürzlich durchgeführte Gebetskundgebung, die vom Präsidentschaftskandidaten Rick Perry veranstaltet wurde. Wir haben eine Trennung von Kirche und Staat. Aber diese Politiker halten das für eine Behinderung – es ist etwas, das sie umgehen oder vermeiden wollen. Tatsächlich wollen sie, dass das Land eine christliche Nation wird. Das Problem ist, dass sie eine Menge Unterstützung haben.
Sind die Vereinigten Staaten nicht schon eine christliche Nation?
Silverman: Nein, wir sind ein säkulares Land. Die Verfassung der Vereinigten Staaten erteilt den Auftrag der Trennung von Kirche und Staat. Aber eine Menge Politiker benutzen das Christentum, um gewählt zu werden. Und ein Weg, das Christentum zu benutzen ist zu sagen: Wir sind eine christliche Nation, es geht immer um Jesus und Gott. Sie lügen so ungeschickt, dass es leicht zu erkennen ist, wenn sie lügen. Aber die Christen mögen die Lügen, die sie erzählen. Sie stellen sie nicht in Frage, sondern glauben es einfach. Sie lieben es zu hören, dass Amerika eine christliche Nation ist. Daher spielt es keine Rolle, dass wir eine säkulare Verfassung haben. Sie scheren sich nicht darum.
Entspricht das der allgemeinen Bevölkerung?
Silverman: Nun, sie sind zu 75 Prozent Christen. Und die lieben es, so etwas zu hören und hinterfragen es nicht. Und deshalb arbeiten wir bei den American Atheists daran, dass die Vereinigten Staaten säkular bleiben. Zum Beispiel, indem wir Atheisten aus ihren Verstecken holen. Denn normalerweise werden sie sehr stark schikaniert und ungerecht behandelt. Atheisten sind verhasst. Wir sind die am wenigsten beliebte Gruppe in Amerika. Als ein Ergebnis verstecken Atheisten ihren Atheismus und weil sie das tun, denkt jeder, es gebe so wenige Atheisten. Und das stärkt die Bigotterie, der Atheisten ausgesetzt werden. In Wirklichkeit gibt es eine Menge Atheisten in Amerika.
Und ihr versucht, sie aus der Deckung zu holen.
Silverman: Wir müssen sie aus der Deckung holen.
Wie erfolgreich waren hier die bisherigen Kampagnen?
Silverman: Ich bin erst seit einem Jahr Präsident und es wird ein langer Prozess werden. Aber es läuft gut. Ein gutes Beispiel, um einfach das Wachstum zu verdeutlich: Ich lebe in New Jersey und als ich vor 15 Jahren in der Bewegung zu arbeiten begann, war meine erste Leistung als Aktivist, einen Kongressabgeordneten zum Besuch einer unserer Veranstaltungen zu bewegen. Es war das erste Mal, das so etwas geschah. Schließlich hatten wir 23 Gäste, die dann gekommen sind. In diesem Jahr, anderthalb Jahrzehnte später, hatten wir eine Tagung in De Moines. Das liegt in der Mitte des Bible Belt. Diesmal sind 800 Menschen gekommen, die höchste Zahl von Teilnehmern die es bisher gegeben hat. Aber auch 800 sind nur ein Bruchteil, verglichen mit den vermutlich bis zu 40 Millionen Atheisten im Land. Trotzdem ist es ein guter Anfang. Und alle Organisationen von Atheisten in den Vereinigten Staaten wachsen und das ist eine schöne und gute Sache.
Hier gibt es also einen Fortschritt. Woran wird noch gearbeitet?
Silverman: Das aktuellste Thema, an dem wir arbeiten, ist das Kreuz beim früheren World Trade Center. Es ist eine sehr polarisierende Angelegenheit. Wir wissen, dass Religion vor allem in schlechten Zeiten erfolgreich ist. Wenn Menschen verletzt werden, springt die Religion dort hinein. Sie wartet nicht darauf, dass die Dinge gut sind. Religion gedeiht in schlimmen Zeiten. Und bei 9/11 wurde das World Trade Center von islamischen Radikalen zerstört, die den Kapitalismus und die „Ungläubigen“ in Amerika angreifen wollten – es hatte nichts mit dem Christentum zu tun. In den Überresten gab es eine Menge Stahlsäulen. Eine von diesen, die wie ein Kreuz aussah, haben sie sich genommen und es vor einer Kirche aufgebaut. Und wie ich schon sagte: Menschen, also Christen in Amerika, mögen es, zu glauben, was sie gerne glauben möchten. Sie sind keine kritischen Denker. Sie denken also, dieses Kreuz sei ein Zeichen von Gott und dass Jesus bei 9/11 mit ihnen war. Also versuchen sie nun, dieses Ereignis zu einem christlichen Ereignis zu machen. Grundsätzlich können sie glauben und denken, was sie wollen. Aber was sie nun versuchen ist, dieses eine Kreuz in die Gedenkstätte für das World Trade Center zu bringen. Sie pflanzen es auf dem öffentlichen Gelände des Gedenkortes auf, mit öffentlichen Finanzmitteln und haben sogar einen Priester geholt, den Boden zu weihen. Sie stellten das Kreuz in einer religiösen Zeremonie auf. Das ist vollkommen illegal.
Darum fragte ich, ob die Vereinigten Staaten wirklich ein säkulares Land sind. Es gibt das Treuegelöbnis mit der Formel „Eine Nation unter Gott“ seit über 50 Jahren, der Wahlspruch lautet „Wir vertrauen auf Gott“ und da laufen Priester herum, die Gedenkorte weihen. Sind die USA wirklich ein säkularer Staat?
Silverman: Das hängt davon ab, was man unter einem „säkularen Staat“ versteht. Unsere Gesetze sind säkular. Das Gesetz sieht die Trennung von Staat und Kirche vor. Aber das Gesetz wird gebrochen und unser Land bricht seine eigenen Gesetze sehr oft. „Eine Nation unter Gott“ und „Wir vertrauen auf Gott“ waren zweifelsohne illegale Schritte, die das Land getan hat. Und auch das Kreuz beim World Trade Center ist ein illegaler Schritt durch das Land. Das Problem ist, dass die große Mehrheit der Menschen im Land nicht den Wert säkularer Prinzipien wie der Trennung von Staat und Kirche versteht. Sie denken: „Oh, es ist meine Kirche, also ist es in Ordnung, wenn sie mit dem Staat verschmilzt – es geht doch um Jesus.“ Sie verstehen nicht, dass Theokratien jeden beeinträchtigen, mit Ausnahme der Priester und willfährigen Politiker. Aber jeder Schritt, der uns von der Trennung von Staat und Kirche entfernt, ist ein Schritt weg von der Freiheit. Ist es also ein säkulares Land? Nach dem Gesetz ja. In der Praxis? Nicht so sehr, wie es sein sollte.
Wie waren die Reaktionen auf den Protest gegen das Kreuz vom World Trade Center?
Silverman: Die Reaktionen von den christlichen Gemeinschaften waren sehr, sehr harsch. Aber wir bekommen auch von der säkularen Bewegung Gegenwind. Letzteres entmutigt mich ein wenig, denn in der säkularen Bewegung sind Leute mit der Meinung, dass wir das einfach geschehen lassen sollten. Aber wir werden das nicht geschehen lassen. Wir werden nicht zulassen, dass Christen 9/11 zu einem christlichen Ereignis und ihrem Gedenktag machen und Atheisten ausgeschlossen werden. Das ist illegal und wir werden das nicht zulassen. Das laufende Gerichtsverfahren sieht gut aus. Ich glaube, dass wir es gewinnen. Die Christen werden es ertragen müssen, hier kein Monopol zu bekommen – denn das wollen sie ja. Ein Monopol im World Trade Center. Sie wollen keinen von uns dabei haben, sondern die ganze Sache für sich. Sie werden es nicht bekommen. Die Atheisten, welche uns für den Protest und die Klage kritisiert haben, werden am Ende verstehen, dass es richtig war und wir in diesem Punkt Recht hatten.
Wann ist das Urteil zu erwarten?
Silverman: Schwer zu sagen. Es sollte nicht mehr als einige Monate brauchen, aber es könnte auch Jahre dauern. Das erwarte ich aber nicht.
Angenommen, dieser Fall wird erfolgreich erledigt. Was steht als nächstes auf der Agenda?
Silverman: Ein Ereignis mit den Namen „The Reason Rally“. Das ist das größte Ding, mit dem sich die amerikanischen Atheisten derzeit beschäftigen. Und es wird das größte Atheisten-Event in der Weltgeschichte, das jemals irgendwo stattgefunden hat. Wir hoffen auf 25.000 bis 50.000 Besucher, die am 24. März im Zentrum von Washington D.C. zusammenkommen.
Das ist kurz vor „Rock Beyond Belief“ bei den US-Soldaten, oder?
Silverman: Ja, eine Woche vorher. Es wird Musik geben, Comedy und Vorträge von Richard Dawkins, Taslima Nasreen, PZ Myers und vielen anderen geben. Wir wollen, dass die Atheisten aus ihren Schlupflöchern heraus- und zusammenkommen. Es werden auch Politiker und Militärangehörige dort sein. Die Botschaft soll sein: Wir sind hier, wir sind relevant und wir wollen ernstgenommen werden. Das ist die größte Sache, mit der sich Atheisten in den Vereinigten Staaten jetzt beschäftigen. Wir zählen dabei auch auf die internationale Community, auf dass sie das Ganze bekannt macht, jeder davon hört und versteht, wie wichtig es ist und schließlich hoffen wir, dass möglichst viele Menschen kommen.
Wie soll das finanziert werden?
Silverman: Zu den kooperierenden Gruppen gehören nicht nur die American Atheists. Alle Gruppen amerikanischer Atheisten tragen dazu bei, außerdem haben wir einige Zuschüsse von Großspendern erhalten. Zusätzlich werden T-Shirts und andere Dinge verkauft. Wir rechnen damit, dass so die gesamte Finanzierung gesichert werden kann und vielleicht am Ende noch etwas für die Zukunft übrig bleibt.
Wie lauten die Namen von Großspendern?
Silverman: Die Stiefel Freethought Foundation hat eine erhebliche Menge Geld für das Ereignis gespendet. Todd Stiefel hat uns da in großartiger Weise unterstützt.
Was ist mit Bill Gates?
Silverman: Nichts bisher.
Gibt es da wirklich Hoffnung?
Silverman: Klar, wir hoffen darauf. Aber möglicherweise werden wir von Bill Gates und Warren Buffet auch nichts bekommen.
Haben sich die US-Atheisten schon beim Giving Pledge beworben?
Silverman: Ja. Aber ich glaube sie werden es nicht wagen, uns zu unterstützen. Wir sind einfach zu kontrovers in den Vereinigten Staaten.
Nur die American Atheists oder die ganze Bewegung?
Silverman: Die gesamte Bewegung. Wenn Bill Gates für Atheisten Geld gäbe, würde man ihn hier teeren und federn.
Welche Unterschiede sind zwischen den USA und Europa zu erkennen?
Silverman: Da gibt es große Unterschiede. So sehr ich die Probleme in Europa verstehe und so wenig ich die Angelegenheiten von Atheisten dort herabsetzen möchte: Ich wünschte, ich hätte solche Probleme wie ihr in Europa. Die norwegischen Humanisten haben 78.000 Mitglieder. Ich werden keine 78.000 Mitglieder in meiner Lebenszeit finden. (lacht) Naja, vielleicht auch eher nicht in der nächsten Dekade. Wir haben 3.500 Mitglieder. Wenn wir 78.000 Mitglieder hätten, würden wir wohl den ganzen Tag lächeln.
Glaubt ihr, die Religion besiegen zu können und sie in die Ecke der Wirklichkeit zurückdrängen zu können, wo sie ihren angemessenen Platz hat?
Silverman: Oh, ja. Ich bin mir sicher, wir können das. Ich bin mir absolut sicher, wir werden es schaffen. Zwischen Europa, Kanada und Asien gelegen, sind die äußeren Einflüsse auf Amerika riesig. Mit dem Internet, der Wissenschaft und der großen Menge nichtreligiöser Jugendlicher wird es in 20 Jahren eine erhebliche Menge mehr Unterstützung geben. Ich denke wir haben also gute Chancen, dass wir gewinnen.
David Silverman, herzlichen Dank für das Interview.
Das Interview führte Arik Platzek in Oslo.