Theo-Logie im Wandel?

AUGSBURG. Die DGHS-Verbandszeitschrift „Humanes Leben - Humanes Sterben" (HLS) vor Ostern regt zum Mit- und Nachdenken an. Offene Fragen

zu existenziell sensiblen Bereichen; THEO-LOGIE im Wandel?

Kurz vor Ostern, dem höchsten Fest der Christenheit, zeigt diese HLS eine andere Seite des Christentums, die zum Nachdenken anregen möge. Die Titelseite, das Editorial IM BRENNPUNKT (S. 3) und die Seiten 48 bis 49 stellen die Frage nach dem ursprünglichen SINN der im Neuen Testament (NT) dargelegten Weltanschauung und ihrer Symbolik. Haben die großen Weltreligionen diesen im NT geschilderten Rabbiner verkannt, einseitig, gar falsch interpretiert?
Müssten die christlichen Kirchen, recht verstanden, gar die Sterbehilfe-Bewegung unterstützen, wenn nicht, so doch zumindest fair tolerieren?
Wäre dieser dort geschilderte Jesus von Nazareth heute ein Vorkämpfer für die Menschenrechte Sterbender? Hatte er sich nicht damals (sofern die Schilderungen zutreffen, die uns das NT gibt) für die Benachteiligten der Gesellschaft, für die Außenseiter, auch für die Sterbenden und Schwerkranken eingesetzt? Für die Schwachen, die Leidenden?

Könnten Begriffe wie „Sterben", „Tod" und „Auferstehung" möglicherweise gänzlich anders interpretiert werden als dies die Kirchen in ihrer Jahrtausendealten Dogmengeschichte tradiert und womöglich lediglich aus Gründen der Machtpolitik bekreuzigt haben? War gemäß NT ein Saulus nicht „auferweckt" worden im Glauben, war er nicht als Saulus gestorben und neu auferstanden zum Paulus? Könnte es deshalb nicht sein, dass die Begriffe „Auferstehung" und „Tod" mit Bezug auf das NT in der Regel symbolisch-transzendent und nicht biologisch-medizinisch zu verstehen sind?

Hatten und haben die Kirchen falsche Interpreten, wenn sie bis heute dem Menschen ein Verfügungsrecht über das eigene Leben abstreiten, wo dies im religiösen Sinn doch eher ein Verfügungsrecht über den eigenen Glauben zu sein hätte? Ist die Meinung der Mehrheit der Bürger in Deutschland denn falsch, wenn schon zur Jahrtausendwende eine repräsentative Umfrage erkennbar machte, dass auch die Mehrheit der christlich Orientierten das Verfügungsrecht über das (biologische) Leben nicht bei einem bzw. ihrem („)Gott(„) sieht?

Begehen Kirchen & kirchennahe Organisationen einen kardinalen und päpstlichen Fehler, wenn sie gegen Sterbehilfegesellschaften zum geistlichen Kreuzzug blasen? Sollten sie nicht besser Liebe predigen gegenüber denjenigen Menschen, die sich aus dem biologisch-medizinischen Joch von eigener Hand befreien möchten? Wäre es nicht besser, die Kirchen würden sich ausschließlich um ihren Bereich, den des Glaubens ihrer Kirchgänger kümmern, also um den Bereich der Symbolik und Kraft des Glaubens, um den Saulus in den eigenen Reihen?

Haben Kirchen und Sterbehilfebewegungen mit den gleichen Begriffen um etwas gestritten, was nicht vergleichbar ist: Das konkrete biologisch-medizinische Leben einerseits und das Leben (und Sterben) im Glauben an bestimmte Dogmen andererseits?

Die DGHS-Verbandszeitschrift kann hier letztlich nur Fragen stellen. Die Artikel, in denen diese Überlegungen angestellt werden, sind namentlich bzw. mit Autorenkürzel gekennzeichnet und insoweit nicht ausdrücklich DGHS-Position; aber sie stehen im engen Zusammenhang mit dem Positionspapier DGHS & Kirchen, das in HLS 4/2006 veröffentlicht wurde.

Der Artikel über „Die Symbolik von ‚Leben' und ‚Tod' im Christentum" konnte aus Platzgründen nur einen kleinen Teil der Analysen und jahrelangen Untersuchungen des Autors streifen. Damit rufe ich zu einem nicht nur thesenhaften Disput auf, der sich mit der Anregung verbindet, dass sich die Vertreter der christlichen Kirchen diesen Gedanken stellen. Der heutige Papst hat ausdrücklich vermerkt, dass die theologischen Interpretationen fortgeschrieben werden. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass sich mit den hier gestellten Fragen eine neue Offenheit ergibt, deren Ziel es sein könnte, verständnisvoller auf die Menschen zuzugehen, die ihr biologisches Leben aus tiefstem Empfinden beenden möchten und darum bitten, jene Blockaden aufzulösen, die so vielen Leidenden immer noch die ihnen in Verfassung und Menschenrechten bekundete Würde versagen.

Toleranz ist in diesen sensiblen und existenziell wichtigen Fragen geboten. Wer in der Deutschen Gesellschaft Für Humanes Sterben (DGHS) Mitglied ist oder Mitglied werden möchte, wird nicht mit Dogmen konfrontiert, die Voraussetzung für eine Mitgliedschaft wären. Jede Mitgliedschaft ist freiwillig und bedarf der Willensbekundung volljähriger Bürger. Mit der Mitgliedschaft ist keine Pflicht verbunden, eine Patientenverfügung auszufüllen oder andere Willensbekundungen zu unterschreiben. Die DGHS bietet gleichermaßen einen Patientenschutzbrief zur lebenserhaltenden Therapie wie einen zum Behandlungsabbruch an. Dies machen in der neuen HLS 2/2007 auch jene Beiträge deutlich, die das DGHS-Angebot im Umfeld der aktuellen Diskussionen zur Patientenverfügung (Bundestag) erläutern und Tipps geben, wie sich schon heute aufgeklärte Menschen klug absichern können.

Es läge mir am Herzen, dass diese Welt friedlicher wird, auch und insbesondere für die Sterbenden, die ihren Frieden suchen, innerhalb wie außerhalb von Traditionen, Glauben und Weltanschauungen.

Mögen deshalb die hier verbreiteten Anregungen und Gedanken weitere Verbreitung finden. Jeder sei aufgerufen, sich daran zu beteiligen, über die Mauern eigener Interessen hinaus.

In diesem Sinne danke ich allen Mitwirkenden, vor allem denen, die im Bewusstsein ihrer Verantwortung gegenüber den in diesen Minuten und künftig Sterbenden - also uns allen - vom Willen beseelt sind, nicht nur dem Frieden in dieser oft barbarischen Welt zu dienen, sondern vor allem auch dem Frieden individuellen Würde-Empfindens.
EIN ICH & MENSCH UNTER VIELEN

 

Kurt F. Schobert