Assistierter Suizid – große Unkenntnis über die Rechtslage

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DGHS-Präsident Prof. Robert Roßbruch
DGHS-Präsident Prof. Robert Roßbruch

Beim Thema "assistierter Suizid" gibt es in Deutschland einen hohen Grad an Unkenntnis und entsprechend auch Verunsicherung. Das hat eine repräsentative Bevölkerungsbefragung ergeben, die das Institut forsa (Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen) im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) durchgeführt hat.

Beim "assistierten Suizid" helfen Ärzte oder andere Personen dem Patienten, sich durch verschriebene oder zur Verfügung gestellte Medikamente selbst zu töten. Der Patient muss das Medikament jedoch selbst einnehmen und darf es nicht von einer anderen Person verabreicht bekommen.

Professor Robert Roßbruch, Präsident der DGHS, stellte die forsa-Studie in der Bundespressekonferenz in Berlin vor. Eines der überraschenden Ergebnisse der Befragung von 1.203 nach einem systematischen Zufallsverfahren ausgewählten Bundesbürgerinnen und -bürger ab 18 Jahren war dies: Nur 15 Prozent wissen, dass es in Deutschland erlaubt ist, eine solche Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. 83 Prozent glauben irrig, dies sei strafbar.

Der DGHS-Präsident dazu: "Diese Teilergebnisse der forsa-Umfrage zeigen, dass noch viel Aufklärungsarbeit in Deutschland notwendig ist, um das erschreckend hohe Informationsdefizit in der Bevölkerung zum Thema assistierter Suizid abzubauen." Dass der Grad der Unkenntnis der Rechtslage so hoch ist, führt Roßbruch darauf zurück, "dass immer wieder kolportiert wird – insbesondere durch Politiker, aber auch durch Ärzteverbände – dass wir eine rechtlich nicht geregelte Grauzone hätten." Dies sei falsch. Es gebe keine Grauzone. "Die Rechtslage ist eindeutig und klar vorgegeben vom Bundesverfassungsgericht." Wenn die Entscheidung zur Inanspruchnahme der Suizidassistenz frei verantwortlich von einer urteils- und entscheidungsfähigen Person getroffen wurde, sei diese eben gerade nicht strafbar. Im Falle eines Missbrauchs gebe es die Regelungen des Strafgesetzbuchs über die (strafbare) Tötung auf Verlangen.

Die Macher der Umfrage klärten die Befragten nach der einleitenden Frage über deren rechtlichen Kenntnisstand darüber auf, dass der assistierte Suizid gerade nicht gesetzlich verboten ist. Sondern dass es in Deutschland grundsätzlich erlaubt ist, einer Person, die freiverantwortlich beschlossen hat zu sterben, Hilfe beim Suizid zu leisten, indem man das Medikament bereitstellt. Daran schloss sich die Frage an, wie die Befragten diese Rechtslage bewerten. Eine große Mehrheit von 84 Prozent der Bürgerinnen und Bürger findet das sehr gut (27 Prozent) oder gut (57 Prozent). Nur 15 Prozent finden es weniger gut (11 Prozent) oder überhaupt nicht gut (4 Prozent), dass der assistierte Suizid in Deutschland grundsätzlich erlaubt ist.

Problem: Bewegungsunfähige Menschen?

Nun gibt es Situationen, in denen Menschen ein tödliches Medikament nicht mehr selbst einnehmen können. Entsprechend wurde von forsa die Frage gestellt: Es gibt Menschen, die durch eine Krankheit oder einen Unfall ihre Bewegungsfähigkeit verloren haben. Wenn diese Menschen sterben möchten, sind sie daher nicht mehr in der Lage, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Wie ist in einem solchen Fall Ihre Haltung zum assistierten Suizid?

87 Prozent meinen, dass es in Deutschland in dieser Situation auf jeden Fall (45 Prozent) oder eher (42 Prozent) erlaubt sein sollte, dass ein Arzt oder eine Ärztin ein todbringendes Medikament nicht nur zur Verfügung stellt, sondern auch verabreicht, vorausgesetzt, die sterbewillige Person wünscht das ausdrücklich. 12 Prozent finden, dies sollte eher nicht (9 Prozent) beziehungsweise auf keinen Fall (3 Prozent) erlaubt sein. Roßbruch dazu: "Dies wäre aktive Sterbehilfe. Diese ist für uns als DGHS derzeit kein Thema. Wir haben im Strafgesetzbuch das Verbot der aktiven Sterbehilfe. Dennoch war es uns wichtig, auch dieses Thema in der Umfrage anzusprechen."

Problem: Demenzerkrankte

Eine ähnlich heikle Frage schloss sich an: Wenn Menschen aufgrund von Krankheiten wie zum Beispiel Demenz nicht mehr zu freien Entscheidungen fähig sind oder diese Entscheidungen nicht mehr äußern können – wie stehen Sie dann zu einem assistierten Suizid?

Insgesamt 72 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass es in diesen Fällen auf jeden Fall (34 Prozent) oder eher (38 Prozent) erlaubt sein sollte, dass ein Arzt oder eine Ärztin ein todbringendes Medikament verabreicht, vorausgesetzt, die Person hat einen entsprechenden Wunsch vorher verbindlich schriftlich festgelegt. 27 Prozent meinen, dass der assistierte Suizid in diesen Fällen eher nicht (18 Prozent) beziehungsweise auf keinen Fall (9 Prozent) erlaubt sein sollte.

Roßbruch stellte klar, dass auch diese Konstellationen ein Fall der aktiven Sterbehilfe sei. Weil ja der oder die Betroffene selbst zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr urteilsfähig ist. Roßbruch: "Wir können uns als DGHS sehr gut vorstellen, so etwas in einer Patientenverfügung zu regeln. Aber weil es auch hier um eine aktive Sterbehilfe geht, sind diese Fälle derzeit nicht auf der politischen Agenda der DGHS."

Problemfall psychische Erkrankung

Hinsichtlich eines assistierten Suizids bei psychisch erkrankten Personen sind die Meinungen der Befragten gespalten: 45 Prozent finden, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland auf jeden Fall (16 Prozent) beziehungsweise eher (29 Prozent) Hilfe beim Suizid erhalten sollten, sofern ihr Urteilsvermögen durch die Erkrankung nicht beeinträchtigt ist.

Eine knappe Mehrheit von 52 Prozent ist der Ansicht, dass psychisch erkrankte Menschen eher nicht (37 Prozent) oder auf keinen Fall (15 Prozent) Hilfe beim Suizid erhalten sollten.

Suizid im Pflegeheim

Häufig verlangen Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime oder Hospize, dass Sterbewillige für den assistierten Suizid die Einrichtung verlassen müssen.

79 Prozent der Befragten meinen, dass der assistierte Suizid auch in diesen Einrichtungen auf jeden Fall (46 Prozent) beziehungsweise eher (33 Prozent) möglich sein sollte, wenn Sterbewillige das wünschen. Dass dies eher nicht (14 Prozent) oder auf keinen Fall (5 Prozent) möglich sein sollte, sagen insgesamt 19 Prozent der Befragten.

Roßbruch beklagte, dass Einrichtungen in katholischer Trägerschaft es kategorisch ablehnten und die betroffene Person in solchen Fällen in einem Krankentransport zu einem Familienangehörigen gebracht werden müsse, um den Sterbewunsch in dessen Wohnung zu verwirklichen. Das sei inhuman. Evangelische Einrichtungen handhabten dies mittlerweile liberaler. Roßbruch: "Das Berufen auf das Hausrecht kann kein Grundrecht aushebeln." Die DGHS will diese Fragen in einem Musterprozess klären lassen. (Der hpd hat ausführlich über das Thema berichtet.)

Kosten und Informationen

Zurzeit müssen Sterbewillige die Kosten (mehrere Tausend Euro, siehe unten) für einen assistierten Suizid selbst tragen. Eine knappe Mehrheit von 52 Prozent der Bürgerinnen und Bürger ist der Meinung, dass die Kosten für eine Suizidhilfe zukünftig von den Krankenkassen übernommen werden sollten. 44 Prozent meinen, die Kosten sollten weiterhin von den Sterbewilligen selbst bezahlt werden.

Nahezu alle Befragten (93 Prozent) finden es sehr wichtig (56 Prozent) oder wichtig (37 Prozent), dass in Deutschland leicht zugängliche und seriöse Informationen zum Thema Sterbehilfe zur Verfügung stehen, also zum Beispiel von staatlichen Stellen oder gesundheitlichen Einrichtungen und Organisationen. Roßbruch: "Es ist ein Armutszeugnis, dass etwa die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nicht dafür sorgt, leicht zugängliche und seriöse Informationen über Suizidassistenz in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Hier besteht noch ein riesen Handlungsbedarf."

Als Fazit der Umfrage stellte der DGHS-Präsident fest: "Die Mehrheit der Menschen hat aufgrund der fatalen Informationslage kaum eine Chance, von ihrem Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende Gebrauch zu machen. Hier besteht dringender Aufklärungsbedarf. Eine Aufklärung der Ärzteschaft über die Rechtslage und über die Praxis der Freitodhilfe sowie entsprechende Fortbildung würde die Ausgangslage verbessern."

Wie die Freitodhilfe funktioniert

Das Thema Suizid ist ein Thema, über das verständlicherweise nicht gern gesprochen wird. Dabei liegt die Zahl der Suizide in Deutschland bei jährlich 10.500. In den allermeisten Fällen bleiben die Sterbewilligen auf sich selbst gestellt. Mit allen Folgen oftmals brutaler oder würdeloser Selbsttötungen. Etwa 1.200 Fälle geschehen im Rahmen von Freitodbegleitungen, also dem assistierten Suizid. Die von knapp 39.000 Mitgliedern getragene DGHS führt, anders als Dignitas oder der Verein Sterbehilfe, selbst keine Freitodbegleitungen durch. Sie versteht sich als Bürgerrechts- und Patientenschutzorganisiation, vermittelt aber eine Freitodbegleitung. Wie das funktioniert, erklärte Roßbruch auf hpd-Nachfrage:

Ein Mitglied stellt einen entsprechenden Antrag bei der DGHS. Dieser wird von Mitarbeitern (Psychologen und Sozialpädagogen) geprüft. Gegebenenfalls wird ein fachärztliches Gutachten angefordert. Dann gehen die Unterlagen zu einem zentralen Koordinator, einem Jurist. Dieser verteilt die Unterlagen an das örtlich zuständige Freitod-Begleitungsteam: ein Arzt und ein Jurist. Diese nehmen Kontakt auf mit dem Antragsteller. Das folgende juristische und ärztliche Gespräch wird protokolliert. Dann wird, wenn gewünscht, ein Termin für die Freitodbegleitung vereinbart, bei der der Jurist und der Arzt und möglichst auch Angehörige dabei sein werden. Nach Eintreten des Todes ruft der Jurist die Kriminalpolizei an, um den Tod zu melden und den Fall überprüfen zu lassen. Die Kosten für DGHS-Mitglieder (jährlicher Mitgliedsbeitrag: 60 Euro) bei einer von der DGHS vermittelten Freitodbegleitung betragen 4.000 Euro, bei Paaren sind es insgesamt 6.000 Euro. Es gibt aber auch einen Solidarfonds für bedürftige Mitglieder.

DGHS-Statistik 2024

Die DGHS vermittelte im Jahr 2024 insgesamt 623 Freitodbegleitungen. Hauptmotiv der Betroffenen waren Multimorbidität (mehrere Krankheitsbilder) und Lebenssattheit, gefolgt von Krebserkrankungen und neurologischen Erkrankungen wie ALS, MS oder Parkinson im Endstadium. Die weitaus größte Gruppe der von der DGHS vermittelten Freitodbegleitungen betraf die 80-89-jährigen. Knapp 63 Prozent waren weiblich. In 38 Fällen ging es um Doppelbegleitungen, also Fälle, in denen etwa Ehepartner gemeinsam aus dem Leben scheiden wollten. Die älteste vermittelte Antragsstellerin war 98 Jahre alt (Motiv Lebenssattheit), die jüngste eine 24-jährige schwerstkranke Frau, auch die Eltern befürworteten den Suizid. Das Durchschnittsalter lag bei 80 Jahren (Frauen) und knapp 78 Jahren (Männer). 18 Freitodbegleitungen fanden in stationären Einrichtungen statt.

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