Freidenker und Sozialist

BERLIN. (hpd) Am 17. Januar 1944 wurde im berüchtigten Zuchthaus Brandenburg-Görden das Todesurteil gegen einen entschiedenen Freidenker

  und Sozialisten vollstreckt, der auch heute in weiten Teilen der säkularen Szene unbekannt ist: Max Sievers

 

Der Humanistische Verband gedachte am gestrigen Tag an der Ehrengrabstätte des Landes Berlin für Max Sievers eines Mannes, der sich zeitlebens für einen streitbaren und praktischen Humanismus einsetzte. Sein Todestag war auch Anlass auf die Notwendigkeit antifaschistischen und friedenspolitischen Engagements, gerade in einer Zeit wachsender fremdenfeindlicher Ausschreitungen sowie brutaler Überfälle auf Minderheiten, hinzuweisen und rechtsradikalen Tendenzen entschieden entgegenzutreten.

Max Sievers wurde am 17. Juli 1887 in Tempelhof als Sohn einer kinderreichen Arbeiterfamilie geboren. Seinen Eltern war es aus finanziellen Gründen nicht möglich, ihm eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Durch Besuche von kaufmännischen Kursen an einer Abendschule qualifizierte er sich weiter, sodass ihm der schwierige Sprung vom ungelernten Arbeiter zum Angestellten gelang. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges beendete die sich abzeichnende bürgerliche Karriere als Prokurist.

Die Erlebnisse des Krieges machten aus Sievers, der vor 1914 Mitglied der SPD geworden war, einen engagierten Sozialisten. Er schloss sich noch vor 1918 der USPD an, die er in Neukölln als Stadtverordneter vertrat. Im Herbst 1922 machte Sievers die Wiedervereinigung von USPD und SPD mit, arbeitete jedoch in der Partei in den folgenden Jahren nicht an führender Stelle mit, obwohl er von der SPD 1932 als Abgeordneter des Preußischen Landtages nominiert wurde. Dafür baute er seit 1922 als Geschäftsführer und später als erster Vorsitzender den Deutschen Freidenkerverband (DFV) zu einer der bedeutendsten Organisationen der sozialdemokratisch geprägten Arbeiterkulturbewegung in der Weimarer Republik aus. Der DFV hatte 600000 Mitglieder, als er 1933 von den Nazis aufgelöst, verboten und seines Vermögens beraubt wurde.

Nach der „Machtergreifung" durch die Faschisten wurde Sievers Ende März 1933 verhaftet, nach drei Wochen jedoch wieder freigelassen. Er nutzte die Entlassung dazu, über die Tschechoslowakei und Schweiz in das noch nazifreie Saarland zu flüchten, von wo er illegal den „Freidenker" in das Reichsgebiet bringen ließ. Er konnte auch noch das in seinen Händen befindliche Barvermögen des DFV bei einer Gewerkschaftsbank in den USA anlegen.

Nach dem „Anschluss" der Saar flüchtete Sievers nach Belgien und setzte von dort seinen Kampf fort. In unregelmäßigen Abständen ließ er einen „Informationsbrief", bekannter unter dem Namen „SIKO", erscheinen, der „den sozialistischen Kämpfern in Deutschland als theoretisches Rüstzeug dienen" sollte. Ab 1936 gab Sievers auch die Kampfschrift „Freies Deutschland" heraus, an der auch Heinz Kühn, der spätere Ministerpräsident in NRW, mitarbeitete.

Unbeugsamer Kampf gegen den Faschismus

Nach der Besetzung Belgiens tauchte Sievers in Nordfrankreich unter, wo er am 3. Juni 1943 durch eine Denunzierung der Gestapo in die Hände fiel. Der Präsident des Volksgerichtshofs, Freisler, verurteilte den Unbeugsamen im November 1943 zum Tode.

„Wenn wir uns in dieser Stunde fragen", so der Geschäftsführer des HVD Berlin, Manfred Isemeyer am Grab vom Max Sievers, „welche Bedeutung das unerschrockene und aufrechte Wirken von Max Sievers für uns Heutige persönlich, für die humanistische Bewegung und für die politische Kultur unseres Landes hat, mögen die Antworten unterschiedlich ausfallen: Humanisten und Freidenker ehren in Max Sievers den befähigten Organisator ihres größten Verbandes, die sozialdemokratische Bewegung erinnert sich mit Achtung an seinen Kampf um eine Gesellschaftsverfassung, in der Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit für alle Wirklichkeit werden sollte. Auch wer weder Sozialist noch Humanist ist, bekundet in der Erinnerung an Max Sievers einem Manne höchsten Respekt, der im Kampf um den menschenverachtenden Faschismus für die Unteilbarkeit der Humanität eintrat, dabei sein Leben in die Waagschale warf und es schließlich verlor. Die politische Kultur eines Gemeinwesens wie die Bundesrepublik Deutschlands lebt auch von der Erinnerung an solche Gestalten, die uns Mahnung und Verpflichtung zugleich sind, gegen jeden Totalitarismus und Fundamentalismus unsere Stimme zu erheben und an der Ausgestaltung einer wahren humanen Gesellschaft mitzuarbeiten."

A.K.