Zusammenfassung zu Verschwörungstheorien

(hpd) Der Soziologe Andreas Anton will einen erweiterten Ansatz zur Analyse von Konspirationsauffassungen präsentieren. Dabei überschätzt er in seiner ansonsten durchaus anregenden Studie den innovativen Gehalt der gewählten Perspektive gegenüber der bisherigen Forschung zum Thema.

Auffassungen, wonach hinter bedeutenden politischen Ereignissen von Attentaten über Kriege bis zu Wirtschaftskrisen konspirative Mächte stecken, finden als „Verschwörungstheorien“ seit Jahrhunderten weltweit Verbreitung. Die sozialwissenschaftliche Forschung hat derartigen monokausalen und stereotypen Deutungen sozialer Realität nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Gleichwohl erschienen einige Aufsätze und Bücher, die nicht nur eine inhaltliche Kritik an der Angemessenheit und Richtigkeit solcher Auffassungen vornahmen. Darin fragte man auch nach den Funktionen und Strukturen, Protagonisten und Zielgruppen von „Verschwörungstheorien“. An diese Forschungen will der Soziologe Andreas Anton mit seiner Arbeit „Unwirkliche Wirklichkeiten. Zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien“ anknüpfen. Darin soll in den Worten des Autors die „Frage behandelt werden, „ob verschwörungstheoretischen Deutungen im Allgemeinen als eine eigene Formkategorie sozialen Wissens betrachtet werden können“ (S. 15).

Zunächst geht Anton aber auf die Bestimmung einschlägiger Begriffe wie „Verschwörung“ oder „Verschwörungstheorie“ in der Literatur ein und präsentiert eine Definition seiner eigenen Arbeitsbegriffe. Danach konzentriert er sich zunächst auf die einzelnen Behauptungen zur Konspiration von Hexen und Satanisten, Juden und Freimaurern, Geheimdiensten und Außerirdischen. Welche Funktionen und Ursachen solche Auffassungen als Ausdruck politischer Entfremdung und paranoiden Stils aus psychodynamischer und sozialpsychologischer Sicht jeweils haben, steht danach im Zentrum des Interesses. Erst dann geht Anton auf sein eigentliches Anliegen ein, die Analyse von Verschwörungstheorien aus wissenssoziologischer Sicht. Dabei grenzt er seine Perspektive wie folgt von den bisherigen Ansätzen ab: „Ausgangspunkt ist ... nicht eine Befassung mit der ‚objektiven Wahrheit’ oder Folgerichtigkeit von Wissen, sondern vielmehr mit der subjektiven Gültigkeit für seine Produzentinnen und Produzenten bzw. Konsumentinnen und Konsumenten“ (S. 62).

Als diesbezügliche Hypothesen formuliert der Autor: „Verschwörungstheorien als Formkategorie sozialen Wissens sind weitestgehend analog zu sozialen Deutungsmustern aufgebaut und erfüllen somit folgende psychosozialen Funktionen. Komplexitätsreduktion, Antizipation von Situationsentwicklungen, Verständigung über Grenzsituationen, Erzeugung sozialer Gemeinschaft“ (S. 85). Eine Überprüfung der damit verbundenen Annahmen soll dann am Beispiel von Konspirationsvorstellungen über die Terroranschläge vom 11. September 2001 erfolgen. Dabei geht es Anton einerseits um die Literatur von Anhängern einschlägiger „Verschwörungstheorien“ und andererseits um die Reaktionen der etablierten Medien darauf. Im Sinne eines Ergebnisses heißt es u.a.: „Als gesellschaftlich konstruierte Wissensbestände, welche sich über Prozesse der Externalisierung, Objektivierung und Internalisierung konstituieren, erfüllen Verschwörungstheorien die Funktion, menschliches Erleben und Handeln mit Sinn zu versehen“ (S. 119).

Antons Studie, die auf seiner Magisterarbeit an der Universität Freiburg basiert, gibt einen guten Überblick zur einschlägigen Forschung, wobei auch die im deutschsprachigen Raum bislang nur eingeschränkt berücksichtigen Publikationen aus den USA ausführlicher gewürdigt werden. Gleichwohl kann sein Anspruch, mit der wissenssoziologischen Dimension eine neue Perspektive für die Forschung aufzuzeigen, nicht überzeugen. All die Aspekte, die als innovativ und originär gelten sollen, finden sich in den bisherigen Arbeiten zum Thema sehr wohl auch. Es ist keineswegs so, dass die frühere Forschung primär auf die Entlarvung der „Verschwörungstheorien“ als Ausdruck falscher und wirklichkeitsfremder Behauptungen ausgerichtet war. Man hat auch dort Analysen der Ideologien unabhängig von deren Wahrheitsgehalt vorgenommen. Anton selbst zitiert in den Kapiteln zur wissenssoziologischer Sicht selbst einschlägige frühere Arbeiten. Der Nutzen seiner Studie liegt daher auch mehr in der Darstellung bisheriger Interpretationsansätze.

Armin Pfahl-Traughber

 

Andreas Anton, Unwirkliche Wirklichkeiten. Zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien (PeriLog. Freiburger Beiträge zur Kultur- und Sozialforschung 5), 139 S., 22 €