(hpd) In Frankreich findet derzeit ein von ganz oben inszenierter Angriff auf die Laizität statt. Präsident Sarkozy hält nicht nur
die Regenbogenpresse ständig in Atem mit aufregenden Geschichten mit seiner neuen Frau. Er trägt auch ein Moralerziehungsprogramm in sich, von dem immer neue Details bekannt werden. Vergangene Woche hatte Sarkozy angeregt, jeder Viertklässler solle eine Art Patenschaft für eines der rund 11.000 französischen Kinder übernehmen, das im Holocaust ums Leben kam. Die Auschwitz-Überlebende und Ehrenvorsitzende der französischen Shoah-Stiftung, Simone Veil, nannte Sarkozys Vorschlag „unvorstellbar und unerträglich“. Niemand könne von zehnjährigen Schülern verlangen, „sich mit einem toten Kind zu identifizieren“, sagte sie.
Der französische Präsident meldet sich bei dieser dosierten Belieferung der Franzosen mit Moralschnipseln auch immer öfter religionspolitisch zu Wort.
Dazu ein Kommentar vom Philosophen Prof. Dr. Frieder Otto Wolf:
In drei programmatischen Reden, die er in der römischen Lateransbasilika, im saudischen Ar-Ryad und in Paris zur Eröffnung des neuen Jahres gehalten hat, ist Präsident Sarkozy zum Angriff auf die französische Form der Trennung von Kirche und Staat übergegangen, in Gestalt der 1905 gesetzlich festgelegten „Laizität“ der Französischen Republik.
Unter dem Titel eines „positiven Laizismusverständnisses“ beschwört er die religiös Gläubigen aller Glaubensrichtungen als ideologische Grundlage der Republik – weil „die Republik Menschen, die glauben und (darum) hoffen benötigt“, um nicht in ethische Anarchie und Nihilismus zu verfallen.
Immerhin bekennt er sich in gewisser Weise zur Toleranz: „Jene, die nicht glauben, müssen vor allen Formen von Intoleranz und Bekehrungseifer geschützt werden.“ Die Gläubigen sind es, die der Staat eigentlich braucht: „Aber ein Mann, der glaubt, ist ein Mann der hofft und zuversichtlich ist. Und das Interesse der Republik liegt darin, dass möglichst viele Männer und Frauen hoffen und zuversichtlich sind.“
Auch der alte Mythos der französischen säkularen Republik, dass es die „Volksschullehrer“ sind, die das eigentliche Rückgrat dieser Republik ausmachen, wird von ihm gezielt desavouiert, indem er wieder den Priester als zentralen ideologischen Integrationsarbeiter bemüht: „In der Übermittlung der Werte und beim Erlernen der Differenz zwischen Gut und Böse wird der Lehrer niemals den Pfarrer oder Pastor ersetzen können, … Denn es wird ihm immer die Radikalität der Aufopferung seines Lebens und das Charisma eines durch die Zuversicht getragenen Engagements fehlen.“
Dieser Präsident begreift sich selber ausdrücklich als eine Art von „Oberpriester“: „Man ist nicht Priester, indem man nur halb bei der Sache ist. Glauben Sie mir, dass man auch nicht Präsident zur Hälfte ist.“ Wie die Priester habe auch er Opfer gebracht, um seiner „Berufung entsprechend zu leben“.
Und er attackiert einen angeblich „ermüdenden“ Laizismus, der zu einem religionsfeindlichen „Fanatismus“ führe, der die „im Wesentlichen christlichen“ „Wurzeln Frankreichs“ gefährde: „Die Wurzeln auszureißen bedeutet, den Kitt der nationalen Identität zu schwächen und die gesellschaftlichen Beziehungen noch weiter auszutrocknen, die sowohl Symbole als auch Gedächtnis benötigen“, von realen Interessen ist keine Rede mehr und sowohl Symbolik als auch Erinnerung kann er sich nur als „im Wesentlichen christlich“ vorstellen.
Immerhin ist Sarkozy bereit, auch Judentum und Islam für eine neue religiös definierte Kampfgemeinschaft zu gewinnen: „Es ist nicht an der Zeit, dass die Religionen sich untereinander bekämpfen, sondern Zeit dafür, dass sie gegen den Rückgang der moralischen und spirituellen Werte kämpfen, gegen den Materialismus, gegen die Exzesse des Individualismus.“ Dafür sollen sie dann auch im französischen „Wirtschafts- und Sozialrat“ Platz nehmen, in dem bisher Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände über ihre Interessen diskutieren und damit die Regierung beraten.
Ein breites Bündnis der säkularen Verbände Frankreichs hat in einem Aufruf vom 14.02.08 einmütig die bestehende gesetzlich festgelegte Version der Laizität gegen die Vorstöße ihres Präsidenten verteidigt: „Deswegen werden sich die unterzeichneten Organisationen jedem Versuch widersetzen, tatsächlich die Laizität durch eine inhaltliche Veränderung des Gesetzes von 1905 in Frage zu stellen.“
Allerdings haben sie das Problem, dass sie kein Konzept dafür haben, wie ein Laizismus, der es praktisch nur mit der katholischen Kirche zu tun hatte (Spötter haben ihn deswegen als Katho-Laizismus bezeichnet), in die Situation „unserer multikulturellen Gesellschaft“ zu übersetzen ist, in der daneben vor allem auch eine starke muslimische Minderheit existiert, die keine Kirche kennt, sowie eine religiös selbstbewusste jüdische Gemeinschaft.
Gelegentlich auftretende spontane Tendenzen zu Islamophobie und zu Antijudaismus unter dem Mantel der Religionskritik helfen da keinesfalls weiter. Außerdem stellt sie der nicht nur von diesem Präsidenten vorangetriebene Terrainwechsel von einer Politik als Interessenausgleich zu einer Politik der Ausformung und Anerkennung von – in erster Linie religiös definierten – „Identitäten“ vor ganz neue strategische Probleme, die mit dem vertrauten Instrumentarium der Kritik an der Papstkirche jedenfalls nicht zu bewältigen sind.
Immerhin haben sie erkannt, dass es angesichts der „wachsenden Schwierigkeiten und großen Sorgen“ vieler Mitbürger nicht nur um die Forderung der Laizität geht, sondern auch um den „festen Willen, zusammen eine Gesellschaft zu errichten, in der die soziale Gerechtigkeit tagtäglich für alle Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gewährleistet“.
Associations signataires:
Ligue de l’enseignement, Grand Orient de France, Fédération nationale de la Libre Pensée, DDEN, CAEDEL, Comité Laïcité et République, Union Rationaliste, Le chevalier de la Barre, Ligue des Droits de l’Homme, EGALE, FCPE, CNAL, FSU (avec SNEP, SNES et SNUIPP), UNSA-Education (avec AETL, SE, SEA, SEP, SIEN, SNAEN CT, SNPCE SNAPS,SNPDEN, SUP Recherche ), SGEN-CFDT, CEMEA, EEDF, FGPEP, JPA, Francas, Solidarité Laïque, Mission Laïque, Cahiers Pédagogiques, UFAL, CNAFAL