Islamischer Antisemitismus

(hpd) „Die antisemitische Aufhetzung muslimischer Jugendlicher, die sich in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und

Großbritannien noch radikaler als in Deutschland vollzieht, stellt nur die sichtbare Spitze eines Eisberges dar. Das darunter liegende Massiv entzieht sich unserem Blick: Der Antisemitismus in der islamischen Welt" (S. 2). Diese Sätze finden sich gleich zu Beginn von Matthias Küntzels Sammelband „Islamischer Antisemitismus und deutsche Politik". Eben jenes Massiv wollen die darin enthaltenen 10 Aufsätze plus einem Vor- und Nachwort sowie einem Dokumentenanhang erkunden. Der Politikwissenschaftler ist Research Associate des „Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitsm" an der Hebräischen Universität zu Jerusalem. Einem größeren Publikum wurde er durch seine 2002 erschienene Arbeit „Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg" zum islamistischen Antisemitismus bekannt. In seinem neuen Buch versammeln sich zwischen 2002 und 2007 entstandene Artikel, Aufsätze und Redebeiträge zum gleichen Thema.

 

Aufgegliedert sind sie in vier Teile: Zunächst geht Küntzel auf den ideengeschichtlichen Antisemitismus der Muslimbruderschaft ein und erinnert an die judenfeindliche Rede des malaysischen Premier Mahathir vor dem bis dahin größten Islam-Gipfeltreffen in Kuala Lumpur. Dem folgen Beiträge zu den geistesgeschichtlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus im Islam, zur unkritischen Haltung vieler europäischer Staaten gegenüber den antisemitischen Einstellungen in der arabischen Welt und eine Kritik an Alfred Grossers Israel-Kritik. Das seinerzeitige Programm des NS-Propaganda-Radiosenders Zeesen für Palästina und eine Erörterung des Verhältnisses von Faschismus, Nationalsozialismus und Islamismus stehen danach im Zentrum. Und schließlich finden sich noch Beiträge zu Ahmadinejads Wirken als Holocaust-Leugner, seiner Agitation während des Libanon-Kriegs und eine Erörterung zu seinen Motiven für den schiitischen Antisemitismus. Der Anhang enthält noch Übersetzungen von Dokumenten der islamistischen Judenfeindschaft.

 

Obwohl die Beiträge unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte aufweisen, lassen sich doch einige Kernaussagen als Leitlinien und Positionen von Küntzels Erörterungen ausmachen: Ganz entschieden verweist er darauf, dass der Antisemitismus nicht in die islamische Welt hinein importiert wurde, sondern religiöse Grundlagen in der Frühgeschichte dieses Glaubens hat. „Es ist diese Ankopplung an eine globale religiöse Mission, an Paradiesglaube und Märtyrerideologie, die den islamischen Antisemitismus so gefährlich macht" (S. 3). Immer wieder verweist Küntzel auch auf die ideen- und realgeschichtlichen Gemeinsamkeiten von islamistischem und nationalsozialistischen Judenhass, ohne sich dumpfer Schlagwort nach dem Motto „Islamo-Faschismus" zu bedienen. Heftig kritisiert er auch die Blauäugigkeit und Blindheit gerade der europäischen Staaten und der politischen Linken gegenüber dem starken Ausmaß der Judenfeindschaft im arabischen Raum. Außerdem betont Küntzel dessen Folgen: „Es ist dieser Antisemitismus, der die muslimische Welt immer weiter zurückwirft" (S. 27).

 

Die in dem Sammelband enthaltenen Texte entstammen mehr journalistischen, weniger wissenschaftlichen Kontexten. Dies erklärt mitunter ihren apodiktischen, essayistischen, und fragmentarischen Charakter. Auch die zahlreichen Wiederholungen von einzelnen Aussagen und Beschreibungen sind durch diesen Hintergrund erklärbar. Hier und da wären auch einzelne Erläuterungen zum inhaltlichen Kontext des ursprünglichen Abdrucks hilfreich gewesen. So geht etwa der Aufsatz „Warum Israel so nicht kritisiert werden kann" auf einen Beitrag von Alfred Grosser in der Zeitschrift „Internationale Politik" ein. So etwas bleibt aber bei der Lektüre lange Zeit unklar und erschließt sich nur beim Blick in die Fußnoten. Die damit verbundenen formalen Mängel können aber nicht den inhaltlichen Wert der Texte herabwürdigen. Küntzel kommt das Verdienst zu, auf ein bislang nur unterschwellig zur Kenntnis genommenes Phänomen deutlich aufmerksam gemacht zu haben: den Antisemitismus unter Muslimen inner- und außerhalb der islamischen Welt.

 

Besonderes Interesse verdienen dabei die Anmerkungen zur unkritischen Wahrnehmung von Islamisten wie angesichts der Selbstmordattentate, die mitunter als Ausdruck von Perspektivlosigkeit und Verzweifelung gelten. Hierzu bemerkt Küntzel schlicht, aber treffend: „Niemals und nirgendwo aber haben Menschen aus ihrer hoffnungslosen Lage die Konsequenz gezogen, sich ausgerechnet in vollbesetzten Bussen oder überfüllten Restaurants mit dem Vorsatz des Massenmords in die Luft zu sprengen" (S. 58). Ob seine Zuschreibung des islamistischen Antisemitismus zum „Rassismus" (S. 39) angemessen ist, kann bezweifelt werden. Für Islamisten spielen ethnische Zugehörigkeiten keine Rolle, identisch sind aber die strukturellen Merkmale beider Auffassungen. Auch kann die These, wonach sich das geringe Interesse am islamischen Antisemitismus durch eine gleiche „Sichtweise" (S. 144) erkläre, zumindest als diskussionswürdig gelten. Dies schmälert alles aber nicht den aufklärerischen Wert von Küntzels beachtenswerten und erhellenden Beiträgen.

 

Armin Pfahl-Traughber

 

Matthias Küntzel, Islamischer Antisemitismus und deutsche Politik. „Heimliches Einverständnis"? (Politik aktuell, Band 6), Münster 2007 (Lit-Verlag), 185 S., 19,90 €