(hpd) Wie sicher ist unser Wissen über den historischen Mohammed? Blickt man in ein Lexikon, so hat man den Eindruck, das Leben
des Religionsgründers sei genau rekonstruierbar. Es gibt exakte Daten zu Geburts- und Todestag, zur Berufung, zur Mekka-, Medina- und wieder Mekka-Ära. Doch so genau lassen sich viele scheinbar sicheren Erkenntnisse gar nicht belegen. Darauf weist Hans Jansen, Professor für islamisches Denken der Gegenwart an der Universität Utrecht, in seinem Buch „Mohammed. Eine Biographie" hin.
Er will darin erörtern, was als fromme Erfindung und was als historische Realität zu gelten hat. Dabei besteht zunächst ein grundlegendes Problem der Quellen, liegen doch keine Berichte aus der nicht-islamischen Tradition vor. Und selbst zeitgenössische Texte sind nicht vorhanden. Dafür stützt man sich allgemein auf ein Werk über Mohammed von Ibn Ishaq, der dieses allerdings erst 750, also gut hundert Jahre nach dem Tod des Religionsgründers 632, schrieb. Hinzu kommt noch: Diese Lebensbeschreibung liegt noch nicht einmal in der Originalfassung, sondern nur in einer späteren Bearbeitung vor.
Jansen veranschaulicht nun in seiner umfangreichen Studie, wie schwer es ist, historische Tatsachen von religiösen Legenden hinsichtlich der unterschiedlichsten Aspekte des Lebenswegs von Mohammed zu trennen. Hierzu wählt er eine chronologische Vorgehensweise, d. h. entlang der Biographie Mohammeds erörtert Jansen die unsichere und widersprüchliche Interpretations- und Quellenlage. Bereits das genaue Geburtsjahr des Religionsgründers könne nicht angegeben werden.
Dann geht der Autor auf ähnliche Probleme beim Wissen über die Berufung und die Auswanderung, über die Mekka- und Medina-Zeit, über erste Waffengänge und die Graben-Schlacht, über den Mekka-Sieg und den Tod ein. Hierbei zeigt sich der Autor als detailverliebter Interpret der Quellenlage, der mit großer Souveränität die behauptete Sicherheit über den historischen Mohammed erodieren lässt. Exemplarisch dafür steht folgende Einschätzung: „Ob die Ereignisse in Medina, von denen die Tradition berichtet, tatsächlich stattgefunden haben ist ungewiss" (S. 16).
Jansen formuliert seine kritischen Einwände in differenzierter Argumentationsweise und im sachlichem Ton. So betont der Islamwissenschaftler immer wieder, seine Einwände gingen nicht die Gläubigen, sondern die Historiker an. Denn: „Religion ist nicht überprüfbar. ... Diese Unkontrollierbarkeit wird vor allem bei den Geschichten über die Berufung von Propheten und Gottgesandten sehr deutlich, wie sie in der biblischen und islamischen Tradition überliefert sind" (S. 62).
Jansen macht darüber hinaus auf einige von der späteren Forschung ignorierten Aussagen von Ibn Ishaq aufmerksam. Demnach soll Mohammed gefordert haben: „Tötet jeden Juden, der unter eure Macht fällt" (S. 283). Außerdem verweist der Autor darauf, dass nach islamischer Überlieferung Mohammed „achtzig politisch-religiös motivierte Meuchelmorde" (S. 443) zu verantworten hatte. Kurzum, Jansens Mohammed-Biographie enthält auch eine interessante religionskritische Dimension - nicht in der Form eines platten Islam-Bashing, sondern im Stil nüchterner Wissenschaft vorgetragen. Auch darin liegt ein aufklärerischer Wert des Werks.
Armin Pfahl-Traughber
Hans Jansen, Mohammed. Eine Biographie, München 2008 (C. H. Beck-Verlag), 491 S., 24,90 €