Psychotherapie im Gehirn

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Hörsaalruine des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité

BERLIN. (hpd) In Berlin spricht man nicht nur über Flughäfen, Touristen und Clubkultur, man trifft sich auch zu den "Berliner Depressionsgesprächen". Diese finden alle paar Monate in verschiedenen Räumen der Charité statt und werden von einem Zusammenschluss aus Charité, dem Berliner Wissenschaftsnetz Depression und der Berlin School of Mind and Brain veranstaltet.

Vergangenen Dienstag wurden Fachkollegen aber auch Gäste aus der Wirtschaft und Naturwissenschaft in den Ruinenhörsaal des Medizinhistorischen Museum zu dem Vortrag des geladenen Neurobiologen Gerhard Roth mit dem Thema „Welche Wirkung hat Psychotherapie im Gehirn?“ eingeladen.

Dass Friseure gute Psychotherapeuten sein können, ist ja längst ein geflügeltes Wort. Dass aber ein führender Neurobiologe nach einer profunden Argumentationskette zu dieser Aussage kommt, ist doch überraschend. Auch wenn Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth diese ernüchternde Erkenntnis mit einem Schmunzeln vortrug, zeigte sich niemand von den anwesenden Psychotherapeuten besonders beeindruckt. Welche tiefgreifenden Experimente haben Roth nun aber überzeugt, dass es gar nicht so sehr auf die Therapieform ankomme als vielmehr auf… das Vertrauen?

50 Jahre Depressionsforschung

Die dunklen Wolken über der Stadt boten am vergangenen Dienstag schon genug Grund zu depressiver Stimmung und die Vorstellung einer Hörsaalruine ließ auch keine gute Laune aufkommen. Interessanterweise sorgte aber genau diese mysteriöse Mischung aus geschichtlichen Überresten und herannahendem Gewitter für eine gemütliche und zugleich spannende Stimmung. Mit einem lauten Donnerkrachen leitete Dr. Mazda Adli in die Veranstaltung ein. Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth krachte auch sogleich mit der deprimierenden Bilanz von 50 Jahren Depressionsforschung in seinen Vortrag: 80 % Rückfallrate nach einer Therapie und ein Mangel an empirischen Untersuchungen für die Wirksamkeit von Psychotherapie.

Er beschreibt die verschiedenen Ansätze und historischen Hintergründe von Therapieformen, wie der kognitiven Verhaltenstherapie, als „trainierende Methode“ auf der einen und der Psychoanalyse, als „aufdeckende Methode“ auf der anderen Seite. Während bei ersterer geübt wird, die Reaktion auf einen negativ besetzten Reiz (wie „Essen“ bei Magersüchtigen) durch instrumentelle Konditionierung zu korrigieren, versucht man bei letzterer unterbewusste Erfahrungen zu ergründen und verstehen.

Roths Hypothese

In einer Epoche der bildgebenden Verfahren und der wissenschaftlichen Position, psychische Zustände auf das „materielle“ Gehirn zu reduzieren, muss es doch möglich sein, Unterschiede in der Aktivität bestimmter Hirnareale feststellen zu können, wenn sich das Verhalten des Patienten mit Hilfe einer Psychotherapie verändert hat. Krankenkassen und Pharmaunternehmen sind an evidenzbasierten Medizin sehr interessiert.

Mit Hilfe der Magnetresonanztomografie kann die Hirnaktivität über den Sauerstoffverbrauch der Nervenzellen gemessen werden. Es handelt sich dabei um eine sehr indirekte und umstrittene Methode, da neuronale Aktivität nicht unbedingt mit dem Blutfluss korrelieren muss und die Statistik am Ende auch aus toten Lachsen sozial empathische Wesen machen kann. Zudem konzentrieren sich die Messungen auf das Gehirn als Hauptschaltzentrale von Verhalten. Der Einfluss von und auf Hormondrüsen wie die Schilddrüse, deren Fehlfunktion auch mit Depressionen in Zusammenhang steht, können nur indirekt gemessen werden, da eine gestörte Hormonausschüttung wiederum Auswirkungen auf Nervenleistungen im Gehirn haben und umgekehrt. „Einfach mal gucken, wo es aufleuchtet“ ist daher keine sehr wissenschaftliche Herangehensweise. Gerhard Roth ist sich über die Probleme im Klaren und möchte mit verbesserter Methodik eine ganz konkrete Hypothese untersuchen, auf die er in seinem Vortrag hinarbeitet. Seiner Meinung nach beruhen psychische Erkrankungen auf Störungen limbischer Hirnzentren und ihrer Interaktion mit kortikal-ausführenden Zentren (das „limbische System“ ist ein sehr umstrittenes Konzept, in der Literatur oft als „Sitz der Emotionen“ bezeichnet), also dem Zusammenbruch der kognitiven Kontrolle über subkortikale Zentren, vornehmlich der Mandelkerne, die man aus der Angstforschung gut kennt.

Vorgeburtliche und frühkindliche Erfahrungen

Wie kann es nun aber entwicklungspsychologisch zu diesen Störungen kommen? Roth geht auf die Auswirkungen von drei determinierenden Faktoren für mögliche spätere Verhaltensstörungen ein: Genetische Prädisposition und epigenetisch regulierte vorgeburtliche und frühkindliche Erfahrungen. Viele Studien haben z. B. einen Zusammenhang zwischen der vererbten Länge der regulatorischen Einheit des Gens für einen bestimmten Serotonintransporter aufgedeckt. Die längere Variante bewirkt die vermehrte Bildung und den dadurch gesteigerten Einbau von Rezeptoren in z. B. den Mandelkernen. Serotonin ist ein kleiner Botenstoff, der im Gehirn u. a. protektiv auf Stressverarbeitung wirkt und durch frühkindliche Bindungserfahrungen freigesetzt wird. Der Stress, den die Mutter während der Schwangerschaft erfährt, beeinflusst (epigenetisch) den vor- und früh-nachgeburtlichen „Einbau“ von Cortisolrezeptoren in Zentren des limbischen Systems. Erfährt der Säugling daraufhin relativ milden postnatalen Stress, kann es zu Überängstlichkeit kommen. Bei starkem Stress nach der Geburt kann das Kind später hingegen emotional unempfindlich und gar psychopathisch werden. Es zeigt sich also bei depressiven Patienten eine gesteigerte Aktivität in den Mandelkernen, die sich nach erfolgreicher Therapie wieder zurück entwickeln sollte. Die „kognitive Verhaltenstherapie“ (wenn sie denn so wirkt, wie man es von ihr erwartet) sollte dem Modell nach eine Aktivitätssteigerung in den bewussten Kontrollinstanzen bewirken.

Die Studie

Roth zitiert hier eine Reihe Studien, die diesen mit dem Modell übereinstimmenden Effekt aber nicht finden konnten. Ganz im Gegenteil fanden sie eine erhöhte Aktivität in den Kerngebieten des limbischen Systems, wie dem Hippocampus und eine verringerte Aktivität im präfrontalen Kortex [1]. Roth kritisiert die entsprechenden Studien aufgrund ihrer methodischen Mängel (wie z. B. geringe Bildauflösung, grobe neuroanatomische Zuordnung, zu kleine Stichproben, z. T. keine Kontrollgruppen) und stellt daraufhin die von ihm durchgeführte Studie aus dem Jahr 2008 [2] und 2011 [3] vor.

Die beteiligten Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Aktivität nach dem Hören von Sätzen, die die individuelle Depressionserfahrung betreffen, in limbischen Zentren, jedoch nicht im präfrontalen Cortex höher ist als bei Kontrollpersonen. (Ein Satz als Beispiel: „Andere beachten mich nicht so, wie ich es mir eigentlich wünsche“). Als Kontrolle hörten die Versuchspersonen zuerst einen stressverursachenden Satz aus dem Straßenverkehr („Der Kerl hat mir die Vorfahrt genommen“), der auch die nicht-depressive Personen an unangenehme Gefühle aus ihrer eigenen Biografie erinnern soll. Zum „Tarieren“ hörten die Versuchspersonen zwischendurch immer neutrale Entspannungssätze. Nach der Therapie scheinen die Patienten „unempfindlicher“ auf die individuellen Sätze zu reagieren. Die Aktivität in der Amygdala ging tatsächlich zurück. Die Patienten haben weniger Interesse an ihrem Leiden, sie sind weniger auf sich selbst fokussiert. Was hat ihnen geholfen?

Fazit

Roth schlussfolgert aus der Studie, dass die „kognitive Verhaltenstherapie“ irrt: Es findet keine Umstrukturierung in den dem Bewusstsein zugänglichen kortikalen Arealen statt, sondern nur auf limbisch-emotionaler Ebene. Mit dieser Studie ist aber nun ein erster bedeutender Schritt einer naturwissenschaftlichen Fundierung von Psychotherapie gemacht. Internationale Vergleichsstudien ergaben, dass die emotional-vertrauensvolle Beziehung zwischen Patient und Therapeut ca. 50 % des Therapieeffektes ausmachen.

Schließlich kann man, unabhängig von verschiedenen Therapieformen, zwei Phasen in einem Therapieverlauf beobachten. Die erste Phase ist vom vorgennannten Bindungsfaktor zwischen Patient und Therapeut geprägt. Ihr Erfolg hängt davon ab, ob diese therapeutische Allianz in den ersten Monaten gelingt oder auch nicht. Für die Heilung tiefer sitzender Störungen ist jedoch die zweite Phase, die mehrere Jahre beanspruchen kann, unabdingbar. Erst hier werden durch implizites Lernen auf der subkortikalen Ebene - ein bei weitem noch nicht hinreichend untersuchter komplexer Vorgang - die traumatischen Prägungen dauerhaft umstrukturiert, und damit das Leiden reduziert. Diese Beobachtung ist in den Diskussionen über Kurz- und Langzeittherapien von hoher Relevanz. Die Kognition, also das Verstehen über das eigene Leiden und seine Ursachen, ist offensichtlich von geringer Bedeutung. Für nachhaltigen Therapieerfolg müssen die emotionalen (subkortikalen) Bereiche erreicht werden.

Dies deutet auf die Rolle der „Bindung“ zwischen Patient und Therapeut hin – eventuell als „Wiederholung“ früh-kindlicher Bindung. Es bedarf also „nur“ einer vertrauensvollen Beziehung zu seinem Arzt, dann würden auch Placebos und sogar Bachblüten wirken. Für die anwesenden Therapeuten anscheinend nichts Neues und erst recht kein Schlag ins Gesicht. Wieder einmal mehr konnte man lernen, wie wichtig ehrliche soziale Beziehungen für unser Primatenhirn sind. Diese Erkenntnis versuchte man auch gleich in geselliger Runde bei Wein und Fingerfood anzuwenden. Das deprimierende nasse „Frühlings“-Wetter gab mir dann gleich zwei Gründe, mal wieder zum Friseur zu gehen.

Adriana Schatton

[1]Goldapple et al. 2004 „Modulation of cortical-limbic pathways in major depression: treatment-specific effects of cognitive behavior therapy.”

[2] Buchheim et al. 2008 “Neurobiologische Veränderungsprozesse bei psychoanalytischen Behandungen von depressiven“

[3] Kessler et al. 2011 „Individualized and Clinically Derived Stimuli Activate Limbic Structures in Depression: An fMRI Study”

Fotos mit freundlicher Genehmigung des Medizin Museums der Charité