MASTERSHAUSEN. (hpd) Der international renommierte Kardiologe und Sportmediziner
Prof. Wildor Hollmann hielt am vergangenen Sonntag in Mastershausen auf Einladung des Stiftungsgründers der GBS, Herbert Steffen, einen Vortrag im „Haus am See"
Wildor Hollmann hat von 1959-1979 die deutsche Fußballnationalmannschaft als Teamarzt betreut, war Vorsitzender der deutschen Olympia-Kommission, ist weltweit in unzähligen Arbeitsgruppen verschiedenster Couleur tätig und sein Vortrag hatte den nicht wirklich interessant klingenden Titel „Altern, Leistungsfähigkeit, Gehirn" - die Anwesenden waren jedoch begeistert. Dieser Mann verkörperte auf dem Podium just das, was er erzählte, und referierte mit seinen 83 Jahren ohne Manuskript, druckreif, anregend und mit trockenem Witz.
Altern
Der Mensch wird immer älter. Die Lebenserwartung lag im Jahre 800 noch bei einem Schnitt von 21 Jahren, heute werden Menschen durchschnittlich 75 Jahre alt. „Ist der Tod nötig?", fragen die Einen während Andere davon ausgehen, dass Unsterblichkeit prinzipiell möglich ist, leben doch Krebszellen und Amöben ewig.
Hollmann stellt drei Hypothesen zum Altern vor:
Altern sei zu 40% genetisch bedingt, sei zudem auf freie Radikale zurückzuführen und überdies spielten neuronal-endokrine Vorgänge eine Rolle. Gegenwärtig werden zum Beispiel Telomere erforscht: Telomere sind DNA-Stücke an den Enden aller Chromosomen, deren Aufgabe darin besteht, mögliche Schäden am Chromosom während des Replikationsvorgangs der Chromosomen abzupuffern. Dabei gehen jedes Mal Stückchen der Telomere verloren, so dass die Stabilisierung der Telomere mit Hilfe eines Enzyms, Telomerase, als mögliche Methode der Lebensverlängerung angesehen wird, die bei einigen Amöben und Tierarten bereits erfolgreich war.
Weitere molekulare Prozesse, die durch endogene (z.B. Mitochondrien, Enzyme) und exogene (z.B. ultraviolettes Licht, Umwelttoxine) Quellen wie auch die antioxidative Verteidigung (z.B. Vitamine A, C, E) gespeist werden, beeinflussen, kurz gesagt, die Homöostase, das Gleichgewicht. Die molekularen Prozesse können ungestört ein normales Wachstum und einen normalen Stoffwechsel zur Folge haben. Sie können aber auch gestörte physiologische Funktionen zur Folge haben: Einerseits eine verringerte Proliferation und eine gestörte Verteidigung, andererseits führen zufällige Zellschäden und spezifische Signalwege zu Altern, Krankheit und Zelltod.
Auch hormonelle Verschiebungen sind im Lebenslauf zu verzeichnen. Allerdings weisen die Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung laut Hollmann darauf hin, dass die Verschiebungen wohl eher als Folge denn als Ursache der Alterungsprozesse zu begreifen sind.
Leistungsfähigkeit und Alter
Am Strand sei vielerorts der 70jährige zu beobachten, der „mit seinem schön ausgestalteten Oberkörper auf spindeldürren Beinchen umherzugehen wagt", beschrieb Hollmann augenzwinkernd. Das resultiert aus den Einschränkungen der Leistungsfähigkeit verschiedener Körperteile, die in unterschiedlichem Maße abnehmen: Der Unterarmbeuger baut weniger schnell ab als der Unterschenkelbeuger. Die Beinmuskulatur aufrechtzuerhalten benötigt weit mehr Engagement als die Aufrechterhaltung der Oberkörpermuskulatur. Am schlechtesten sieht es mit der Balance aus: Auf einem Bein stehen, die Augen geschlossen - dieses Vermögen nimmt ab 40 Jahren rapide ab, um im Alter von 80 bei gerade mal 20% der Leistungsfähigkeit des 20jährigen anzukommen. (Man kann Koordination üben, indem man vorwärts und rückwärts am Teppichrand entlang läuft, dabei rückwärts zählt oder sich auf einem Bein stehend an- und auszieht.)
Die körperliche Leistungsfähigkeit ist hoch mit der Mortalität gekoppelt, wie weltweite Vergleiche ergaben. Klar ist, dass eine mittlere oder hohe Aktivität das Leben verlängert. Vor allem die körperliche Bewegung in der „aeroben Zone" (180 minus Lebensalter ist hierfür die optimale Herzfrequenz pro Minute) verbessert die Fitness, den aktiven Fettstoffwechsel und führt zu einer stabilen Gesundheit. Die Kalorienverbrennung sollte pro Woche optimalerweise zusätzliche 2500-3500 kcal betragen.
Erfreulich ist die Nachricht, dass untrainierte 65-70jährige auch nach jahrzehntelanger Untätigkeit bei regelmäßigem Training, d. h. drei Mal die Woche jeweils eine Stunde bzw. zwischen zwei und zwölf km täglich Gehen, noch fit werden und ihr Leben signifikant verlängern können.
Gehirn und körperliche Aktivität
Physiker, Chemiker, Biologen - Vertreter diverser Naturwissenschaften kategorisieren das Gehirn als das am wenigsten erforschte Objekt im Universum.
Was ist der Geist? Was sind Gedanken? Ist das Gehirn lediglich ein Werkzeug? Monistische Sichtweisen der Einheit und Aufeinanderbezogenheit von Gehirn und Geist befinden sich im Widerstreit zu dualistischen Sichtweisen, die besagen, mentale Phänomene seien abhängig vom Körper, jedoch nicht umgekehrt. Auf Grund der momentanen Forschungslage schlägt der Widerstreit zu Gunsten der monistischen Sicht aus, da die Bild gebenden Verfahren der Hirnforschung Erstaunliches zu Tage fördern.
Zunächst belegte Hollmann, dass körperliche Bewegung in einer besseren Durchblutung des Gehirns resultiere. Dieses Phänomen sei abhängig vom bewegten Körperteil: Vor allem die Bewegung der Hände (jagen, sammeln, Klavier spielen) und das Kauen (signifikant auch Kaugummi!) förderten die Durchblutung des Gehirns. Im Übrigen unterliege der Stoffwechsel des Gehirns ähnlichen Mechanismen wie der Skelettmuskel: Milchsäure, Glukose und Fett seien die konstituierenden Komponenten. Bewegung sei in jedem Fall wichtig: Ein Gewichtheber, der statisch ein Gewicht vor seinen Körper hält und dabei viele Kalorien verbrauche, erziele gerade mal ein „Lächeln im Gehirn", mein Hollmann. Nein, der Homunkulus, wie er im Gehirn repräsentiert sei, beziehe sich überdimensioniert auf Hand und Finger sowie auf die Vokalisation.
Zudem, lernte das Publikum, sei das Gehirn im ununterbrochenen Wandel begriffen. Die Plastizität des Gehirns ändere sich sekundenschnell! Die These vom Hardware-Gehirn mit Software-mentalen Prozessen sei damit nicht mehr haltbar.
Doch nicht nur das: Durch körperliche Bewegung und geistige Aktivität entstehen echte neue Blutgefäße im Gehirn (Angiogenese). Es werden ständig neue Nervenzellen im Gehirn gebildet (Neurogenese), und das bis ins hohe Alter hinein. Somit ist die Ansicht, es gebe nur eine begrenzte Anzahl von Nervenzellen im Leben eines Menschen, die irgendwann „aufgebraucht" seien, als Mythos überführt. Und ohne körperliche Aktivität, die notwendig ist, um bestimmte Stoffe zu bilden (z.B. Östrogen, Glucocorticoide), die wiederum auf den Kortex wirken, könnte der Kortex die Erneuerungsprozesse des Gehirns nicht durchführen.
Also formt nicht nur der Geist den Körper, wie die alten Griechen schon erkannt hatten, sondern der Körper formt auch den Geist.
An dieser Stelle daher ein Zwischenfazit: Es ist wichtig, kontinuierlich in Übung zu bleiben, da die Plastizität des Gehirns schnell abnimmt, wenn man auch nur ein paar Wochen pausiert.
Gehirn und Altern
Die Gehirnalterung zeigt sich in einer Gewichtsabnahme (ein intrazellulärer Wasserverlust, der nicht durch Trinken ausgeglichen werden kann), durch örtliche Wasserverluste, Synapsenreduktion und Neurotransmitterveränderungen.
Allerdings gilt auch hier: Laufaktivität führt - zumindest bei Mäusen - zur Neurogenese, Sport erhöht die Dichte der Blutgefäße im motorischen Kortex und verschiedene Areale der grauen Substanz profitieren nachweislich durch aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit.
80jährige Marathonläufer, die unzusammenhängende Wortpaare auswendig lernen sollten, wiesen wesentlich bessere Ergebnisse auf als untrainierte 80jährige. Verbesserte Resultate erzielten auch jene Alten, die im Rahmen eines Forschungsprogramms erst anfingen, Ausdauersport zu treiben.
Selbst der IQ nimmt bei Bettruhe deutlich ab - pro Tag Bettruhe um 1%! Wer also eine schwierige Verhandlung vor sich hat, so Hollmann, solle dafür sorgen, dass der Verhandlungspartner zwei Wochen zuvor die Masern bekäme. Der IQ sei dann so niedrig, dass die Verhandlung zu den eigenen Gunsten ausginge.
Im Koma befindliche Menschen könnten, wie Scans zeigten, auf Anweisung ein Tennismatch imaginieren - das betreffende Hirnareal sei auch im Koma zu aktivieren. Damit zeige sich zudem, dass man im Umgang mit Komapatienten vorsichtig sein müsse, was Gesprächsthemen anbelange.
Vier Jahre nach der Pensionierung zeigen jene das beste Ergebnis bzgl. der Durchblutung ihres Stirnhirns, die im Ruhestand Sport treiben, gefolgt von jenen, die weiterarbeiten. Selbstredend schneiden auch an diesem Punkt die Unsportlichen am schlechtesten ab. Dieselbe Tendenz betrifft auch die erreichten Werte bzgl. der geistigen Leistungsfähigkeit.
Altersdemenz
Wer die 90 erreicht, hat zugleich eine Wahrscheinlichkeit von 50 % erreicht, an Demenz zu erkranken (bei den 80-90jährigen sind es noch 24 %).
Wer zwischen 40 und 70 Jahren regelmäßig vermehrt körperlich aktiv ist, vermindert jedoch die Amyloid-Bildung und damit die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Altersdemenz. Das heißt, mindestens drei Mal die Woche zu trainieren, reduziert die Wahrscheinlichkeit einer späteren Demenz signifikant.
Verzögerung alternsbedingter neurodegenerativer Prozesse
Hollmann fasste zum Abschluss seines Vortrages die wichtigsten lebensverlängernden Elemente zusammen:
- Körperliche Bewegung
- Geistige Aktivität
- Vermeidung kardiovaskulärer Risikofaktoren
- Stressmanagement
- Soziale Kontakte (auch ein Kanarienvogel kann das Leben um fünf Jahre verlängern!)
- Positive Denkweise (das Glas „halb voll" statt „halb leer" zu interpretieren, bringt fünf zusätzliche Lebensjahre)
- Multivitamin - mit Zink, ohne Eisen
- Vitamin E
- Statine, Aspirin
Quantenphysik
Doch damit nicht genug. Auf die Wissenschaft folgt die Spekulation: Woher kommt das menschliche Bewusstsein? Ist das menschliche Bewusstsein ein Ergebnis von Quantenreaktionen? Sind dafür Mikrotubuli in Gehirnneuronen verantwortlich?
Heute scheint festzustehen, dass Elektronen ewig erhalten bleiben, während Positronen und Neutronen irgendwann absterben (allerdings brauchen sie dafür extrem lange). Welche Bedeutung es hat, dass die Elektronen, die unseren Geist bilden, nach unserem Tod noch ewig bestehen, wissen wir nicht. Ob die Elektronen einer Thunfischdose oder einer Hautzelle eine geringere Relevanz haben als die unseres Geistes, war später eine strittige Frage in der anschließenden Diskussion. Scheinbar bilden Elektronen Zwillingspaare, die miteinander in Verbindung stehen, auch wenn sie Lichtjahre voneinander entfernt sind, wie Quantenphysiker in mehreren Experimenten nachwiesen.
Insgesamt können wir heute feststellen, wie beschränkt wir Menschen sind. Viele Vorgänge im Universum sind für uns nur schwer oder gar nicht vorstellbar, sondern wir können sie nur mathematisch herleiten oder mit Hilfe von eigens dafür konzipierten Geräten nachvollziehen.
Fazit
Der überaus gelungene Vortrag von Prof. Wildor Hollman eröffnete einem sehr interessierten und begeisterten Publikum eine naturalistische Sichtweise auf den menschlichen Körper, in dem er fundiert neueste Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zusammenbrachte. Hollmann referierte frei und mit Witz, flocht Anekdoten aus seinem erfahrungsreichen Leben ein und bot viel Substanz zum Lernen und Nachdenken.
Fiona Lorenz