Notizen aus Belgien

Abtreibung aus medizinischen Gründen für Caritas nicht zulässig.

Flandern 04.06.08 - Die Dachorganisation der Krankenhäuser der christlichen flämischen Caritas, VVI, hat eine Stellungnahme an ihre Institutionen über die Verwendung pränataler Tests und ihre Folgen verschickt. Für sie darf Abtreibung bei der Feststellung von medizinischen Gründen beim Fötus nicht stattfinden. Die Caritas Krankenhäuser umfassen etwa 65 % der flämischen Einrichtungen. Bereits 1990 hat die VVI gesagt, dass Abtreibung im Falle ungewollter Schwangerschaften ethisch inakzeptabel ist. Nun hält die VVI auch eine verbindliche Beratung über pränatale Tests und Abtreibung aus medizinischen Gründen für dringend notwendig. (Niederländisch)

Muslimexekutive bleibt Gesprächspartner der Regierung

Brüssel, 14.06.08 - Der Sprecher von Justizminister Jo Vandeurzen bestätigte, dass trotz des angekündigten Rücktritts von 23 Mitgliedern der Hauptversammlung des Rates der Muslime, die Muslimexekutive ein Gesprächspartner der Regierung bleibe. Als Grund für den Rücktritt nannte Vorsitzender Nordin Taouil die "reale Ineffizienz" der Muslimexekutive. Das Gremium, das die muslimische Gemeinden in Belgien vertritt, wird, wie bei anderen Religionen, durch die Justiz finanziert und kam wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten und schlechter Verwaltung in letzter Zeit in der Kritik (hpd berichtete). Das Justizministerium weist ferner darauf hin, dass, abgesehen von der Gewährung weiterer Subventionen, zwei Generalsekretäre und zwei andere Positionen weiter direkt von der Justiz finanziert bleiben. Das macht es möglich, dass das Gremium funktionsfähig bleiben kann. Das Ministerium wartet nun auf das Ergebnis der Problemlösung und den Sanierungsplan für die Exekutive. (Niederländisch)

Rechtssache Freimaurer gegen Wikipedia

Brüssel, 16.06.08 - Es ist zwar Tradition der Loge, eine Liste der berühmten Freimaurer zu veröffentlichen, aber dabei handelt es sich immer um gestorbene Freimaurer. Die Veröffentlichung von Listen noch lebender Freimaurer war eine Praxis der katholischen Presse vor dem Krieg und wurde durch eine Agentur der Kollaboration während der Besatzungszeit weiterentwickelt. Diese Praxis ist scheinbar nicht verschwunden. Heute rufen nämlich erneut einige Websites zur Bildung von Listen von Freimaurern auf, so wie andere in ähnlicher Weise mit Listen von Juden wirken. Aber, lieber als zur Publikation solcher Listen auf verdächtigen Websites aufzurufen, benützen einige dieser Brandstifter "freie" Räume, wie Wikipedia dazu. In der niederländischen Version von Wikipedia wurde am 22. Mai d. J. durch Stijn Calle, dem Presse-Verantwortlichen einer Abteilung der neofaschistischen Partei „Vlaams Belang", eine derartige Liste der belgischen Freimaurer publiziert.

Einige Namen auf der Liste sind keine wirkliche Überraschung, bei anderen (und insbesondere bei Männern und Frauen aus der Politik) geht es offensichtlich darum, eine Weltanschauung (oder eine angebliche) aus der Privatsphäre in die Öffentlichkeit zu tragen. Gegen diese Veröffentlichung wurden nun durch eine Leserin gegen Wikipedia Niederlande (Niederländisch) und der Stiftung Wikipedia (in Englisch) von Jiri Pragman beim „Zentrum für Chancengleichheit und Kampf gegen den Rassismus" und die „Kommission zum Schutz der Privatsphäre" juristische Schritte eingeleitet.

In einem Schreiben vom 5. Juni 2008 erklärt das Zentrum für Chancengleichheit und Kampf gegen Rassismus: „Die Veröffentlichung einer solchen Liste erscheint uns problematisch, weil sie dazu führen kann, dass Personen auf Grund ihrer weltanschaulichen Überzeugungen ungleich behandelt werden.(...) Dies umso mehr, wenn man den historischen Kontext und die heftigen Widerstände berücksichtigt, welche die Freimaurer in einigen Kreisen, insbesondere der extremen Rechten verursachen." Nach dem Zentrum bedeutet die Veröffentlichung der Liste hauptsächlich eine Verletzung des Schutzes der Privatsphäre.

Auffallend ist, dass seit dem 8. Juni 2008 auf Wikipedia NL die Liste nur noch die Namen der gestorbenen Freimaurer enthält, aber es genügt, den Verlauf zu konsultieren, um alle vorher genannten Namen zu finden. (Französisch1) und (Französisch2)

Wähler muslimischer Religion wählen vor allem sozialistisch

Brüssel, 17.06.08 - Eine Untersuchung von Cevipol (ULB) analysierte die Wahlen von Juni 2007. Danach stimmten in der Französischen Gemeinschaft etwas mehr als zwei von fünf muslimischen Wählern (43,1%) für die Sozialistische Partei (PS). Die Stimmen für die anderen Parteien sind weit gestreut, aber es sind trotzdem die Christendemokraten (CDH) die mit 18,7 % auf Platz zwei liegen, vor den Liberalen (MR) mit 14,8% und den Grünen (Ecolo) mit 10,5%. Ganz überraschend: 1,3 Prozent der muslimischen Wähler haben ihre Stimme der rechtsradikale Front National gegeben. Die Parteien, die mehr oder weniger deutlich mit dem Islam verbunden sind, erreichen nur 4,5 % der Wähler.

Pascal Delwit und Emilie van Haute, die die Untersuchungen koordinierten, wollten auch sehen, ob die traditionellen Trennungslinien, wie die philosophische oder sozioökonomische, für die Entscheidungen der Wähler wichtig waren. Daraus ergeben sich einige erstaunliche Erkenntnisse über die philosophisch-religiöse Zugehörigkeit der befragten Wähler in dreißig wallonischen und Brüsseler Gemeinden. So definieren 59,1 Prozent der Wähler der Christdemokraten sich als Katholiken (Christen), aber 25 % ihrer Wähler sind Agnostiker oder Atheisten, während 16 % zu anderen Religionen gehören.

Bei der sozialistischen Partei (PS) überwiegt die Zahl der gläubigen Wähler leicht (ein Drittel Christen, zwei Fünftel von anderen Religionen) die der Ungläubigen (45,2%), während das Verhältnis in den Reihen der Liberalen (MR) mit 45 % Christen und 8,9 % anderen religiösen Strömungen umgekehrt ist. Schließlich hat die Ecolo-Partei die meisten ungläubigen Wähler (55,2%), nur ein Drittel Christen und 12% andere Gläubige. Zu beachten ist auch, dass fast die Hälfte der Wähler der Front National Ungläubige sind.

Dass die Muslime vor allem die PS gewählt haben, liegt nicht nur daran, dass diese Partei viele Kandidaten mit Migrationshintergrund hatte, sondern auch, weil sie stärker die sozioökonomischen Realitäten als die engen religiösen Faktoren berücksichtigt. (Französisch)

Negationist Verbeke erneut verurteilt

Brüssel 19.06.08 - Das Brüsseler Strafgericht hat Siegfried Verbeke und den Franzosen Vincent Reynouard wegen Negationismus zu Haftstrafen von einem Jahr verurteilt. Verbeke und Reynouard hatten in Prospekten, Broschüren und Aufklebern die Existenz und das Ausmaß der Judenverfolgung während des Zweiten Weltkriegs minimiert oder abgestritten.

Beide, Verbeke (mit seiner Organisation Freie Historische Forschung) und Reynouard, haben ein volles Strafregister mit Bezug zum Negationismus. In Antwerpen wurden Siegfried Verbeke und sein Bruder Herbert im Jahr 2004 zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Verbeke legte Berufung ein, aber seine Strafe wurde in eine effektive Haftstrafe umgewandelt. Zuvor war er in den Niederlanden verurteilt worden, weil er den Inhalt des Tagebuches der Anne Frank in Frage gestellt hatte.

Reynouard wurde im Jahr 2007 durch ein französisches Gericht zu einem Jahr Zelle verurteilt, weil er in Broschüren die Existenz der Judenverfolgung geleugnet hatte. (Niederländisch)

Ehescheidungsbörse in der Kritik

Antwerpen, 20.06.08 - In Antwerpen fand die erste Ehescheidungsbörse des Landes statt. Für Kinderrechtekommissarin Ankie Vandekerckhove entstehen dadurch aber ernste Fragen: "Eine solche Scheidungsbörse vermittelt den Eindruck, dass die Scheidung etwas ganz Normales ist (...) wie das Suchen nach einem neuen Haus, das Kaufen neuer Möbel. Man unterzeichnet einige Papiere und fertig ist der Salat. (...) Die Ehescheidungsbörse deckt auch eine Lücke in der Politik auf. Berater nutzen die Börse für ihre Angebote, aber um auch die Menschen zu erreichen, die finanzielle Probleme haben, sind erschwingliche und verfügbare Angebote nötig."

Wir hatten erwartet, dass Kritik kommen würde", antwortet Charles Erven, Direktor des Veranstalters, der Agentur Confocus. „Das ist der Grund, warum wir so breit wie möglich rekrutiert haben. Nicht nur Rechtsanwälte und andere kommerzielle Partner sind anwesend, sondern auch gemeinnützige Organisationen und sogar die KAV (Christliche Arbeiterfrauenbewegung) hat einen Stand." (Niederländisch)

Das Wetter von einer Frau in Burka

Brüssel, 21.06.08 -Am 17. Juni wurde die Wettervorhersage auf dem TV-Kanal TV-Brüssel von einer Frau in Burka vorgetragen. Eine interne Untersuchung dazu wurde im Rahmen des lokalen Fernsehens unternommen, weil die Liberalen Brüssels (MRLB) mit Sitz im Verwaltungsrat der TV-Kette, sich "schockiert" fühlten. Die Klärung ergibt, dass der Fernsehsender seinen Zuschauern seit November letzten Jahres die Gelegenheit gibt, selbst die Wettervorhersage vorzutragen. In der namentlichen Sendung erläutert eine gewisse Frau Fadila die Prognosen, "und lässt nur ein Paar Augen sehen".

Diese Art der Provokation ist nicht dumm, kommentiert die laizistische Website „prochoix". Indem sie diese Freiräume nützen, testen die Verbände die Bereitschaft zur Empörung. Indem sie die Latte sehr hoch legen - eine Frau in Burka - machen sie dadurch die Idee akzeptabel, eines Tages eine einfach verschleierte Moderatorin zu haben. (Französisch)

Rassistische Radikalisierung bei Einwanderern in Belgien

Brüssel, 22.06.08 - Eine radikale panafrikanische Pro-Apartheid Organisation wird sich in wenigen Tagen in Brüssel gründen. Sie entstammt einer Bewegung der Kinder von Einwanderern mit einer rassistischen Identität. Die MDI (Mouvement des damnés de l'impérialisme - Bewegung der Verdammten des Imperialismus) befürwortet die Schaffung einer breiten Front gegen alle "Imperialismen". Der Leiter der MDI ist Kémi Saba aus Bénin, der in Frankreich wegen Rassismus angeklagt ist. Verbindungen bestehen auch zwischen seiner politischen Strömung und Neonazis.

Seit mehreren Jahren ist in Frankreich unter der Jugend mit Migrationshintergrund eine Radikalisierung zu beobachten, was mit dem Auftreten von Bewegungen, wie die „Eingeborenen der Republik" sichtbar wird. Heute strukturiert sich eine noch radikalere Fraktion in der Nähe der extremen Rechten, in Form von "politisch-ethnisch-identitären" Bewegungen. Die Einladung zur Teilnahme an dem Treffen zur Gründung der MDI - Belgien in Brüssel richtet sich an "alle Personen, die sich gegen die neue Weltordnung richten und die im Kampf gegen den Imperialismus stehen." Im März dieses Jahres erklärte die Bewegung in Paris, dass die Verdammten des Imperialismus panafrikanischen Aktivisten, paneuropäische Traditionalisten, Panaraber, aber auch Asiaten umfasst. Ihr Ziel ist es, "der Hegemonie der Imperialisten (amerikanisch-zionistische Achse, Illuminati und andere okkulte imperialistische Gruppen) ein Ende zu setzen." Das ganze Programm also! (Französisch)

Erste Nacht gegen Zensur

Antwerpen, 23.06.08 - Die flämischen Freidenker organisierten die erste Nacht der Zensur in Antwerpen. Von 22h bis 02h polemisierten junge Politiker, Dichter, Standup-Komiker und Vertreter der Zivilgesellschaft scharf gegen jegliche Zensur. "Wir organisieren die Nacht der Zensur in Analogie zu den anderen erfolgreichen nächtlichen Ereignissen wie die Nacht der Museen. In dem Tempo, wie in Flandern heute zensiert wird, sind wir sicher, dass die Nacht der Zensur bleiben wird und noch viele Editionen folgen werden. "sagt Björn Siffer, Organisator der Nacht. Er ergänzt: "Niemand kann bestreiten, dass eine Welle von Konservatismus durch Flandern weht. Die Wahlergebnisse sprechen für sich. In Mai `68 waren die Menschen für mehr Freiheit. Heute kommen mehr und mehr Menschen für eine Einschränkung der Freiheit auf, weil sie glauben, dass das Pendel zu weit durchgeschlagen ist und die Normen und Werte ein wenig verloren gegangen sind. Die Zensurwelle ist ein Symptom für diese Feststellung. Mit der Nacht der Zensur, wollen wir das Pendel in der Mitte halten, bevor es zu reaktionären Situationen ausschlägt." (Niederländisch)

Flämische Schulen jetzt entsprechend dem sozialen Profil der Schüler finanziert

Flandern, 25.06.08 - Das flämische Parlament hat das neue System für die Finanzierung des Pflichtunterrichts zugestimmt. Das operative Budget einer Schule wird nun nicht mehr von ihrer Trägerzugehörigkeit abhängen, sondern von den Merkmalen der Schüler. Bis jetzt bekamen freie Schulen etwa 76 % von dem, was öffentlichen Schulen zusteht. Jetzt gelten, abgesehen von einigen „objektivierenden" Unterschieden, gleiche „Wettbewerbsbedingungen" für alle Schulen. Daraus ergibt sich, dass die öffentlichen Schulen ein wenig mehr bekommen, weil sie unterschiedliche philosophische Themen organisieren und eine freie Schulwahl garantieren müssen.

Ein wichtiger Teil des Haushaltes der Schulen wird vom sozialen Profil ihrer Schüler abhängen. Schulen mit vielen benachteiligten Schülern erhalten mehr Ressourcen als andere, um so für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Es gibt vier Kriterien dieses Schülerprofils: Sprache zu Hause, Bildungsniveau der Mutter, Recht auf Bildungszulage und soziale Umgebung. (Niederländisch)

Mann mit vier Frauen darf alle seine Kinder nach Belgien kommen lassen

Brüssel, 26.06.08 - Alle Kinder aus einer polygamen Ehe dürfen sich mit ihrem Vater wieder vereinigen. Das entschied das Verfassungsgericht in Brüssel. Nach dem neuen Ausländergesetz hat ein Ausländer, mit legalem Wohnsitz in Belgien, das Recht auf Familienzusammenführung. Es kann jedoch nur ein Ehegatte einreisen und nur ihre/seine Kinder. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Ansicht, dass ein Muslim mit Wohnsitz in Belgien nicht seine vier Frauen reinholen kann, sondern nur eine. Aber das Gericht stellt fest, dass dies für alle seine Kinder gilt, auch für die Kinder der drei anderen Frauen. Diese Kinder haben ja eine biologische Beziehung zu ihren Vater. (Niederländisch)

Beängstigender Anstieg des „Cyberhasses"

Brüssel, 26.06.08 - Ein Viertel der Rassismusmeldungen, welche das Zentrum für Chancengleichheit und Widerstand gegen Rassismus (CECLR) im vergangenen Jahr erhielt, standen in Bezug zum „Cyberhass", Rassismus über das Internet. Im Jahr 2007 ging es um 330 Meldungen, oder 27 % der Gesamtzahl der Beschwerden über Rassismus. Im vorherigen Jahr waren es 140 Mitteilungen oder 16 % der Gesamtzahl der Beschwerden. Im Jahr 2005 waren es nur 13 %.

Besonders der Anstieg der Zahl von Kettenmails, die Hass gegen Muslime predigen, fällt auf. Das CECLR warnt, dass diese Mails oft auf der Grundlage von Lügen und Halbwahrheiten beruhen und eine Strategie der Hassverbreitung widerspiegeln. Islamophobie erscheint auch häufig in Diskussionsforen, die an sich nichts mit dem Islam zu tun haben. (Niederländisch)

"Bitte mehr Respekt für den Trauerzug!"

Brüssel, 27.06.08 - Bestattungsunternehmen fordern dringend mehr Respekt für Trauerzüge. Sie wollen, dass die Polizei „unwürdige Kraftfahrer" bestraft. „Es passt nicht, dass andere Fahrer durch solche Trauerzüge brechen oder sich sogar hinter dem Leichenwagen einreihen. Aber das geschieht immer häufiger, zum großen Unverständnis der Hinterbliebenen" sagt Johan Dexters, Vorsitzende von Funebra, die Vereinigung der Belgischen Bestattungsunternehmer. (Niederländisch)

Zeugen Jehovas nicht mehr beliebt

Brüssel, 02.07.08 - Im Jahr 2007 konnten die Zeugen Jehovas in Belgien 526 Menschen bekehren, vor zwanzig Jahren waren es noch 1.500. Der Jahresbericht der Wachtturmgenossenschaft zeigt, dass Belgien im vergangenen Jahr 23.701 „Verkünder" hatte, Zeugen, die von Tür zu Tür evangelisieren. Diese Zahl ist bereits seit mehr als zwanzig Jahren stabil, aber die Zeugen müssen viel mehr arbeiten, um noch neue Mitglieder zu finden. Alle belgischen „Verkünder" zusammen predigten im Jahr 2007 fast 3,5 Millionen Stunden und das ergab 526 Bekehrungen. 1988 war das noch gut für etwa 1.500 Bekehrungen. (Niederländisch)

Moderne Sklaverei in Brüssel

Brüssel, 02.07.08 - Sie schliefen zu acht in einem Bett, hatten Arbeitstage von 17 Stunden, und mussten nächtelang im Flur verbringen, falls ihre Herrin sie brauchen würde. Und dies alles für ein Monatsgehalt von 170 Euro. Das ist die Geschichte von zwei der siebzehn jungen arabischen und afrikanischen Frauen in einem der teuersten Hotels in Brüssel, die Opfer von eklatanter Sklaverei wurden. Im schicken Conrad Hotel in Brüssel hatten die Witwe und die Töchter eines arabischen Scheichs die oberste Etage gemietet. Die Mädchen bekamen einen Vertrag, mussten aber unmittelbar danach ihren Reisepass abgeben. Dann begann ihr Sklavendasein.

Einer der Prinzessinnen forderte z.B. immer kochend heißen Kaffee und ließ ihre Dienerin mit kochend heißem Wasser hinter sich herlaufen. Flüchten war nicht möglich, denn die Familie hatte ihre eigenen Sicherheitskräfte. Die Mädchen erklärten, dass das Personal des Hotels, Treff von Showbusiness-Stars und führenden Politikern der Welt, von der Gefangenschaft wusste, aber das Hotel selbst gab keinen Kommentar.

Die Justiz in Brüssel hat bereits zuvor viele Fälle moderner Sklaverei festgestellt, aber fast immer in Botschaften und Residenzen der arabischen und asiatischen diplomatischen Vertretungen in Brüssel. Sklaverei in dieser Größenordnung in einem Hotel ist neu. Da die Witwe und die Töchter von königlicher Abstammung sind, wurden sie, trotz Menschenhandel und wirtschaftlicher Ausbeutung, nicht verhaftet und können das Land frei verlassen.

Elf der Mädchen wählten den Status von Opfern des Menschenhandels. Das bedeutet, dass sie in Belgien bleiben können. Sechs der Siebzehn befreiten Mädchen sind aber freiwillig zu der Scheich-Familie zurückgekehrt. ''Die Entscheidung wäre motiviert durch Angst und die Überlegung, dass ihre Existenz ihren eigenen Normen nach normal war." Die 32-jährige marokkanische Frau, welche die Polizei alarmierte, ist nun untergetaucht, weil sie Drohanrufe bekam. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind zudem sehr empört, dass die Polizei sich erlaubt hatte, die Zimmer zu durchsuchen. (Niederländisch1) und (Niederländisch2)

Sikhs dürfen Turban in der Schule tragen

Hasselt, 02.07.08 - Die technische Schule von Sint-Truiden muss vier junge Sikhs, die einen Turban in der Schule tragen wollten, nun doch aufnehmen. Das Hasseltsche Gericht entschied, dass die Entscheidung der Schule, sie deshalb vom Schulbesuch auszuschließen, unrechtmäßig ist. (Niederländisch)

Immer mehr Eltern wollen Genselektion

Brüssel, 04.07.08 - Immer mehr Patienten mit schweren Erbkrankheiten in der Familie, die wissen, dass sie Träger des verantwortlichen Genschadens sind, wollen diese Krankheit nicht mehr an ihre Kinder weitergeben. Das führt zu einem starken Anstieg der Nachfrage nach genetischer Diagnostik, um vor der Schwangerschaft gesunde Embryonen auszuwählen. Dies ergibt sich aus Zahlen des Zentrums für reproduktive Medizin und medizinische Genetik an der VUB (Freie Universität Brüssels), einer der Pioniere auf dem Gebiet solcher Tests. Im Jahr 2005 führte die VUB noch 260 solcher genetischer Diagnosen an Embryonen durch. 2006 waren es 340 und 420 im letzten Jahr. In diesem Jahr wird die Zahl weiter ansteigen. (Niederländisch)

Wilders fordert Fusion mit Flandern

Den Haag, 08.07.08 - In einem Aufruf erneuert der niederländische Politiker Geert Wilders seine Forderung, Flandern mit den Niederlanden zusammen zu führen. Der Chef der Partei für Freiheit prophezeit, dass es "mit dem künstlichen Staat" Belgien schnell zu Ende geht und hält die aktuelle Reformkonzeption des belgischen Ministerpräsidenten Leterme für "unmöglich". Als Vorteil der Fusion nennt Wilders unter anderem, "eine gemeinsames Bruttoinlandsprodukt größer als das von Indien und Russland". (Niederländisch)

Nur 7 Prozent der Belgier sind noch aktive Kirchenbesucher

Leuven, 09.07.08 - Zum ersten Mal seit zehn Jahren hat man wieder eine Studie über die katholische Glaubenspraxis veröffentlicht. Fazit: die Säkularisierung geht weiter. Nur 7 Prozent der Belgier geht jede Woche in die Kirche. Vor zehn Jahren war es noch 11 Prozent. Die Zahl der kirchlich getrauten Ehen hat seit 1998 um fast die Hälfte abgenommen. Dies ergibt sich aus einer Studie des Zentrums für Politische Wissenschaft an der Katholischen Universität Leuven im Auftrag der römisch-katholischen Bischöfe.

Weiter wurde festgestellt, dass im Jahre 2006 nur noch 57 Prozent aller Säuglinge getauft wurden, im Jahr 1998 waren es noch fast zwei Drittel. Etwa 26,5 Prozent aller Paare, die im Jahr 2006 in Belgien heirateten, verlangten den Segen der Kirche. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil noch bei fast 50 %. Dreiviertel der Gestorbenen hatten 1998 noch ein kirchliches Begräbnis, im Jahr 2006 war das auf 61 Prozent gesunken.

Der wöchentliche Kirchgang ist in Flandern noch am beliebtesten. Trotzdem besuchen nur noch 14,4 % der Flamen, 6,8 % der Wallonen und 6,2 % der Bewohner Brüssels die für Gläubige wichtigste Messe des Jahres, die zu Weihnachten. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land sind aber sehr hoch. In einigen Dörfern besuchen 90 Prozent der Bevölkerung am Wochenende die Kirche. Im Zentrum von Brüssel sind das nur ein paar Prozent.

Man sollte die Einschätzung jedoch nicht nur auf die Zahl der Kirchenbesuchen beschränken, der Ehrenamtlichkeit geht es nämlich sehr gut: 208.000 Freiwillige arbeiten aktiv in den Pfarrgemeinden. (Niederländisch) und (Französisch)

Flämischer Wohnkodex ist verfassungsgemäß und nicht diskriminierend

Brüssel, 10.07.08 - Der flämische Wohnkodex sieht vor, dass jemand, der im flämischen Gebiet eine Sozialwohnung mieten will, in der Lage sein muss zu zeigen, dass er oder sie bereit ist, Niederländisch zu lernen - die so genannte „Forderung nach Sprachenbereitschaft". Sogar Holländer müssen den Test absolvieren. Zur Überprüfung dieser Bereitschaft existieren relativ komplizierte Verfahren, im Laufe dieses Jahres dürfen jedoch die Wohnungsgesellschaften selbst den Sprachtest durchführen. Im ersten Halbjahr 2008 haben 9.700 Menschen den Test abgelegt. Zwei Drittel waren Muttersprachler Niederländisch. Einige Gemeinden machen den Sprachentest nun aber auch für den Kauf kommunaler Grundstücke und für den Bezug von Sozialhilfe verpflichtend.

Die Regierung der französischen Gemeinschaft verlangte im vergangenen Jahr vom Verfassungsgericht, den flämischen Wohnkodex für nichtig zu erklären, weil er eine Form der Diskriminierung französisch sprechender Menschen sei. Auch die Liga für Menschenrechte wollte Teile des Wohnkodex aufheben. Das Verfassungsgericht folgte der Klage nicht. Es ist der Auffassung, dass er keine Diskriminierung darstelle. Der Gerichtshof sagt nur, dass die Bereitschaftsverpflichtung Niederländisch zu lernen, nicht für Mietkandidaten in den Randgemeinden Brüssels gelte, die Freiheit von den Sprachbedingungen genießen.

Durch dieses grüne Licht sind die rechtlichen Probleme des Wohnkodex jedoch noch nicht gelöst. Auch bei der Europäischen Kommission läuft nach wie vor eine Untersuchung, aber die Kommission hat auf das Urteil des Verfassungsgerichtes gewartet. (Niederländisch1), (Niederländisch2), (Niederländisch3) und (Niederländisch4)

Drohende Welle von Hungerstreiks

Brüssel, 10.07.08 - Nichtregierungsorganisationen und Kirchen warnen, dass eine Welle von Hungerstreiks droht , wenn die Regierung bis zum 15. Juli nicht bei der Festlegung von Kriterien für die Regularisierung der Lage der Immigranten ohne Papiere interveniert (hpd berichtete): „Die Situation droht zu eskalieren. Die Asylbewerber sind bereit, bis zum Tod zu gehen. Heute oder morgen fällt ein Hungerstreikenden ins Koma, und was dann ", sagt Pol Van Camp des Vereins „Recht auf Migration."

„Der Hungerstreik scheint ein Kriterium zu werden, um die Regularisierung zu erreichen" sagt Reed Dhont von der PvdA. Anlass ist der erfolgreiche Hungerstreik in der Begijnhofkirche in Brüssel, der letzte Woche zu Ende ging. Dadurch bekamen161 Asylsuchenden nach 56 Tagen Hungerstreik einen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis von neun Monaten. In der Folge starteten Hungerstreiks in Vorst und Elsene. Diese beiden Aktionen scheinen nur Vorbote einer Welle von Hungerstreiks zu sein, warnen die Aktivisten.

„Wenn die Asylbewerber morgen eine Halle finden, wo Tausende von Hungerstreikenden verbleiben können, dann ist sie sofort voll." sagt Van Camp. Die Ministerin für Asyl und Migration, Annemie Turtelboom (Open VLD), sagte, dass die Diskussion über die Regularisierung aber feststecke wegen der Spannungen rund um den Abkommen über die Reform der staatlichen Strukturen Belgiens. (Niederländisch)

Diskriminierung verurteilt

Luxemburg, 11.07.08 - Das europäische Arbeitsgericht in Luxemburg verurteilte einen flämischen Arbeitgeber, der sich geweigert hatte, einen eingewanderten Arbeiter einzustellen: Die öffentlichen Erklärung, mit denen ein Arbeitgeber kund tut, dass er keine Arbeitnehmer einer bestimmten ethnischen Herkunft einstellt, ist eine unmittelbare Diskriminierung.

Vor drei Jahren hatte der Chef des flämischen Unternehmens Feryn, spezialisiert auf die Herstellung von Garagentoren, sich mit der Begründung, dass seine Kunden dies nicht wollten, geweigert, einen Marokkaner einzustellen: "Die Monteure müssen in die Privathäuser der Kunden gehen, und diese wollen nicht, dass es sich dabei um Ausländer handelt. Ich finde es schlimm, aber ich kann nichts machen ", erklärte Herr Feryn.

Im Juni 2006 war das Arbeitsgericht von Brüssel, nach Klage eines Antidiskriminierungszentrums, der Ansicht, dass man nicht von einer tatsächlichen Diskriminierung ausgehen könne, da kein individueller Betroffener identifiziert wurde. Berufung wurde dann beim Europäischen Gerichtshof eingelegt. Das beginnt seine obige Urteilsbegründung mit der Feststellung, dass das Fehlen eines identifizierbaren Beschwerdeführers nicht den Schluss auf das Fehlen jeglicher Diskriminierung im Sinne der EU-Richtlinie zulässt. Es fügt hinzu, dass die Erklärungen von Herrn Feryn geeignet sind, bestimmte Kandidaten davon abzuhalten sich zu bewerben und sie stellen daher eine unmittelbare Diskriminierung dar. Der Gerichtshof suggeriert sogar angepasste Sanktionen: „Warum verpflichtete das Gericht den Arbeitgeber nicht, seine diskriminierende Praxis zu stoppen und zur Zahlung von Schadenersatz? Das Luxemburger Gericht war ferner der Auffassung, dass eine Firma sich nicht auf die Benachteiligungswünsche seiner Kunden berufen kann. "Wenn man das tut, ist es ein Verstoß gegen den freien Wettbewerb, da die Firmen die nicht diskriminieren, dann benachteiligt werden." (Französisch)

 

Redaktion und Übersetzung: R. Mondelaers