(hpd) Mit einem zauberhaften Werk hat der Hirzel Verlag durch Veröffentlichung Bernulf Kanitscheiders neuester Streitschrift „Entzauberte Welt
- über den Sinn des Lebens in uns selbst" den Büchermarkt bereichert.
Der ehemalige Philosophieprofessor der Universität Gießen will entzaubern – was ihm auch gelingt –, doch verzaubert er ebenso mit seiner klaren Argumentationsstruktur, beeindruckender Eloquenz und dem Anspruch den Leser intellektuell zu fördern und zu fordern.
Wie erwartet nimmt der Autor den Leser zunächst mit um die Begriffsbedeutung von „Sinn" abzugrenzen und dadurch die Basis für das Zwiegespräch mit seinem Leser zu schaffen. Der Sinn soll nämlich nicht, gleich einem Fähnchen im Wind, hin- und hergedreht werden können, sondern wird klar abgegrenzt. Im Wesentlichen unterscheidet er zwischen dem mikrokosmischem, dem „lokal-terrestrischen" Sinn, dessen Ziel - und somit auch dessen Existenz - offensichtlich ist, und dem makrokosmischem Sinn, der eine „globale teleologische Einbettung" voraussetzt. Letzterem widmet sich Kanitscheider anschließend auch ausführlich, denn kaum ein anderer Begriff erfährt eine ähnliche Besetzung durch Weltanschauungen jeglicher Couleur. Darüber hinaus müsste die Erkenntnis eines übergeordneten Sinns zwangsläufig auch den zeitlich begrenzten lokalen Sinn eines jeden Menschen beeinflussen.
Hier nimmt der Philosoph nun noch eine weitere Unterteilung vor, „denn es ist ja durchaus möglich, dass Sinn sich in der Welt der mittleren Größenordnungen offenbart, auch wenn er weder auf der untersten materiellen noch auf der kosmischen Ebene zu finden ist". Doch auch derartige Erklärungsversuche seien ebenso zum scheitern verurteilt, wie Küngs „Frage nach Grund und Sinn des Ganzen der Wirklichkeit", welcher der Autor sogar ein ganzes Kapitel widmet um komprimiert - und in bester Albertscher Tradition - die Fehlerhaftigkeit des populärtheologischen Ansatzes herauszuarbeiten.
Weiter legt Kanitscheider dar, dass eine Zwei-Welten-Strategie, eine Komplementarität als Versöhnungsstrategie zwischen Wissenschaft und Glauben in Bezug auf die Sinnfrage nicht zielführend ist. Er analysiert anschließend mit Hilfe der Logik Ideologien, welche oft genug als sinnstiftendes Moment herhalten mussten und müssen.
Bei der Frage, ob es einen Sinn gäbe, der sich objektivieren lasse, zeigt der Autor, dass es „an keiner Stelle" angezeigt ist „Platz für Zwecke, final gerichteten Fortschritt, Erfüllung idealer Sinnvorgaben oder verwandter spiritueller Elemente" zu vermuten um dann den Ort des Menschen im System auszuloten, was für alle diejenigen Leser zu einem Aufschrei führen muss, die einem gewissen Anthropozentrismus anhängen, zu welchem es nach aktuellem Forschungsstand keinerlei Hinweis gibt. Er legt dar, dass eine Funktion der Geisteswissenschaften als Lückenbüßer für Naturwissenschaften bezogen auf die Sinnstiftung zu einem absurden Dualismus führen muss, der nur durch eine konzertierte Aktion überwunden werden kann, was er selbst, nach Meinung des Rezensenten, mit diesem Buch sehr anschaulich vorexerziert. Kanitscheider geht dann auf die Illusionen ein, denen wir als im System behafteter Beobachter zum Opfer fallen können und diskutiert schließlich noch sehr ausführlich und kompetent die „Feinabstimmung des Universums". Abschließend bietet er noch einen Lösungsansatz an, der nicht unbedingt trivial ist, sich aber logisch konsequent aus dem bisher Dargelegten ergibt. Auf diesen möchte der Rezensent jedoch nicht eingehen, um dem Leser nicht den Spaß an der vorgestellten Streitschrift zu verderben.
„Entzauberte Welt" schöpft sein Potential vor allem aus dem klaren Ansatz, der logischen und schlüssigen Argumentation und nicht zuletzt aus der Kompetenz des Autors naturwissenschaftliche Erkenntnisse und philosophische Gedankengänge auf wunderbare Art in Beziehung zu setzen. Auf Grund dieser Herangehensweise steht der Autor in bester Tradition mit den antiken Philosophen, deren Bestrebungen sich aus einer „Liebe zur Weisheit" herleiteten, eine Liebe, die auch bei Kanitscheider, trotz allem Willen zu streiten, klar zu erkennen ist.
Zwei Dinge eher subjektiver Natur möchte der Rezensent noch anmerken: zum einen stieß die „Streitschrift" auf Grund der eigenen Weltanschauung auf wenig bis gar keinen Widerstand, denn es bestünde lediglich gradueller, jedoch kein prinzipieller Diskussionsbedarf, d.h. je nach Weltbild sollte es nicht verwundern, wenn man mit Kanitscheider nicht streiten kann bzw. im umgekehrten Fall sich permanent herausgefordert fühlt. Zum anderen hat der Hirzel Verlag hier, bezogen auf die Äußerlichkeiten, ein sehr schönes und doch unaufdringliches Buch produziert, ein Buch, das man gerne anfasst, das sich auf Grund des Formats und Schriftbildes sehr angenehm liest und das sich deswegen auch hervorragend als Geschenk für alle Sinnsuchenden eignet.
Oliver Muhr
Bernulf Kanitscheider, Entzauberte Welt - über den Sinn des Lebens in uns selbst. Eine Streitschrift, Hirzel Verlag, Stuttgart (Mai 2008), 217 Seiten, Euro 24,-, ISBN 978-3-7776-1603-2.