... und die Gegensätze in der laizistischen Bewegung.
FRANKREICH / NANCY. (hpd) Seit Monaten wird in Frankreichs laizistischen Kreisen
- auf dem Hintergrund des gesetzlichen Kopftuch- und Schleierverbotes -, eine scharfe Debatte über den Fall Truchelut geführt. Sie hat viel Ähnlichkeit mit der in Deutschland zu diesem Thema geführten Pro und Contra Diskussion.
Was ist der „Fall Truchelut"? Im Juli 2006 wollten fünf Gäste in der Berghütte von Fanny Truchelut in den Vogesen übernachten. Zwei davon waren komplett verschleierte Damen und Frau Truchelut bat die Frauen, aus Gründen des Neutralitätsprinzips, ihren Schleier in den Gemeinschaftsräumen der Hütte abzulegen. Die Besucher verließen daraufhin unter Protest die Hütte. Frau Truchelut wurde dann vom Schwager einer der Frauen wegen „der Verweigerung von Dienstleistungen aus ethnischen, rassischen oder religiösen Gründen" verklagt und im Oktober 2007 in Epinal der Prozess gemacht. Sie wurde zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldbuße von 8.490 Euro verurteilt. Die 53-jährige alleinerziehende Mutter von zwei Kindern musste ihre Hütte verkaufen, ist jetzt auf soziale Unterstützung angewiesen und kann die Strafe nicht bezahlen. So kann sie letztendlich noch im Gefängnis landen.
Unmittelbar nach Bekantwerden des Falles starteten einige laizistische Organisationen und Internetseiten eine Kampagne zur Unterstützung von Frau Truchelut. Die Argumente gleichen denen der Verbotsanhänger in Deutschland.
Nach Agorafox z. B. ist das Tragen eines Schleiers nicht nur ein Zeichen religiösen Glaubens, sondern ein Symbol „für das Ausschließen der Frauen aus dem öffentlichen Raum, für ihre Minderwertigkeit und Unterdrückung." Das verstößt gegen die verfassungsmäßigen Prinzipien der Gleichheit und der Laizität. Der Schleier ist ein Banner des militanten politischen Islamismus und zerstört die Trennung von Politik und Religion als Grundlage des gesellschaftlichen Friedens. Warum, so Agorafox, einen Unterschied machen zwischen Schleier und Hakenkreuz oder gelbem Stern, um so mit Erstaunen festzustellen, dass aus der Geschichte nichts mehr gelernt wird? Wie weit ist man in einem laizistischen Land gekommen, wenn dort auf Grund von Rassismus und religiöser Diskriminierung Menschen verfolgt werden, die das zur Schaustellen von religiösen Zeichen in öffentlichen Räumen nicht akzeptieren? Da in der ganzen Welt Frauen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit den Schleier tragen, aber auch viele muslimischen Frauen den Schleier nicht tragen, kann es sich hier nicht um rassische, ethnische oder religiöse Diskriminierung handeln.
Ganz vorne in der Verteidigungsfront von Frau Truchelut stehen Gruppen wie z.B. „Riposte Laique". Sie wirft bestimmten Kreise der französischen Linken vor, die Laizität zu instrumentalisieren, um sie zu relativieren: Die so genannte relativistische Linke! Nach Risposte Laique vertritt diese Fraktion der Linke eine mit dem Ultra- oder Neoliberalismus vergleichbare Version der Laizität und kollaboriere de facto mit den Islamisten. Für diese Gruppen wäre die Laizität ein Hindernis für die weltweite Verbreitung ihrer revolutionären Ideologie zusammen mit dem islamischen Proletariat. Die Positionierung im Fall Truchelut wäre somit ein Prüfstein für die laizistische Treue der Linken.
Die „Union des Athées" fragt u. a. warum man in bestimmten religiösen Räumen gezwungen ist den Kopf zu bedecken und der umgekehrte Sachverhalt strafbar ist, oder warum das Burka-Tragen in einem Bankgeschäft verboten ist, der Inhaber einer Bäckerei aber den Zutritt einer solche Person nicht verbieten darf. Die Frage ist also: haben die Nichtgläubige dieselbe Rechten wie die Gläubige?.
Die Boulevardpresse und einige lokale Zeitungen brachten im Gegensatz dazu Frau Truchelut direkt in die Nähe des Rechtsradikalismus. Auch einige der größeren laizistischen und antirassistischen Organisationen unterstützen die Klage, allerdings in mehr abgewogener Weise.
So charakterisierte auch der sozialistische Rechtsanwalt Gérard Wetzler der Organisation MRAP (Bewegung gegen den Rassismus und für die Freundschaft unter den Völkern), die gegen die Islamophobie kämpft, Frau Truchelut als eine katholische Integristin. Die LDH (Liga der Menschenrechte) wirft Frau Truchelut einen Verstoß gegen das Recht auf Gleichberechtigung der Frauen vor. Beide Organisationen treten sogar als Nebenkläger auf.
Caroline Fourest, eine in den Medien oft auftretende Vertreterin der laizistischen Strömungen Frankreichs, begründet ihre Haltung mit dem Antidiskriminierungsgesetz von 2003: „Auf der Strasse hat eine Frau das Recht zu einer verschleierten Frau zu sagen, dass der Schleier sie verletzt, weil er versucht, eine Trennung zwischen reinen und unreinen Frauen herzustellen. Das wird durch das Recht auf freie Meinungsäußerung abgedeckt. Wenn sie in Gegensatz dazu aber ihre Position als Geschäftsinhaberin benützt, um ihre Ideen den Kunden aufzuzwingen, dann ist das klare Diskriminierung. (...) Deshalb ist Fanny Truchelut verurteilt worden. Weil ihre Reaktion illegal war. Man kann sie verstehen aber sie rechtfertigen würde die Selbstjustiz ermutigen."
Die UFAL (Bewegung für eine laizistische Erziehung) wirft den Verteidigern von Frau Truchelut dogmatische Antireligiosität und „Ultralaizismus" vor, wodurch sie objektiv den so genannten Kommunautarismus unterstütze, d.h. die Forderung von politischen und kulturellen Rechten für Minderheiten, was nach der Meinung seiner Gegner gegen die Verfassung der französischen Republik verstößt.
Kein Problem der Laizität?
Die Komplexität des Problems hat dazu geführt, dass bis jetzt die meisten größeren laizistischen und antirassistischen Organisationen öffentlich keine Position zu dem Prozess einnehmen.
Das ist der Fall für viele traditionellen feministischen Organisationen (wie z.B. das CNDF), die linken politischen Gruppierungen und auch atheistische Organisationen wie „La Pensée libre". Das heißt nicht, dass sie für die Verurteilung von Frau Truchelut eintreten, sondern, dass sie den Fall nicht als ein Problem der Laizität sehen.
Zentral steht dabei das Argument, dass die Berghütte von Frau Truchelut kein öffentlicher Raum ist, wo religiöse Zeichen verboten sind. Das würde die Definition von „öffentlicher Raum" unkontrollierbar erweitern. Die Hütte ist - wie ein Hotel -, vorgesehen, um Gäste zu empfangen. Nach der Meinung der „schweigenden laizistischen Mehrheit" haben diese deshalb das Recht sich zu kleiden wie sie wollen. Man darf sich nicht auf das Gesetz der Trennung von Kirche und Staat berufen, um die Menschen daran zu hindern, ihre religiöse Zugehörigkeit zu zeigen. Getragen wird diese Einschätzung auch von der Ablehnung eines Antiislamismus, der alle Muslime und nur diese religiöse Gruppe als Gegner einer zivilisierten Gesellschaft darstellt.
Berufungsverfahren
Am 4. September fand in Nancy nun das Berufungsverfahren statt. Jetzt wurde die Angeklagte durch einen neuen Rechtsanwalt, Mr. Chabert, vertreten. In vorherigen Prozess geschah dies durch den in rechtspolitischen Kreisen aktiven Mr. Villiers, was damals Anlass zu der rechtsradikalen Verdächtigung von Frau Truchelut führte. Das konnte jetzt beseitigt werden und auch die Gefahr einer Strafe scheint nicht mehr zu bestehen. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass die Gästezimmer dr Berghütte durch einen separaten Eingang erreichbar waren und sie nicht durch Frau Truchelut aus dem Haus verwiesen worden sind. Es liegt nach der Staatsanwaltschaft somit kein Fall „systematisch organisierter Diskriminierung" vor.
Am 8. Oktober wird das Gericht sein Urteil fällen. Es wird mit Spannung erwartet, weil es Konsequenzen für die Interpretation der Reichweite des Kopftuch- und Antidiskriminierungsverbotes in Frankreich hat.
R. Mondelaers
Weitere Informationen zu der Diskussion (Französisch)