(hpd) Pakistan gilt als Land auf dem Weg zum failed state. Der Politikwissenschaftler Jochen Hippler legt eine gegenüber dieser eindimensionalen Sicht der Dinge differenzierter argumentierende Studie zur politischen Entwicklung des Landes vor.
Vor den Terroranschlägen des 11. September 2001 fand die politische Entwicklung in Pakistan wenig öffentliches Interesse. Mittlerweile nimmt man das Land weitaus stärker zur Kenntnis: als Nachbar des Krisenstaates Afghanistan, als Operationsbasis von Taliban-Kämpfern, als Region bürgerkriegsähnlicher Konflikte, als Ort spektakulärer Gewalttaten unterschiedlichster Art, als offizieller Bündnispartner im Kampf gegen den Terrorismus, als staatlicher Besitzer der Atombombe. Dadurch entstand in der medialen Wahrnehmung der Eindruck, es handele sich um ein gefährliches als auch ein gefährdetes Land. Doch inwieweit kann dieses Bild als angemessen gelten? Dieser Frage geht der Politikwissenschaftler Jochen Hippler, der am Institut für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen arbeitet und als ausgewiesener Kenner der politischen Entwicklung des Landes gilt, in seinem neuesten Buch mit dem bezeichnendenden Titel „Das gefährlichste Land der Welt? Pakistan zwischen Militärherrschaft, Extremismus und Demokratie" nach.
Es ist in drei große Teile gegliedert und präsentiert sich dabei als Handbuch zum Thema: Nach einer Einführung mit kritischen Anmerkungen zur Wahrnehmung von Pakistan in den westlichen Medien findet sich eine ausführliche Geschichte des Landes von der Indus-Zivilisation bis in die Gegenwart hinein. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Jahren nach der Gründung 1947 mit seinen politischen Wechseln zwischen säkularer Militärherrschaft, fragiler Demokratie und neuer Militärherrschaft. Dem folgen Ausführungen zu Gesellschaft und Wirtschaft mit Anmerkungen zur Bedeutung der Religion und der Einstellung gegenüber den Menschenrechten, aber auch zu den Provinzen und Regionen mit ihrer ethnischen und sprachlichen Vielfalt. Und schließlich geht der Autor auf die aktuelle Krisensituation im Spannungsfeld von Militärherrschaft, Gewalt und Islam ein. Dabei zeigt sich, dass die häufig in den westlichen Medien betonte Konfliktlinie zwischen religiösen und säkularen Kräften die reale gesellschaftliche Entwicklung nur undifferenziert und unterkomplex trifft.
So formuliert Hippler denn auch: „Tatsächlich aber ist höchst fraglich, ob das Problem der Säkularität oder religiösen Orientierung die grundlegende Konfliktlinie in Pakistan beschreibt. Denn wir haben es mit ganz unterschiedlichen Konfliktlinien und Gewaltherden zu tun, die einzeln analysiert werden müssen - und die Verbindung des religiösen Radikalismus zur politischen Gewalt ist weit komplizierter, als dies aus der Ferne erscheinen mag" (S. 210). An zahlreichen Bespielen aus Geschichte und Gegenwart veranschaulicht der Autor, „dass der religiöse Diskurs und religiöse Gesetze der pakistanischen Gesellschaft nicht allein von islamistischen Radikalen aufgedrängt, sondern häufig von opportunistischen säkularen Politikern und Regierungen durchgesetzt wurden" (S. 260). Sie dienten ihnen zur Sicherung der eigenen Macht, zur Schwächung der säkularen Konkurrenz und zur Förderung der nationalen Integration. Darüber hinaus nutzte man religiöse Politik und Rhetorik auch für die Außenpolitik, etwa gegenüber Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten.
Hippler legt mit seinem Pakistan-Handbuch ein überaus informatives und kenntnisreiches Werk zum Thema vor. Darin veranschaulicht er, dass der westliche Blick mit der Unterscheidung eines demokratisch-säkularen und extremistisch-islamistischen Lagers an der Wirklichkeit vorbeigeht. Insgesamt verhält es sich mit den Konfliktlinien weitaus komplizierter, und dies lässt den Leser noch irritierter als zu Beginn der Lektüre zurück. Gesellschaftliche Entwicklungen können aber nicht immer in einfache „Schubladen" gepresst werden. Der Autor hätte daher aber auch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte und ihre Interessen systematischer analysieren können. Dies geschah nur ausführlicher bezogen auf das Militär und in Ansätzen hinsichtlich der religiös-politischen Kräfte. Bei aller Skepsis hinsichtlich der Zukunft des Landes verweist Hippler auch auf einige ermutigende Entwicklungen, die er im Ansehensverlust des Militärs und der Herausbildung einer neuen Mittelschicht sieht. Auch die damit verbundenen Hoffnungen verdienen Beachtung.
Armin Pfahl-Traughber
Jochen Hippler, Das gefährlichste Land der Welt? Pakistan zwischen Militärherrschaft, Extremismus und Demokratie, Köln 2008 (Kiepenheuer & Witsch), 293 S., 9,95 €