(hpd) In der Buchreihe Klassiker der Religionskritik des Aschaffenburger Verlags Alibri liegt nun der zehnte Band vor. Wurden bisher Denis Diderot, Johann Most, Albert Dulk, Jakob Stern, Fritz Lamm, Friedrich Hecker, Peter Maslowski, Rosa Luxemburg und zuletzt August Bebel porträtiert, steht nunmehr August Thalheimer (1884-1948) im Mittelpunkt.
Wie auch in den Vorgängerbänden werden in einer ausführlichen Einleitung Leben und Werk dargestellt, ein erklärendes Glossar, eine biographische Zeittafel und eine Bibliographie angefügt. Der Leserschaft liegt somit in komprimierter Form informatives biographisches Material und exemplarische Texte zu weltanschaulichen Positionen der vorgestellten Persönlichkeiten vor. Dabei wurde offenbar fleißig recherchiert und handwerklich ordentlich editiert.
Dem Band vorangestellt ist ein kurzes Vorwort des 92jährigen Theodor Bergmann, der Thalheimer noch persönlich kannte und dessen privates Archiv und seine umfangreichen Publikationen (Die Thalheimers. Geschichte einer Familie undogmatischer Marxisten, Hamburg 2004 u.a.) entscheidend zu diesem Buchprojekt beigetragen haben. Auch ein Brief mit persönlichen Erinnerungen von Thalheimers Sohn Roy, der 87jährig in Australien lebt, wird eingangs dokumentiert.
Entsprechend engagiert fällt dann auch die Einleitung des Herausgebers Jestrabek aus, der schon die Ausgaben von Dulk, Stern, Luxemburg und Bebel besorgt hatte. Er berichtet ausführlich über einen „jüdischen Schwaben und atheistischen Philosophen“ – und nach der Lektüre fragt man sich, warum 60 Jahre nach seinem Tod vergehen mussten, bis die Werke dieser interessanten Persönlichkeit veröffentlicht werden.
Dabei hat besonders die internationale Rosa-Luxemburg-Rezeption in den letzten Jahren Thalheimer als einen bedeutenden Mitkämpfer und Fortsetzer Rosa Luxemburgs entdeckt – aber bisher stand er als politischer Dissident, erster und bedeutendster deutscher Faschismus-Analytiker und differenzierter Kritiker der Sowjetbürokratie im Mittelpunkt. Der Schwerpunkt seiner Theorie, die dialektische und materialistische Philosophie und seine darin enthaltende Religionskritik, wird erstmals in diesem Band beschrieben, dokumentiert und kommentiert.
Thalheimer stammte aus einer aufgeklärten schwäbisch-jüdischen Familie. Im Elternhaus verkehrten die Größen der Sozialdemokratie, besonders Clara Zetkin. August studierte und wurde ein hochspezialisierter Sprachwissenschaftler, veröffentlichte in der „Neuen Zeit“ den im Buch dokumentierten Aufsatz „Gott, Freiheit und Unsterblichkeit“, arbeitete als Redakteur, schloss sich der Linken um Rosa Luxemburg an, wurde Mitbegründer der Spartakusgruppe und später der KPD und nach der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg der theoretische Kopf der Partei. 1924 wurde er zusammen mit Heinrich Brandler als Sündenbock für die verloren gegangene deutsche Revolution abgesetzt und ins „Ehrenexil“ nach Moskau geschickt. Diesem nicht ganz freiwilligen Aufenthalt und seiner dortigen Tätigkeit verdankten die Zeitgenossen eine Reihe von Schriften, die im vorliegenden Band abgedruckt sind: seine Philosophie-Vorlesungen an der Sun-Yatsen-Universität vor chinesischen Studenten und das Buch über Spinoza, gemeinsam verfasst mit den damals bekannten sowjetischen Philosophen Deborin. Er arbeitete mit Rjasanow und Bucharin, die beide später Opfer der Stalinschen Säuberungen werden sollten. 1928 kehrte Thalheimer mit großen Schwierigkeiten zurück nach Deutschland, um kurz darauf als Objekt einer Ausschlusswelle aus der KPD herauszufliegen. Mit Eduard Fuchs stürzte er sich in die gewaltige Aufgabe, die Werke Franz Mehrings herauszubringen, was größtenteils noch vor 1933 gelang.
Über Thalheimers oppositionelle Kommunisten, seinen verzweifelten Kampf für eine Einheit der zerstrittenen Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Faschismus und seine Emigrationsjahre in Frankreich und Kuba wird berichtet. Die Rückkehr nach Deutschland nach Kriegsende wurde ihm verwehrt und so starb er 1948 auf Kuba.
Von besonderem Interesse für die Religionskritik dürften die Kämpfe und Diskussionen innerhalb der Bewegungen der sowjetischen „Gottlosen“ und der deutschen Freidenker gewesen sein. Hier verweist der Herausgeber auf ein bisher noch zu wenig aufgearbeitetes Kapitel der Geschichte der Arbeiterkulturbewegung.
Quasi als Nebenprodukt dieses Buchprojektes entstand als 64-seitige Broschüre die Herausgabe einer „Erstveröffentlichung des vollständigen Manuskripts“ August Thalheimer: Über die Kunst der Revolution und die Revolution der Kunst. Ein Versuch. Mit einer Einführung von Theodor Bergmann und herausgegeben von Heiner Jestrabek. (Heidenheim-München 2008)
Diese Präsentation von Thalheimer-Schriften belegt eben wieder einmal, dass das theoretische Erbe August Thalheimers ganz zu Unrecht in Vergessenheit geraten und fehlinterpretiert war.
Insbesondre ist von Interesse, dass es bereits in den 1920er Jahren bedeutende antistalinistische Kräfte und durchaus starke politische und personelle Alternativen im deutschen Kommunismus gab.
Die Bewegung war eben doch nicht „monolithisch, einfältig, sondern pluralistisch, vielfältig“. Oder um es mit Theodor Bergmanns zitierten Worten auszudrücken: „Die heute gängige Geschichtslüge sagt, der Stalinismus sei die einzige und einzig mögliche Entwicklungslinie des Kommunismus gewesen. Die Wiederentdeckung der Ketzer im Kommunismus soll daher auch ein Beitrag zur geistigen Erneuerung der sozialistischen Bewegung sein, eine Anregung zu zweifelndem Denken, im Gegensatz zur Verzweiflung der Dogmatiker.“ In diesem Sinn seien alle zur Neuentdeckung herzlich eingeladen.
Ralph Metzger
August Thalheimer „So ist die Vernunft selbst weltlich“. Ausgewählte philosophische und religionskritische Schriften. Herausgegeben von Heiner Jestrabek. Klassiker der Religionskritik, Bd. 10. Aschaffenburg 2008 (Alibri), 168 Seiten, 13,00 €
ISBN 978-3-86569-130-9