„Naturalismus - Leben ohne Geister, ..."

FRANKFURT/M. (hpd) Am 14.11.2008 um 20 Uhr, dem zweiten Vortragstermin der Säkularen Humanisten Rhein-Main, sprach der 49-jährige Diplom-Psychologe und Systemanalytiker Volker Dittmar über die naturalistische Weltsicht.

 

Zunächst räumte der Referent mit dem Missverständnis auf, der Begriff beziehe sich auf eine „Zurück zur Natur - Romantik" oder beschränke sich nur auf eine bestimmte Kunstrichtung. Das philosophische System des Naturalismus definierte er in Form einer ontologischen und methodologischen Ausprägung. Erstere sieht die gesamte konkrete Wirklichkeit als die natürliche Welt an, wobei aber zur Beschreibung der Welt nur verifizierte (bewiesene) Aussagen sinnvoll sind. Letztere sieht nur das für uns Erfassbare als natürliche Welt an und orientiert sich zur Beschreibung der Realität an der Falsifizierbarkeit (Widerlegbarkeit) lässt aber unüberprüfbare Sätze ebenfalls zu, da sich die Grenzen der Erfassbarkeit durch den Fortschritt verschieben können, so dass auch solche Aussagen - sofern sie natürliche Erklärungen enthalten - sich langfristig als fruchtbar erweisen können. Der methodische Naturalismus ist auch die Position des Vortragenden.

Zur grundlegenden Kennzeichnung der nicht-naturalistischen Weltbilder griff Dittmar zunächst auf ein viel bemühtes Shakespeare-Zitat zurück: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erden als sich eure Schulweisheit träumen läst." Ironischerweise war dies nicht etwa eine Aussage des Dichters um übernatürliche Weltdeutung zu rechtfertigen, vielmehr legte er diesen Ausspruch einer seiner Figuren gegenüber dem Helden (Hamlet) in den Mund. Gegenüber diesem Hinweis lässt sich natürlich einwenden, dass die mögliche Existenz von allerlei Unbekanntem nicht zur leichtgläubigen Hinnahme beliebiger Behauptungen ermutigen sollte und entgegnete mit dem Philosophen Quine: „Möglich, aber mein Anliegen ist es, in meiner Philosophie nicht mehr Dinge zu haben, als es zwischen Himmel und Erde gibt." Eine Entfesselung spekulativen Denkens ist letztlich ein Freibrief für Wunschdenken, welches nur allzu leicht jedweden Realitätsbezug in Gefahr bringt, so dass der Referent die Zitierfolge mit Bertrand Russel abschließen konnte: „Etwas zu postulieren weil man es wünscht hat viele Vorteile, es sind die gleichen wie die des Diebstahls gegenüber der ehrlichen Arbeit."

Zur Behandlung der Frage nach dem Verständnis von Wahrnehmung überraschte der ehemalige Zauberkünstler die Zuhörer mit einem experimentellen Stadt-Land-Fluss-Spiel. Er veranlasste drei per Zufall (?) ausgewählte Anwesende jeweils eine Stadt, ein Land oder einen Fluss auszuwählen und verdeckt zu notieren. Sie sollten aber versuchen ihm die Namen auch gedanklich mitzuteilen, ihn „innerlich anschreien". Wie auch immer die Versuchspersonen die Vorgabe „umsetzten", jedenfalls notierte Dittmar was er „verstanden" hatte, die Ergebnisse wurden verglichen und zeitigten zur Überraschung - sogar des Referenten - einen hundertprozentigen Erfolg. Natürlich waren alle gespannt, mehr über diesen Trick zu erfahren. Die Frage ob jetzt irgendjemand im Publikum begonnen habe an übernatürliche Phänomene zu glauben wurde allgemein verneint, worüber der Künstler ausgesprochen erleichtert war. Offenkundig hatte er hierbei hin und wieder schlechte Erfahrung gemacht. Vielleicht sollte der indische Guru Sai Baba, dessen Anhänger ihn für eine Inkarnation Gottes halten, der aber durch in Indien verbotene Filmmitschnitte als Bühnenmagier entlarvt wurde, sich an Volker Dittmar ein Beispiel nehmen. Freilich wollte auch er seinen Trick nicht verraten. Aus dem Publikum kam natürlich zuerst die Absprache-Theorie die aber von den Beteiligten zurückgewiesen wurde. Schließlich einigte man sich darauf, die Schwachstelle bei dem Herumreichen der Notizblöcke zu sehen, wo keine hinreichende Kontrolle gegeben war. Obendrein verwies der gelernte Psychologe auf die nicht unbeträchtlichen Möglichkeiten seines Faches, die aber selten einen dreifachen Erfolg ermöglichen.

Später wurde das Publikum mit einer optischen Täuschung konfrontiert. Dittmar zeigte eine Maske mit dem Antlitz Albert Einsteins, er drehte sie um, so dass der es ausformende Hohlraum zu sehen war. Er veränderte ein paar Mal die Stellung gemäß dem Lichteinfall, ließ auch den Raum leicht abdunkeln und siehe da; an Stelle des Hohlraumes war jetzt ein echtes Gesicht zu sehen (von Immanuel Kant, wie mir im ersten Moment schien). Diesmal sparte der Referent nicht damit, eine natürliche Erklärung selbst zu liefern. Unser Gehirn ist das Produkt der biologischen Evolution, dreieinhalb Milliarden Jahre Auslese nach der Überlebensfähigkeit. Wenn unser Gehirn in einer halbdunklen Umgebung spärliche Signale empfängt, behilft es sich mit Hilfskonstruktionen, sind die begrenzten Eindrücke als ein hohles Gesicht deutbar - ein ihm völlig unbekanntes Objekt - rekonstruiert es das Gesehene vorsichtshalber als echtes Gesicht, um das Risiko verzögerter Wahrnehmung eines potentiellen Feindes zu minimieren.

Man musste unwillkürlich an den ersten großen Christentumskritiker Celsus (180 u. Z.) denken, schon er befand; man könne auf jedem Jahrmarkt Wundertäter sehen, deren Tricks nicht auf Anhieb zu durchschauen sind. Solle man die alle etwa für Gottessöhne halten? Volker Dittmar befand hierzu: „Wunder sind etwas, was immer nur dann geschieht, wenn gerade zufällig kein Skeptiker da ist."
Als Grundmodell antinaturalistischer Deutung von Ursache und Wirkung stellte er den esoterischen Fehlschluss vor:

  • (1) Das Ereignis X ist unerklärlich (und ich habe alle natürlichen Ursachen berücksichtigt)
  • (2) Es gibt keine natürliche Erklärung
  • (S) Folglich muss das Ereignis eine übernatürliche Ursache haben

Bereits hier erkennt man einen Zirkelschluss, (2) enthält bereits (S).
Genauso gut kann man aber auch behaupten:

  • (1) Das Ereignis X ist unerklärlich.
  • (2) Es muss aber eine natürliche Erklärung geben. (denn ich kann alle übernatürlichen Erklärungen ausschließen)
  • (S) Folglich muss das Ereignis eine natürliche Ursache haben

Hier liegt ein Patt vor. Es müssen schon andere Argumente herhalten.

Der Referent wandte sich der Frage nach dem Verständnis von Realität zu. Wir nehmen eigentlich nicht die Realität wahr. „Was wir sehen oder fühlen ist ein logischer Rückschluss von einer Ursache-Wirkungs-Kette auf den Anfang dieser Kette. Läuft dabei etwas schief, täuschen wir uns. Wie kann man erfahren was es mehr gibt? Alles was Anti¬Naturalisten zu bieten haben, ist reine Spekulation. Es sind die Naturalisten, die mittels naturalistischer Methoden herausfinden, was davon auch real ist."

Die Unterlegenheit esoterisch-spekulativen Denkens zeigt sich darin, dass es zu vielen unterschiedlichen einander ausschließenden Sichtweisen führt (Divergenz). Man kann Dittmar nur zustimmen. Weder Astrologen, noch esoterische „Mediziner" und schon gar nicht Religionsführer bewegen sich auf eine gemeinsame Weltsicht zu. Die Christen hatten allein über das Wesen der Gottesohnschaft Jesu Christi mindestens neun verschiedene „Erklärungsangebote". Welche davon Verbreitung fand wurde nie durch Argumente entschieden. Die esoterischen traditionellen „Medizinsysteme" der verschieden Kulturkreise unterscheiden sich diametral voneinander. Der Dalai Lama unterhält zwar ein Krankenhaus zur Anwendung traditioneller tibetischer Medizin, lässt aber seinen jährlichen Gesundheitscheck in einem indischen Nobelkrankenhaus mit modernster Schulmedizin durchführen.

„Divergenz ist ein Zeichen dafür, dass man sich aus guten Gründen nicht einigen kann." Und zwar weil keine echte Wissensbasis vorhanden ist.

Die Überlegenheit naturalistischer Weltsichten zeigt sich in der Konvergenz. Es gibt weltweit, über alle Kulturen hinweg nur eine Physik. Rivalitäten zwischen konkurrierenden Lehrmeinungen können durch weitere Forschungen überwunden werden, mit denen man die Natur ins Kreuzverhör nimmt. Auch die Invarianz, die Stabilität der Naturgesetze und der Resultate identischer Experimente, ist ein starkes Indiz dafür, dass es eine nur eine Realität gibt.

In einem der letzten Kapitel wandte sich der Referent dem Begriff der Erklärung zu. Zu ihr gehört nicht nur die innere Stimmigkeit, sondern auch das Eingeständnis der Grenzen eigener Erkenntnis. Eine Weltsicht die vorgibt alles zu erklären muss falsch sein, denn wir können nicht alles wissen also auch nicht alles erklären. Der häufige Einwand gegen den Naturalismus, er würde ja auch nicht für alles eine Deutung anbieten, ist daher gegenstandslos.

Jochen Beck

 

Der nächste Termin der Vortragsreihe ist am 12.12.2008 um 20:00 Uhr, siehe hierzu die Internetseite.