„Deutsche Zustände, Folge 7"

(hpd) Zum siebten Mal legt eine Wissenschaftlergruppe um Wilhelm Heitmeyer in „Deutsche Zustände" Ergebnisse ihrer empirischen Analysen zur Verbreitung „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" in Deutschland vor. Obwohl sich in der Tendenz erfreulicherweise ein Rückgang konstatieren lässt, besteht weiterhin noch ein relativ hoher Sockel entsprechender Einstellungen und Ressentiments.

 

Seit sieben Jahren erforscht eine Gruppe von Wissenschaftlern um Wilhelm Heitmeyer am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld die Verbreitung von Erscheinungsformen „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" in Deutschland. Darunter verstehen sie ein Syndrom von folgenden Einstellungen: Abwertung von Behinderten, Abwertung von Langzeitarbeitslosen, Abwertung von Obdachlosen, Antisemitismus, Etabliertenvorrechte, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Islamphobie, Rassismus und Sexismus.

Ihr aktueller Bericht zu dem Jahr 2008 erschien in bekannter Form unter dem Titel „Deutsche Zustände. Folge 7". Darin widmete man sich angesichts von nahezu zwanzig Jahren Vereinigungsprozesses auch der Frage, inwieweit man nicht nur von einer politischen, sondern auch von einer gesellschaftlichen Einheit von Ost- und Wesdeutschland sprechen kann. Im Zentrum stand indessen auch hier wieder das Ausmaß von Ressentiments gegen Minderheiten und deren Zusammenhang mit Benachteiligungsgefühlen.

Die insgesamt 17 Beiträge gliedern sich in vier große Rubriken, die über formale und inhaltliche Gesichtspunkte unterschieden werden: Zunächst geht es um empirische Analysen, die auf Basis eines regelmäßig erhobenen Datensatzes durchgeführt werden. Hierbei standen die Entwicklung des Autoritarismus in den alten und neuen Bundesländern, der Kontext von Benachteiligungsgefühlen und Rechtspopulismus, die Verbreitung von antisemitischen Einstellungen oder der Zusammenhang von Fremdenfeindlichkeit und Politikverdrossenheit im Zentrum. Dem folgen journalistisch ausgerichtete Fallgeschichten, etwa zu Erfahrungen mit einer Ausstellung zum Antisemitismus in der DDR oder zu rechtsextremistischen Frauen in Ost und West. Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt besteht im Agieren von Gesellschaft, Politik und Staat, etwa anhand von Neonazis im Ost- und Westharz oder des Umgangs mit Rechtsextremismus nach 1989 in Ost- und Westdeutschland. Und schließlich findet man in dem Band ausführliche Interviews mit Alfred Grosser und Friedrich Schorlemmer.

Hinsichtlich der aktuellen Entwicklung von Einstellungen im Sinne der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" zeichnen die Autoren ein differenziertes Bild: Die Fremdenfeindlichkeit ginge seit 2005 zurück, was möglicherweise mit der positiven Arbeitsmarktentwicklung zu tun habe. Auch bei den antisemitischen Einstellungen lasse sich ein leichter Rückgang ausmachen. Bei der Islamphobie verhalte es sich demgegenüber ambivalent, während derartige Neigungen im Osten zunehmen würden, gingen sie im Westen zurück. Insgesamt konstatiert man somit einen eher rückläufigen Trend, wobei der weiterhin bestehende relativ hohe Sockel von entsprechenden Ressentiments nicht ignoriert werden soll.

Die Forscher beschränken sich in dem Band wie in ihren vorherigen Studien aber nicht nur darauf, die quantitative Entwicklung derartiger Einstellungen zu erfassen. Ihre empirischen Analysen weisen immer wieder auf den Zusammenhang mit Anerkennungsproblemen und Benachteiligungsgefühlen, Demokratiekritik und Desintegrationsprozessen hin.

Auch diesmal legt die Wissenschaftlergruppe um Wilhelm Heitmeyer einen beachtenswerten und informativen Band zum Thema vor. Insbesondere die analytische Betrachtung des Kontextes von einzelnen Ressentiments und gesellschaftlicher Dimension verdient dabei Beachtung, wirkt sich doch die Verbreitung von bestimmten Einstellungen längerfristig gesehen doch auch auf die politische Entwicklung aus. Hier und da hätte man sich dabei aber auch eine stärkere Thematisierung der stabileren Einstellungspotentiale gewünscht, erklärt sich doch erst so die inhaltliche Deutung von Desintegrationserfahrungen, welche ja nun nicht automatisch fremdenfeindliche Ausrichtungen annehmen müssen.

Auch diesmal verzichten die Autoren des Bandes auf eine Stellungnahme zur Kritik an der Messbarkeit bestimmter Einstellungen über die genutzten Items. Dies ist mehr als nur zu bedauern! Gleichwohl liefert auch diese „siebte Folge" der „Deutschen Zustände" wichtige Beiträge zur Verbreitung bedenklicher Einstellungen in der deutschen Gesellschaft.

Armin Pfahl-Traughber


Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Deutsche Zustände. Folge 7, Frankfurt/M. 2008 (Suhrkamp Verlag), 325 S., 11 €