„Gibt es Gott?"

BIELEFELD. (hpd) Am Mittwoch (4.2.09) hielt der bekannte Rechtsphilosoph Prof. Dr. Dr. Norbert Hoerster einen Vortrag an der Universität Bielefeld zum Thema „Gibt es Gott?". Die Werbung im Vorfeld des Vortrags hatte dazu geführt, dass der für 150 Besucher ausgelegte Hörsaal nicht ausreichte: Es kamen ca. 180 bis 190 Zuhörer. Einige mussten daher auf dem Boden Platz nehmen.


Der Vortrag ging auf eine gemeinsame Initiative von Mitgliedern des Freundeskreises der Giordano Bruno Stiftung in Ostwestfalen, des Vereins für Philosophie Bielefeld e.V. sowie der Hochschulgruppe „Forum für Laizismus und Religionskritik" an der Universität Bielefeld zurück.

Ist es rational, an Gott zu glauben?

Hoerster behandelte die Frage, ob es rational ist, an die Existenz Gottes zu glauben. Gleich am Anfang wurden einige Punkte geklärt:
1. Man kann die Frage nach der Existenz Gottes nicht einfach mit dem Satz abtun „Wer Gott braucht, soll an ihn glauben". Denn bevor man sein Leben an einem Gottesglauben ausrichtet, ist zu klären, was für und was gegen diesen Glauben spricht.
2. Es ging in dem Vortrag nur um die Existenz eines monotheistischen, insbesondere eines christlichen Gottes. Der Deismus war nicht Thema des Vortrags, ebenso wenig waren es der Pantheismus oder der Polytheismus.
3. Unter dem christlichen Gott versteht Hoerster ein ewig existentes, rein geistliches Wesen, das vollkommen (d.h. allgütig, allmächtig und allwissend) ist und die Welt erschaffen hat und sie erhält.

Kosmologischer Gottesbeweis

Nach diesen Klärungen ging es als erstes um den so genannten kosmologischen Gottesbeweis: Es gibt eine Welt; alles was es gibt, hat eine Ursache; als Ursache der Welt kommt nur ein personales intelligentes Wesen - Gott - in Betracht; also gibt es Gott.

Hoerster formulierte folgenden Einwand gegen das kosmologische Argument: Die Welt könnte schon ewig existieren, dann bedürfte es keines Schöpfers der Welt.

Nun könnte allerdings der so genannte Big Bang dagegen sprechen, dass die Welt schon ewig existiert. Doch es ist nicht gesagt, dass es vor dem Urknall gar nichts gab. Aber selbst wenn man annimmt, dass es vor dem Urknall nichts gegeben hat: Der Urknall wäre dann ein mysteriöses Ereignis, ob man jetzt die Existenz Gottes postuliert oder nicht. Außerdem stellen sich in diesem Zusammenhang folgende Fragen: Wie kann ein rein geistiges Wesen Materie aus dem Nichts erschaffen? Warum sollen nicht mehrere geistige Wesen die Welt arbeitsteilig erschaffen haben? Deutet nicht der unvollkommene Zustand der Welt auf eine ziemlich unprofessionelle Arbeitsteilung und damit auf eine Mehrzahl geistiger Wesen hin? Das kosmologische Argument für die Existenz Gottes ist also nicht überzeugend.

Theodizee-Problem

Als nächstes ging es um das Theodizee-Problem: Die Welt ist offensichtlich voll von Übeln. Wie könnte sie dies sein, wenn es einen allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gott gäbe?

Hoerster unterschied zwischen moralischen und natürlichen Übeln: Moralische Übel sind von Menschen gemacht, natürliche Übel sind auch ohne das Zutun von Menschen vorhanden.

Natürliche Übel stellen hinsichtlich der Existenz Gottes das größere Problem dar: Wie kann Gott Seuchen, Naturkatastrophen, Krankheiten etc. zulassen? Ein von Hoerster mehrfach aufgegriffenes Beispiel: Wie kann Gott es zulassen, dass täglich in den Entwicklungsländern 30.000 Kinder unter fünf Jahren an Hunger oder Krankheiten sterben?

Eine erste Antwort besagt, dass sich die natürlichen Übel aus den Naturgesetzen ergeben. Aber hier stellt sich die Frage: Hätte Gott nicht die schlechten Konsequenzen dieser Naturgesetze voraussehen und bessere Naturgesetze machen können?

Eine zweite Antwort lautet: Die natürlichen Übel ermöglichen es den Menschen, sich moralisch zu bewähren. Die moralische Bewährung ist so wertvoll, dass sie die Übel aufwiegt.

Gegen diese Antwort spricht zweierlei: Zum einen erscheint es nicht plausibel, dass die Leiden der Kinder in den Entwicklungsländern dadurch gerechtfertigt werden können, dass sich irgendwann einmal genug Ärzte zusammenfinden, die das Leiden beseitigen. Zum anderen gibt es viele natürliche Übel, gegen die die Menschen niemals ein Mittel werden finden können.

Eine dritte Antwort hat Hoerster in einem religiösen Artikel gefunden: Wenn Kinder fragen, warum es Krankheit gibt, soll man antworten, dass man Gesundheit nur zu schätzen weiß, wenn es auch Krankheit gibt.

Nun hilft diese Überlegung allerdings nicht weiter, wenn es um die Kinder in der dritten Welt geht. Man müsste entsprechend dieser Logik sagen: „Gott hat Hitler zugelassen, damit Ihr wisst, wie gut Ihr es unter Angela Merkel habt".

Die letzte Antwort, die Hoerster untersucht, gesteht zu, dass sich das Theodizee-Problem theoretisch nicht lösen lässt, und beharrt darauf, dass man Gott vertrauen solle. Worauf aber soll man vertrauen? Dass Gott für eine bessere Zukunft sorgt? Auf den Himmel? Dagegen spricht u.a., dass nach christlicher Lehre die Hölle das Schicksal der Mehrheit der Menschen ist.

Die Diskussion des Theodizee-Problems schloss Hoerster mit der Feststellung, dass es offenbar allenfalls so etwas wie ein göttliches Ordnungsprinzip geben könne, nicht aber einen am Wohlergehen der Menschen interessierten Gott. Ein göttliches Ordnungsprinzip jedoch sei hinsichtlich der Lebensführung und der Sinnfindung bedeutungslos und damit deutlich verschieden von einem theistischen Gott.

Gottesglaube und Moral

Als nächstes widmete sich Hoerster der Frage, ob der Gottesglaube unverzichtbar sei für eine humane, an Menschenrechten ausgerichtete Moral. In diesem Zusammenhang wurden zwei Fragestellungen unterschieden: (1.) Hilft der Gottesglaube bei der Begründung der Moral? (2.) Ist das Verhalten von Gläubigen in moralischer Hinsicht besser?

Ad (1.): Damit der Gottesglaube bei der Begründung der Moral helfen würde, müssten drei Bedingungen erfüllt sein:
a) Es müsste Grund zu der theoretischen Annahme geben, dass ein vertrauenswürdiger Gott existiert. Wir haben aber keinen Grund zu dieser Annahme, wenn richtig ist, was Hoerster vorher im Vortrag ausgeführt hatte.
b) Das Euthyphron-Dilemma müsste lösbar sein. Auf diesen Punkt ging Hoerster nicht weiter ein.
c) Es müsste verlässliche Hinweise darauf geben, worin göttliche Gebote bestehen.

Derartige Hinweise gibt es aber nicht: Es lassen sich stets menschliche Quellen von vermeintlich göttlichen Geboten wie den zehn Geboten der Bibel aufweisen.

Nun könnte man meinen, dass Gott durch das Gewissen zu den Menschen spricht. Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass das Gewissen verschiedener gläubiger Menschen häufig einen extrem unterschiedlichen Inhalt hat. Hoerster nannte drei Beispiele: Zum einen meinen manche Gläubige, Gott gebiete eine repressive Sexualmoral, während andere diesbezüglich liberale Einstellungen haben. Die Todesstrafe in den USA wurde auf Druck gläubiger Christen eingeführt, während andere Christen die Todesstrafe nicht mit ihrem Glauben vereinbaren können. Bush verstand seinen Irak-Krieg als göttlichen Auftrag, während einige Christen aufgrund der vielen unschuldigen Opfer Bedenken hatten.

Ad (2): Verhalten Gläubige sich moralischer? Hoerster schilderte zwei Tatsachen, die der deutschen Öffentlichkeit noch immer wenig bekannt sind: Zum einen, dass die katholischen deutschen Bischöfe abgesehen von der Euthanasie kein Problem mit den Nationalsozialisten hatten. Zum anderen, dass Martin Luthers Antisemitismus so gewaltig war (Hoerster führte mehrere Zitate an), dass sich die Nazis völlig zurecht auf Luther berufen konnten.

Nach diesen Ausführungen stellte Hoerster klar, dass es durchaus auch Atheisten gibt, die Gräueltaten begehen, ebenso wie Theisten, die aufgrund ihres Glaubens gut handeln. Der entscheidende Punkt ist aber: Atheisten sind nicht moralisch minderwertig. Zudem trägt derjenige die Beweislast, der behauptet, dass das Verhalten von Gläubigen in moralischer Hinsicht besser sei als das Verhalten von Ungläubigen.

Fazit

Das Fazit des Vortrags lautet: Es ist unwahrscheinlich, dass es einen monotheistischen Gott gibt. Außerdem ist der Gottesglaube nicht unverzichtbar für eine humane Moral.

Der Vortrag ist inhaltlich stark gekürzt wiedergegeben, so gut ich es auf der Grundlage meiner Aufzeichnungen vermochte. Was man meiner Wiedergabe nicht entnehmen kann, ist, dass der Vortrag äußerst gut verständlich und klar gehalten wurde. Zudem hat der Vortrag sehr von Hoersters Humor profitiert.

Im Anschluss an den Vortrag gab es die Gelegenheit, Fragen zu stellen. In der Diskussion war beachtlich, wie Hoerster es verstand, auch unverständlichen Fragen gute Einwände zu entnehmen.

Wer an einer ausführlichen Auseinandersetzung Hoersters mit der Frage, ob es Gott gibt, interessiert ist, dem sei Hoersters Buch Die Frage nach Gott (Verlag C.H. Beck, 2. Aufl., München 2007) empfohlen.

(Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.)

Vor Beginn des Vortrags ließ Hoerster seinen Aufsatz „Wie mich David Hume über die Religion aufklärte" verteilen. (Den Aufsatz findet man in Detlef Felken [Hrsg.], Ein Buch, das mein Leben verändert hat. Liber amicorum für Wolfgang Beck, Verlag C.H. Beck, München 2007.) Zudem lagen Broschüren der Giordano Bruno Stiftung aus sowie eine E-Mail-Liste für diejenigen, die Kontakt zu den Mitgliedern des Freundeskreises der GBS in Ostwestfalen-Lippe wünschten. (Wer diesen Kontakt wünscht, kann an den Freundeskreis schreiben. Die an der Organisation des Vortrags beteiligte Hochschulgruppe erreicht man über die Laizisten Bielefeld.)


Vuko Andrić