Essen für die Menschen, Sterben für die Tiere

Für einen Bissen Fleisch?

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Empfindsame Tiere: Schweine
Empfindsame Tiere: Schweine

BONN. (hpd) Der Mensch muss kein Fleisch essen, um seinen Hunger zu stillen. Daher stellt sich die Frage, ob für eine Mahlzeit notwendigerweise Tiere sterben müssen. Die folgenden Ausführungen plädieren für einen auf Basis von Aufklärung und Ethik des Menschen, nicht auf Romantik und Sentimentalität gegenüber Tieren gründenden Vegetarismus.

"Dem Tier gegenüber sind heute alle Völker mehr oder weniger Barbaren. Es ist unwahr und grotesk, wenn sie ihre vermeintlich hohe Kultur bei jeder Gelegenheit betonen und dabei tagtäglich die scheußlichsten Grausamkeiten an Millionen von wehrlosen Geschöpfen begehen oder doch gleichgültig zulassen."(Alexander von Humboldt)

Die Einstellungen und Handlungen von Menschen gegenüber Tieren sind von Ambivalenzen und Widersprüchen geprägt. Denn eine Frage wie "Warum wir Hunde lieben, Schwein essen und Kühe anziehen" (Melanie Joy) lässt sich weder logisch noch moralisch überzeugend beantworten. Das Fleisch einer Katze würde man nicht essen, aber das Fleisch eines Huhns sehr wohl. Warum ist das so? Gewohnheiten und Traditionen erklären dies ebenso wie Ignoranz und Realitätsverleugnung. Dafür ein Beispiel: Manche Menschen äußern ihr Entzücken beim Anblick eines kleinen Lamms und essen dann doch dessen Fleisch der Zartheit wegen. Dass davor das Leben des Tieres endete, findet kaum Aufmerksamkeit und löst keine Reflexionen aus. Gleiches gilt allgemein für die Auswahl des Essens: Denn für jeden Bissen Fleisch für einen Menschen muss das Leben eines Tieres enden. Eine derartige Praxis wirft eine ethische Frage auf: Gibt es für den Fleischkonsum von Menschen eine moralische Rechtfertigung angesichts der vorherigen Tötung von Tieren?

Die Erörterung dieser Problematik setzt einige Klarstellungen bezogen auf die Menschen wie die Tiere voraus: Der Fleischkonsum stellt für den Menschen aus ernährungsphysiologischer Sicht keine Notwendigkeit dar, denn die Nahrungsenergie- und Nährstoffversorgung kann durchaus auf vegetarischem Weg erfolgen. Entgegen anderslautender Auffassungen, die man immer wieder hören oder lesen kann, gilt dies auch für Ausnahmefälle wie für Frauen in der Schwangerschaft oder Kinder im Wachstum. Es bedarf hier allenfalls der Ernährungsergänzung durch bestimmte Vitamine. Darüber hinaus erweist die Entwicklungsgeschichte der Ernährung des Menschen ihn als Omnivoren. Als Allesesser ernährte er sich sowohl pflanzlich wie tierisch, wobei die vegetarische Variante überwog. Eine alleinige Ausrichtung in diesem Sinne ist indessen eine Erscheinung der Kultur, nicht der Natur. Demnach handelt es sich zwar um eine artgerechte Ernährung des Menschen, die aber auf der Grundlage eine individuellen Entscheidung zustande kommt.

Gerade die Fähigkeit, sich für unterschiedliche Formen der Nahrungswahl entscheiden zu können, macht den Fleischkonsum legitimierungsnotwendig: Ein Löwe muss eine Gazelle um seines eigenen Lebens willen jagen. Ein Mensch muss indessen nicht zwingend ein Schwein töten, um durch dessen Fleisch weiter leben zu können. Demnach gebietet gerade die persönliche Moralfähigkeit und die rationale Überlegenheit des Menschen, die Auseinandersetzung um die Frage der richtigen Ernährung: Damit Menschen satt werden, muss kein Tier sterben. Menschen können wählen! Somit kommt auch der Aussage, wonach in der Natur das eine Tier das andere Tier tötet, keine Relevanz für die hier zu erörternde Problematik zu. Gerade diese Auffassung von Fleischkonsumenten, die ansonsten eine ganz andere Gewichtung und Wertung vertreten, stellt den idealisierten Menschen auf die gleiche Stufe mit dem instrumentalisierten Tier. Denn die Besonderheiten des Menschen fordern Konsequenzen hinsichtlich der Legitimation der Nahrungswahl.

Einiger Klarstellungen bedarf es auch hinsichtlich der Tiere: Eine im Abendland jahrhundertelang kursierende Auffassung, wonach ein Empfindungsvermögen für Angst oder Schmerz den Tieren nicht eigen sei, kann keine Gültigkeit mehr beanspruchen: "Die Tiere fühlen, wie der Mensch, Freude und Leid, Glück und Unglück; sie werden durch dieselben Gemütsbewegungen betroffen wie wir" (Charles Darwin). Der Besuch in einem Tierheim belehrt darüber ebenso wie der Blick auf einschlägige Forschungsergebnisse. Den jeweiligen Exemplaren von Hunden und Katzen, aber auch von Hühnern und Schweinen ist durchaus eine Individualität eigen. Diese erklärt auch die Existenz ganz unterschiedlicher Gefühle bei Tieren wie Furcht und Trauer, Trennungsschmerz und Zorn. Demnach gibt es bei ihnen ein psychisches Leiden und einen physischen Schmerz – unabhängig von der Frage sonstiger Fähigkeiten. Denn: "Die Frage ist nicht: Können sie denken? Oder: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?" (Jeremy Bentham).

Die Gegebenheiten in der Massenhaltung von Schweinen stehen hier exemplarisch für das Gemeinte: In Deutschland erfolgt jährlich eine Schlachtung bei über 50 Millionen dieser Tiere, die ausschließlich zur Ernährung aufgezogen und getötet werden. Bereits in den ersten Lebenswochen setzt man die Ferkel meist ohne Betäubung schmerzhaften Eingriffen wie dem Abschleifen der Zähne oder dem Abschneiden des Ringelschwanzes aus. Da sie fortan mit Angstgefühlen auf engstem Raum leben müssen, sollen so die daraus entstehenden Aggressionen mit ihren Folgen für andere Schweine minimiert werden. Aus den gleichen Gründen erhalten sie Medikamente wie Antibiotika, Beta-Blocker oder Psychopharmaka, die im Fleisch des Körpers als Rückstände verbleiben. Bereits nach vier Wochen trennt man die Ferkel von ihrer Mutter. Anschließend leben sie noch monatelang in der Mastanlage bis zu ihrer Schlachtung. Da Schweine durchaus intelligente Lebewesen sind, spüren sie häufig mit Angstgefühlen die Nähe ihres Todes. So entsteht das "Fabrikfleisch" für Menschen.

Deren Lieferanten sind aber nicht die sprichwörtlichen "dummen Schweine", denn das mit dieser Formulierung einhergehende Alltagsverständnis spricht für eine falsche Sicht auf diese Tiere: Schweine gelten als intelligente und soziale Lebewesen. Die Ergebnisse der neueren Forschung lassen darauf schließen, dass sie ähnliche kognitive Fähigkeiten wie Hunde, aber auch Primaten haben. Führen Schweine ein Leben in einer natürlichen Umwelt, so entstehen enge Beziehungen untereinander. Gegenüber Menschen entwickeln sie dann Kontaktbedürfnisse und Zutraulichkeit. Auch unabhängig von diesen Eigenschaften und Kompetenzen bleibt die Legitimationsnotwendigkeit für ihre Massenhaltung um der Minimierung von Leid willen bestehen. Angesichts der damit einhergehenden Lebensbedingungen, welche die Fleischindustrie aus nachvollziehbaren Gründen nicht zum Gegenstand öffentlichen Interesses machen möchte, würden sich Konsequenzen ergeben: "Wenn Schlachthäuser Wände aus Glas hätten, wäre jeder Vegetarier" (Paul McCartney).

Aus einer rein ökonomischen Auffassung heraus, können die skizzierten Gegebenheiten durchaus eine inhaltliche Rechtfertigung erfahren: Hierbei geht es nur darum, mit dem geringst möglichen Aufwand hergestellte Produkte um des Profits willen in großer Zahl zu verkaufen. Dazu bringt man Hunderttausende von Lebewesen in Massentierhaltungsanlagen auf engem Raum zusammen. Die Berücksichtigung von deren Ängsten oder Wohlergehen führt über Investitionen zu Kosten, die eben den Gewinn aus dem Fleischverkauf reduzieren würden. Denn Forderungen im Sinne des Tierschutzes hätten eine solche Wirkung. Betroffen von diesen Gegebenheiten sind auch die Menschen, denn Fleischkonsum auf der Grundlage einer solchen Herstellungspraxis kann schwerlich gesund sein. Die Nahrungsmittel-Skandale bilden nur den erschreckenden Ausdruck dieser Rahmenbedingungen, die für ein kritikwürdiges System von Wirtschaftspraxis stehen. Insofern kommt den hier zu erörternden Fragen auch ein hoher ökonomischer, politischer und sozialer Stellenwert zu.

Gleiches gilt für eine ethische Perspektive, was zu einer intensiven Erörterung einschlägiger Problemstellungen unter Philosophen unterschiedlicher Richtungen geführt hat. In den damit einhergehenden Erörterungen ging es um Fragen wie die Moralfähigkeit von Tieren oder den Stellenwert menschlicher Interessen. Auch wenn sich die damit einhergehenden Auseinandersetzungen auf hohem Niveau bewegten und mitunter neue Perspektiven für die Tierethik erschlossen, handelte es sich nicht selten um akademische Erörterungen im schlechten Sinne des Wortes. Denn eine kritische Betrachtung kann konstatieren: Die Annahme einer für Menschen und Tiere gleichen "Würde" findet keine inhaltliche Begründung und wirkt so als willkürliche Behauptung. Die Forderung nach "Rechten" bedingt objektiv auch Pflichten für Tiere, welchen sie aber mangels Einsichtsfähigkeit und Reflexionsvermögen gar nicht nachgehen können. Und der Schluss aus der Gleichbehandlung der Menschen auf die Gleichbehandlung mit den Tieren ist logisch nicht zwingend.

Diese Einwände legitimierten aber nicht den Fleischkonsum und die Massentierhaltung. Sie führen indessen zur Ausgangsproblematik zurück: Wie kann der Mensch um seiner Nahrungsbedürfnisse willen für die Tötung von Tieren sein? Da hierfür aus ernährungsphysiologischer Sicht keine Notwendigkeit besteht, bleiben nur noch jeweils ein objektives und ein subjektives Argument übrig: Das letztgenannte stellt auf den Gaumenschmaus bzw. Geschmack beim Fleischkonsum ab. Hierbei soll der kurzfristige Genuss des Menschen über dem langfristigen Leben eines Tieres stehen, wobei Empathieunfähigkeit gegenüber dem Leiden und die bloße Macht des Stärkeren die Prioritätensetzung motiviert. Das objektive Argument stellt darauf ab, dass sich in der Natur die Tiere um des Überlebens willen gegenseitig töten. Bezogen auf seine Ernährungsform kann der Mensch hier im Lichte von Moral und Reflexion entscheiden, die Tiere können es nicht. Der fleischessende Mensch stellt sich damit aber auf deren intellektuelle Stufe.

Die vorstehenden Ausführungen stehen nicht - wie etwa das Bekenntnis "Tiere sind meine Freunde und meine Freunde esse ich nicht" (George Bernard Shaw) - für ein romantisierendes und sentimentales Plädoyer für Tierschutz und Vegetarismus. Gerade die Kenntnis von Leiden und Schmerz von so empfindungsfähigen Lebewesen nötigt zu einer Positionierung, die aus einer individuellen Entscheidung und nicht aus metaphysischen Setzungen folgt. Der Humanismus sieht in der Minimierung von Leid ein tragendes Prinzip des eigenen Selbstverständnisses. Diese Auffassung kann nicht nur gegenüber Menschen, sondern sollte auch gegenüber Tieren gelten. Da der Fleischkonsum ein entscheidender Grund für deren Leiden ist und für den Menschen keine Notwendigkeit für diese Ernährungsform besteht, lässt er sich außer mit Geschmacksempfindungen nicht mehr legitimieren. Allein dies erlaubt aber weder Leid noch Tod. Denn: "Die Größe einer Nation und ihre moralische Reife lassen sich daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt" (Mahatma Gandhi).