„Evolution ist kein geradliniger Vorgang"

(hpd) Dass Evolution gleichbedeutend sei mit Höherentwicklung, ist das vielleicht am weitesten verbreitete Missverständnis über die Entwicklungslehre. Der Biologe und Wissenschaftstheoretiker Franz M. Wuketits hat dem Fortschrittsglauben bereits 1998 in einem Buch widersprochen, das nun in einer aktualisierten Neuauflage erschienen ist.

Darin zeigt er, dass die Entwicklung in der Natur keineswegs auf die „Optimierung" von Lebewesen oder die Steigerung von Komplexität hinausläuft, sondern eher als „Zickzack-Kurs" beschrieben werden kann. In einem zweiten Schritt unternimmt er dann eine kulturphilosophische Deutung der Evolutionstheorie und warnt davor, gesellschaftlichen Fortschritt als gewissermaßen „natürlich" und unumkehrbar anzusehen. Anlässlich der Neuausgabe sprach hpd mit dem Autor über sein Buch.

Herr Wuketits, „Evolution ohne Fortschritt" lautet der Titel Ihres Buches. In der ersten Auflage hieß es „Naturkatastrophe Mensch". Warum diese Änderung?

Das Buch behandelt die Idee des Fortschritts in der biologischen und kulturellen Evolution, wobei ich diese Idee in beiden Bereichen zurückweise. Die Entwicklung des Menschen als Naturkatastrophe ist „nur" ein Indikator dafür, dass es keinen durchgehenden Fortschritt gibt. Genau besehen ist also der neue Titel treffender.

„Evolution ohne Fortschritt": Ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst? Für viele Menschen gilt doch das Wort Evolution gleichsam als Synonym für Fortschritt?

Eben das ist ein grundlegender Irrtum. Evolution ist kein geradliniger Vorgang, sondern ein ständiges Auf und Ab, wenn man so will ein Zickzackweg.

Sie weisen in Ihrem Buch darauf hin, dass der Fortschrittsglaube gefährlich sein kann. Warum?

Ich meine damit vor allem den Glauben an eine der Evolution immanente „progressive Kraft". Im sozialen bzw. kulturellen Bereich ist dieser Glaube deshalb gefährlich, weil er die Vorstellung suggeriert, dass der Geschichte eine bestimmte Richtung vorgegeben ist, dass es ein Ziel der Geschichte gibt. Dieser Glaube nährt gefährliche Ideologien.

Folgt nicht aus den Thesen Ihres Buches eine kulturpessimistische Haltung? Fortschritt ist nicht möglich. Warum sich dann für Verbesserungen einsetzen?

Aus dem Umstand, daß die Evolution insgesamt nicht im Sinne eines Fortschritts verläuft, folgt nicht, daß wir uns nicht bemühen dürfen oder sollen, die Bedingungen unserer eigenen Existenz zu verbessern. Aber, bitte, wir sollen uns dabei nicht von Politikern vorschreiben lassen, was gut für uns ist!

Abgesehen vom veränderten Titel, welche Veränderungen finden sich noch in der Neuausgabe?

Die Neuausgabe enthält ein Nachwort, in dem ich um einige Klarstellungen und die Beseitigung von ein paar Missverständnissen bemüht war. Außerdem habe ich im Text einige Korrekturen und Ergänzungen vorgenommen sowie den Zeitbezug aktualisiert.

Gibt es neue Buchprojekte, an denen Sie bereits arbeiten?

Praktisch abgeschlossen ist ein Buchmanuskript zum Thema „Darwin und die Frage nach dem Sinn". Es soll demnächst bei Alibri erscheinen.

Herr Wuketits, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

Franz M. Wuketits: Evolution ohne Fortschritt. Aufstieg oder Niedergang in Natur und Gesellschaft. Alibri, 2009. 269 Seiten, Abbildungen, kartoniert, Euro 18,50, ISBN 978-3-86569-040-5

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.