Für eine konsequente Aufklärung

Armin Pfahl-Traughber bezeichnet die Neuen Atheisten als „selbstgefällig" und tritt stattdessen für etwas ein, das er „aufgeklärte Religionskritik" nennt. Dabei sieht er den Neuen Atheismus als ideengeschichtlichen Rückschritt an, während tatsächlich sein eigenes Konzept ein Rückschritt wäre.

 

Ein Kommentar von Andreas Müller und Bernd Vowinkel

 

 

 

Teil der Grundlage des Neuen Atheismus sind nämlich die gewaltigen Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik in den letzten Jahrzehnten, die zu einem Menschenbild und einem Weltbild geführt haben, das verstärkt auf dem Naturalismus und dem Rationalismus aufbaut. Insofern ist die Idee des Neuen Atheismus ein Fortschritt gegenüber dem althergebrachten Atheismus und ist aufgeklärter als dieser.

Ein Rückfall in den religionskritischen Urschlamm?

Bei seinem ersten Kritikpunkt bedient sich Armin Pfahl-Traughber der beliebten Methode des „Reading by Title". So meint er, eine Kritik, die Religion „lediglich als ‚Gotteswahn‘ (Richard Dawkins) versteht oder meint, sie ‚vergiftet alles‘ (Christopher Hitchens)", falle hinter den Stand der Religionskritik von Feuerbach, Marx, Darwin und Freud zurück.

Wir stimmen ihm hier durchaus zu: Hätten Dawkins und Hitchens Bücher mit leeren Seiten herausgebracht, auf denen lediglich geschrieben steht, dass Religion ein Wahn ist und alles vergiftet, so könnte man ihnen eine gewisse Oberflächlichkeit diagnostizieren. Es ließe sich jedoch anmerken, dass die Seiten ihrer Bücher mit Buchstaben beschrieben sind, wobei diese Buchstaben, liest man sie in einer bestimmten Reihenfolge, auf einen Inhalt hinweisen. Man muss die Bücher im Prinzip nur aufschlagen und wird dies unzweifelhaft feststellen. Armin Pfahl-Traughber hat dies getan, wie aus seinem Essay über das Thema „Ist der Atheismus auch eine Religion?" in der Zeitschrift „humanismus aktuell" hervorgeht. In seiner Argumentation merkt man davon trotzdem nichts, weil er stets nur einzelne Zitate aneinanderreiht, welche die Intoleranz und den Eifer seiner Kontrahenten belegen sollen, anstatt sich mit dem eigentlichen Inhalt ihrer Bücher auseinanderzusetzen. Mit einer solchen Herangehensweise lässt sich auch Mahatma Ghandi als der schlimmste Kriegstreiber „bloßstellen".

Ferner bemerkt Pfahl-Traughber, dass die Neuen Atheisten die gesellschaftliche Bedeutung der Religion „als Erkenntnis-, Identitäts-, Integrations- oder Orientierungsfaktor" nicht begreifen würden.

Vielmehr lässt sich feststellen, dass die Religion als Erkenntnisfaktor im Vergleich zur Wissenschaft den Kürzeren zieht, ja dass sie zur Erkenntnis gänzlich ungeeignet, sogar hinderlich ist, da ihre wesentlichen Grundlagen Fantasie und Wunschdenken sind. Insbesondere der Dogmatismus ist das gerade Gegenteil von objektiver Erkenntnis. Zur Gruppen-Identitätsbildung dagegen ist sie hervorragend geeignet, was jeder Bewohner Nordirlands feststellen wird, wenn er sich in einem katholischen Viertel als Protestant outet. Auch für die Integration leistet die Religion Herausragendes, man denke nur an unsere einwandfrei integrierten Islamisten, die sich gerade auf Schäubles Islamkonferenz herumtreiben - der Islam macht ihre Akzeptanz unserer freiheitlichen Grundordnung eben erst möglich. Auch zur Orientierung, da kann man Herrn Traughber nur recht geben, dient die Religion besser als jedes Verkehrsschild. Allerdings zeigt der Orientierungsfaktor in genau die falsche Richtung: blinder Glaube statt objektives Wissen.

Ist die Religion an allem schuld?

Nun wirft uns Pfahl-Traughber am Beispiel von Dawkins vor, wir wären davon überzeugt, dass die Religion für alles Elend und Übel der Welt verantwortlich sei. Dies belegt er anhand von Dawkins Aussage, ohne Religion gäbe es „keinen Krieg zwischen Israelis und Palästinensern" und „keine ‚Probleme‘ in Nordirland". Nun sind diese beiden Konflikte (und auch die weiteren, die Dawkins nennt) nicht „alles Elend und Übel der Welt", sondern nur ein Ausschnitt davon. Auch ohne Religion gäbe es Elend und Übel in unserer Welt, aber sie wären erheblich kleiner.

Aufschlussreich ist zudem, was Dawkins im nächsten Absatz des Artikels sagt, aus dem das Zitat entnommen wurde: „Natürlich sind die religiösen Morde und Verfolgungen unserer Zeit nicht durch theologische Uneinigkeiten motiviert. Die bewaffneten Gruppen der IRA töten keine Protestanten (oder andersherum), weil sie sich über die Transubstantiation nicht einig werden. Das Motiv ist wahrscheinlich eher Stammesrache."

Darwin für den Glauben

Den nächsten Vorwurf zitieren wir in seiner ganzen Pracht: „Die Behauptung, mit Darwin sei die Religion erledigt, verkennt zum einen, dass der sich als Agnostiker verstehende Naturforscher den Deismus für kompatibel mit seiner Evolutionstheorie hielt, und zum anderen, dass er eine überaus differenzierte Auffassung zu Entstehung, Funktion und Wertschätzung von Religion hatte."

Die Neuen Atheisten lehnen den Deismus nicht so sehr wegen der Evolutionstheorie, sondern vor allem aus anderen Gründen ab. So ist es insbesondere das anthropische Prinzip, das einen Schöpfergott völlig überflüssig macht. Man könnte allerdings mit Dawkins anmerken, dass Gott als komplexes Wesen nicht am Anfang eines Prozesses stehen kann, der Komplexes aus dem Einfachen erzeugt (Evolution).

Die Idee eines Schöpfergottes, der die Arten erschafft, steht allerdings klar im Widerspruch zur Evolution. Was Darwin persönlich so alles über Religion dachte, erscheint nicht gerade relevant zu sein. Es geht Richard Dawkins an dieser Stelle schließlich darum, was die Evolutionstheorie für unser Weltbild bedeutet, und nicht darum, was Charles Darwin als Person beitragen kann. Falls es dennoch interessiert, so hat Darwin zum Beispiel Folgendes über Religion geschrieben: Um zu verstehen, warum so viele Menschen wider aller Plausibilität an Gott glauben, sollten wir „die Möglichkeit nicht außer acht lassen, dass das kindliche, noch nicht voll entwickelte Gehirn stark geprägt wird, vielleicht schließlich eine ererbte Prägung davonträgt, indem Kindern ständig der Glaube an Gott eingeimpft wird, so dass es für sie ebenso schwer [ist], diesen Glauben an Gott abzuschütteln, wie für einen Affen, seine instinktive Angst vor Schlangen abzuschütteln."

Diese Theorie über die Weitergabe der Religion weist deutliche Ähnlichkeiten mit jener von Dawkins auf, mit dem Unterschied, dass letzter nicht von einer biologischen, sondern einer rein kulturell vererbten Prägung ausgeht (Charles Darwin glaubte noch an Lamarcks Theorie der Vererbung erworbener Eigenschaften).

Ein ignorantes Zerrbild?

Auch Kritik Nummer vier soll zur vollen Blüte kommen: „Die Deutung, wonach die Religion ‚gewalttätig, irrational und intolerant‘ (Christopher Hitchens) sei und ‚die Vernunft und die Intelligenz‘ (Michel Onfray) hasse, verabsolutiert bestimmte Phänomene in spezifisch historisch-politischen Kontexten zu einem inhaltlichen Zerrbild, das andere und gegenteilige Tendenzen komplett ignoriert."

Offensichtlich beziehen sich Aussagen wie diese eben gerade nicht auf bestimmte historische Geschehnisse und Einzelbeispiele, sondern sie kritisieren das Gesamtphänomen der Religion, was zur wissenschaftlichen Untersuchung notwendig abstrahiert werden muss. Und es ist ja wohl unzweifelhaft der Fall, dass sich „die Religion" auf einer höheren Abstraktionsebene befindet als etwa der Puritanismus von Oliver Cromwell.

Als Faustregel sind die genannten Vorwürfe von Hitchens und Onfray durchaus zutreffend. Welche Religion ist denn schon ausgesprochen wissenschaftsfreundlich? Insbesondere die monotheistischen Religionen haben die Naturwissenschaften systematisch behindert und tun dies heute noch. Dass heutzutage geniale Wissenschaftler nicht mehr auf dem Scheiterhaufen enden, ist sicherlich nicht der Einsicht des Vatikans zu verdanken. Selten taucht zudem eine Religion auf, die von ihrer Anlage her friedlich ist - etwa der Jainismus. Irrational sind alle Religionen („soziale Systeme, deren Mitglieder übernatürliche Wesen verehren"), weil es keine übernatürlichen Wesen gibt. Vereinzelte neuere Versuche, die Vernunft und die Logik für die Religion zu bemühen, sind jämmerlich gescheitert.

Urteile und Vorurteile

Erneut möchten wir nichts kürzen: „Der Umgang von Atheisten mit Religiösen sollte von den Prinzipien des Kantschen Kategorischen Imperativs geprägt sein, oder: „Wenn Atheisten nicht von Theisten mit negativen Vorurteilen konfrontiert werden möchten, dann dürfen sie das auch nicht bei Theisten machen" (Michael Shermer)."

Interessanterweise ist das gar nicht der Kantsche Kategorische Imperativ, sondern die Goldene Regel, aus deren Kritik jener Imperativ erwachsen ist. Abgesehen davon, dass die Goldene Regel nichts taugt, wäre in diesem Fall noch festzustellen, dass Urteile keine Vorurteile sind.

Wenn man natürlich alle Urteile als Vorurteile brandmarkt, bleibt am Ende nichts mehr zu beurteilen übrig. Insofern man die Religion als Phänomen kritisieren möchte, ist es unerlässlich, bestimmte Grundmerkmale herauszuarbeiten und diese zu beurteilen. Nun ist es denkbar, dass sich manche Gläubige etwa als „Christen" bezeichnen, obwohl sie die Bibel auf keine Weise für Gottes Wort halten, noch an die Auferstehung von Jesu Christi glauben, was auf jeden Fall zwei Grundbestandteile des christlichen Glaubensbekenntnisses sind. In diesem Fall ist ihnen vorzuwerfen, dass sie selbst nicht wissen, was sie glauben. Wenn sie die Kritik der Neuen Atheisten nun trotzdem emotional trifft, dann ist das nicht unsere Verantwortung.

Zu Michael Shermer, den wir ja durchaus schätzen, ist zu sagen, dass er das eine schreibt und das andere tut. Zwar wendet er sich in seinen Essays und Büchern gegen die Herangehensweise der Neuen Atheisten, aber auf der anderen Seite tritt er selbst in Dokumentationen wie The Bible is Bullshit auf und macht Aussagen wie „So etwas wie das Paranormale oder das Übernatürliche existiert nicht", was doch ein wenig über den 50/50-Agnostizismus, den Shermer angeblich vertritt, hinausgeht.

Sind die Neuen Atheisten intolerant?

Pfahl-Traughbers sechster Kritikpunkt lautet: „Die Forderung, auch gegenüber den Gläubigen Toleranz zu üben, schließt keinen Verzicht auf inhaltliche Kritik ein, steht doch Toleranz als dialektischer Begriff entgegen einer weit verbreiteten Auffassung nicht für Indifferenz und Relativismus, sondern für die formale Akzeptanz einer abgelehnten Position als legitimer Meinung im Rahmen des Pluralismus."

Wie bei allen Wörtern kann man auch im Falle der „Toleranz" auf gar keinen Fall behaupten, dass es etwas Bestimmtes von Natur aus bedeute und etwas anderes nicht. In der Sprachwissenschaft geht man schon seit über hundert Jahren davon aus, dass das Verhältnis von sprachlichen Zeichen und ihren Inhalten „arbiträr", also willkürlich ist. Wörter bedeuten, was sie bedeuten, nicht weil es ein schlauer Mensch so festlegt, sondern weil man sich gesellschaftlich auf eine Bedeutung einigt, was sich auch jederzeit wieder verändern kann. Zudem gibt es regionale, soziale und weitere semantische Variationen. Für gewöhnlich stehen also mehrere, leicht oder sogar stark abweichende Bedeutungen nebeneinander. Pfahl-Traughber begibt sich nun in den Kampf, um die Deutungshoheit über den Begriff „Toleranz" zu erringen. Das kann er auch gerne machen, so lange er nicht glaubt, dass wir vor der Herausforderung zurückschrecken würden.

„Toleranz" bedeutet gewiss nicht, dass man eine Position als legitime Meinung anerkennen muss. Dies würden wir eher mit „Respekt" umschreiben. Wenn zum Beispiel jemand in einer Fernsehtalkshow behauptet, dass die Dinosaurier vor ein paar tausend Jahren ausgestorben sind, weil sie Noah nicht mit auf seine Arche genommen hat, dann ist es ein regelrechter Fehler, diese Meinung zu respektieren. Im Gegenteil halten wir es für geradezu erforderlich, sich über die Absurdität einer solchen Meinung lustig zu machen, oder sie auf eine andere Weise der öffentlichen Verurteilung auszuliefern. In der Tat ist es sinnlos, bestimmten Meinungen einen Wert zukommen zu lassen, den sie sich nicht verdient haben. Andernfalls lieferten wir die hart umkämpften Orte des öffentlichen Diskurses dem Irrsinn aus. Dies hätte dramatische Konsequenzen.

Toleranz bedeutet vielmehr, dass man andere Meinungen erträgt, auch wenn sie einem nicht gefallen. Vor allem bedeutet es, dass man anderen ihre freie Meinungsäußerung nicht verbietet oder ihnen gar Gewalt antut für eine Position, die sie lediglich äußern. Toleranz bedeutet also, genau das zu tun, was Religiöse mit ihren Gotteslästerungsparagrafen und gewalttätigen Demonstrationen gegen Karikaturen tendenziell nicht tun.

Die Neuen Atheisten haben mit der Toleranz gar kein Problem, Christopher Hitchens bezeichnet sich sogar als „First Amendment Fundamentalist", der radikal für die Meinungsfreiheit eintritt. Derweil versuchte ein religiöser Politiker in Oklahoma, Richard Dawkins das Betreten des gesamten Bundesstaats zu untersagen, weil „seine öffentlichen Stellungnahmen zur Evolutionstheorie und seine Meinung über jene, die nicht an diese Theorie glauben, von dem abweichen, was die meisten Bürger Oklahomas glauben und weil seine Ausführungen beleidigend für sie sind."

Die Freiheit zu glauben

Der siebte Kritikpunkt ist dem sechsten recht ähnlich: „Auch irrige Annahmen sind in einer offenen Gesellschaft zu dulden, denn: „So lange die Religion Wissenschaft und Freiheit nicht bedroht, sollten wir respektvoll und tolerant sein, weil unsere Freiheit, nicht zu glauben, untrennbar mit der Freiheit anderer, zu glauben, verbunden ist" (Michael Shermer)."

In der Tat: Auch irrige Annahmen sind in einer offenen Gesellschaft zu dulden. Mit dieser Logik gelangt Michael Shermer konsequent zu dem Schluss, dass man die Leugnung des Holocausts legalisieren sollte. Und vielleicht hat er damit auch recht. Aber eines sollten wir gegenüber der Meinung, der Holocaust habe nicht stattgefunden, auf keinen Fall zeigen: Respekt. Toleranz ist gut und fein, aber Respekt, den muss man sich verdienen! Die Freiheit anderer, zu glauben, die bestreitet niemand und schon gar nicht die Neuen Atheisten. Die Freiheit, nicht zu glauben - diese Freiheit wird unentwegt bedroht.

Davon ganz abgesehen ist es ja in der Tat so, dass die Religion die Wissenschaft nicht immer toleriert. So behindern z.B. die christlichen Kirchen in unserem Land über ihren starken Einfluss in Ethikräten die Stammzellenforschung und die Gentechnik. Weiterhin bestärken sie die Geisteswissenschaften in der Vermittlung eines mittelalterlichen Menschenbildes, das sich am Leib-Seele-Dualismus orientiert.

Dogmatismus als Ausdruck persönlicher Freiheit

Anmerkung Nummer 8 besagt: „Demnach können Absolutheitsansprüche und Dogmatismus in Teilbereichen der Gesellschaft - von der individuellen Ethik über den religiösen Glauben bis zur ostentativen Sportbegeisterung - als Ausdruck persönlicher Freiheit geduldet werden, so lange sie keinen Anspruch auf die verbindliche Gestaltung des sozialen Miteinanders erheben."

Wir treten grundsätzlich für die Religions- und die Meinungsfreiheit ein. Die Erfahrung zeigt aber, dass Absolutheitsansprüche und Dogmen eben nicht auf das Miteinander innerhalb der jeweiligen religiösen Gruppen beschränkt werden. Dadurch entstehen häufig Schäden an der gesamten Gesellschaft. Weiterhin muss die religiöse Indoktrination von Kindern, die regelmäßig in solchen Gruppen stattfindet, als mentale Kindesmisshandlung eingestuft werden.

Offensichtlich ist nun eine persönliche Sportbegeisterung, wie begeistert sie auch sein mag, nicht absolut. Schließlich verlangt der Sportler in diesem Beispiel keineswegs von seinen Mitmenschen, ebenfalls zu Extremsportlern zu mutieren. Derweil hat Andreas Müller die Existenz eines rein privaten Glaubens bereits ausführlich bezweifelt, ohne dass Herr Traughber darauf eingegangen wären. Wer „privat", oder als „Ausdruck persönlicher Freiheit", Schwule leidenschaftlich hasst, der wird sich auch öffentlich entsprechend verhalten und Parteien wählen oder sich Organisationen anschließen, die seiner Meinung zumindest nicht vehement entgegenstehen. Selbst falls er dies unterlässt, wird er sich immer noch abfällig über Schwule äußern und somit diese Haltung respektabler machen.

Religion verbieten?

Pfahl-Traughbers neunter Punkt ist leider mal wieder ein Strohmann. Er unterstellt uns, wir würden uns auf die „Repressionspraxis eines Staates stützen" wollen, um die Überwindung des religiösen Glaubens zu erzielen, was schlicht und ergreifend erfunden ist und nicht der Wahrheit entspricht. Komischerweise hat noch ein weiterer Politologe, Michael Kreutz, Andreas Müller unterstellt, er wolle Religion verbieten lassen. Falls wir tatsächlich Religion verbieten lassen wollten, dann würden wir das auch schreiben. Wozu sollten wir eine derartige Haltung vertreten, wenn wir niemandem davon erzählen?

Religionsfeindliche Menschenfreunde

Der nächste Kritikpunkt richtet sich direkt an Andreas Müller: „Die Behauptung „Religionsfeindlichkeit und Menschenfreundlichkeit sind schließlich zwei Seiten der selben Medaille" (Andreas Müller) verkennt in ihrer Einseitigkeit, dass in der historischen Rückschau sowohl Atheismus wie Religiosität je nach historisch-politischer Situation mit Menschenfreundlichkeit wie Verbrechen einhergehen konnten."

Es ist gewiss der Fall, dass Verbrechen sowohl von Atheisten, wie von Religiösen begangen wurden. Der Unterschied besteht darin, dass sich auf Grundlage des Atheismus keine Verbrechen rechtfertigen oder begründen lassen. Es ist sinnlos zu sagen: „Es gibt keinen Gott und darum bringe ich nun ein paar Mormonen um." Es ist dagegen sehr einfach, Verbrechen anhand „heiliger" Bücher zu rechtfertigen, die solche Verbrechen legitimieren. Schon Sokrates hat das logische Dilemma von gottgegebenen Geboten erkannt: „Sind Gottes Gebote deshalb gut, weil Gott sie gebietet? Wenn ja, wäre es dann moralisch gerechtfertigt, Kinder zu foltern oder zu ermorden, wenn Gott ein entsprechendes Gebot aufstellte?"

Zudem lehnen die Neuen Atheisten das religiöse Denken per se ab, welches sich auch in weltlichen Ideologien finden lässt: Heilige Bücher („Mao-Bibel"), Erlöserfiguren (Kim Jong Il), Rituale zur Förderung der Gleichförmigkeit des Denkens (Aufzüge bei den Reichsparteitagen), Inquisition (Gestapo) und Denunziantentum (etwa gegen „Judenfreunde").

Dass es auch nette Gläubige gibt, das ist uns auch schon aufgefallen. Aber wären sie ohne ihren Aberglauben etwa nicht nett oder sogar noch netter? In der Tat gleicht es einer Selbstherabsetzung, wenn Gläubige ihre guten Taten mit ihrem Glauben an Gott, also mit ihrer Furcht vor höllischer Strafe und ihrer Erwartung himmlischer Belonung, begründen. Wir sind überzeugt, dass die meisten religiösen Menschen gute Taten vollbringen, weil sie im Grunde ihres Herzens gute Menschen sind und das Leid ihrer Mitmenschen teilen. Ihr Gottesglaube sorgt dabei bestenfalls für Verwirrung.

Atheistische Stalinisten?

In Punkt 11 sagt Pfahl-Traughber sinngemäß, dass Atheismus als Oberbegriff den Stalinismus mit einschließe. Das ist nun wirklich Unsinn, aber wir können einräumen, dass einige Gläubige den Begriff „Atheismus" mit Stalin verbinden. Beim Stalinismus war der Atheismus jedoch höchstens Beiwerk einer Ideologie, die selbst Züge einer Ersatzreligion hatte. Man könnte sich darum auch „Antitheist" nennen, um explizit zu betonen, dass es um die Ablehnung des theistischen Denkens geht und nicht nur um die Ablehnung seiner Ausprägung als Religion. „Humanismus" ist ein sehr vager Begriff, der alles und nichts bedeutet. Beim Neuen Atheismus oder Antitheismus weiß man, woran man ist.

Mit Religiösen gegen Unterdrücker

Pfahl-Traughbers letztes Argument besagt, dass sich demokratische Atheisten und demokratische Gläubige gegen Fanatiker beider Kategorien verbinden sollen. Wir hoffen jetzt einfach mal, dass er uns nicht zu diesen Fanatikern zählt.

Sicher können derartige Partnerschaften in bestimmten Fällen Sinn ergeben. So existieren schließlich auch Geistliche, die gegen die katholische Anti-Verhütungspolitik in Afrika argumentieren und bei dieser Angelegenheit Unterstützung verdienen und sie auch bekommen. Ebenso existiert bekanntlich die Kampagne „Christen pro Ethik", die sich hierzulande gegen einen verpflichtenden Religionsunterricht einsetzt. Zudem gibt es innerkirchliche Kräfte, die sich für das Recht von Frauen einsetzen, wenigstens unter bestimmten Bedingungen abzutreiben.

Man sollte dabei aber bedenken: Würde die Mehrzahl der Katholiken die Politik des Vatikans nicht unterstützen, dann wäre sie schon längst aus der Kirche ausgetreten. Auch davon abgesehen besteht das Problem mit diesen moderaten Kräften darin, dass sie davon ablenken, was Religion eigentlich ist. Im Kern ist Religion nicht nur antidemokratisch, sondern totalitär. Göttliche Gesetze gelten für jeden Lebensbereich, vom Küchentisch bis ins Schlafzimmer.

Das Gegenargument lautet nun, dass es Menschen gibt, welche diese totalitären Regeln zwar für sich selbst annehmen, sie aber anderen nicht aufzwängen. Aus theologischer Sicht ergibt das natürlich keinerlei Sinn, weshalb nur eine Minderheit der Gläubigen diese Meinung vertritt - entweder Abtreibung ist Mord oder nicht, entweder Homosexualität ist eine Sünde oder nicht, göttliche Befehle können nicht nur für einen selbst gelten, sondern sie gelten notwendig für alle oder sie verlieren ihre Gültigkeit. Es sind ja immerhin göttliche Gesetze - der Wille des Schöpfers des gesamten Universums, der einen bei Nichtgehorsam grausam bestrafen kann.

Im Kern geht es doch um die Frage, ob wir mit oder ohne Religion besser dran wären. Sobald überzeugend aufgezeigt wird, dass Wunschdenken und Dogmatismus besser dazu geeignet sind, eine humane Welt zu erschaffen, als kritisches Denken, so würden wir unseren Standpunkt einer ernsthaften Prüfung unterziehen müssen. Selbst wenn das jedoch der Fall wäre, bliebe Religion irrational und ihre Faktenbehauptungen befänden sich noch immer auf dem Kriegsfuß mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen. Einzig, wenn sich plötzlich alles, was wir in mühevoller, jahrhundertelanger Kleinarbeit über Gott und die Welt herausgefunden haben, als falsch herausstellt, könnte sich daran etwas ändern.

Für eine aufrechte Religionskritik

Es gibt innerhalb der säkularen Szene eine große Strömung, welche gedankliche Klarheit und klare Worte dem gutgelaunten Miteinander opfern möchte. Unserer Erfahrung nach sind die Motive dabei oft persönlicher Natur (was wir Herrn Pfahl-Traughber keineswegs unterstellen): Man ist mit religiösen Menschen befreundet, verheiratet, oder man arbeitet mit ihnen zusammen und möchte sie nicht vor den Kopf stoßen. Wir sind allerdings ebenfalls mit religiösen Menschen befreundet oder verheiratet und wir sind trotzdem nicht bereit, die Aufklärung persönlichen Befindlichkeiten zu opfern. Vielmehr erwarten wir von unseren Freunden und Kollegen, dass sie unsere Ansichten akzeptieren und könnten wir das nicht erwarten - was wären das eigentlich für Freunde?

Wissenschaft und Religion sind nicht miteinander zu vereinbaren. Das ist, wären wir einfach mal kurz ehrlich, die Wahrheit. Ebenso hat die Religion (und die Ideologie) von Natur aus ein zutiefst gestörtes Verhältnis zu Demokratie und Menschenrechten. Selbst moderat Religiöse können sich letztlich nicht von ihren heiligen Büchern emanzipieren, ohne ihre Religion aufzugeben. Das heißt, dass die Konfliktlinien heute noch dort verlaufen, wo sie seit Anbeginn der Menschheit verlaufen sind: Zwischen Vernunft und Irrationalität, zwischen Klarheit und Verwirrung, zwischen Freiheit und Versklavung, zwischen Wissenschaft und Religion.

Andreas Müller, Bernd Vowinkel

 

 

Hinweis: Armin Pfahl-Traughbers erweiterte Argumentation zum Thema „Ist der Atheismus auch eine Religion?" findet man im humanismus aktuell Band 23. Leider argumentiert er auch dort mit aus dem Kontext gerissenen Zitaten der Neuen Atheisten, die meist nicht länger sind als ein Satz, oft sogar nur der Titel ihrer Werke oder weithin bekannte „Catchphrases", die er auf eine bestimmte Weise auswählt und anordnet, sodass sie zu seiner Aussage passen. Warum geht er nicht auf die eigentlichen Argumente der Neuen Atheisten ein, die sie seitenlang ausführen, und zitiert stattdessen immer wieder „böse" klingende Einzeiler? In seiner inhaltlichen Entgegnung bezieht er sich auch dort überwiegend auf den offenen Brief von Michael Shermer an die Neuen Atheisten - oder besser gesagt auf eine Übersetzung dieses Briefes von Andreas Müller.

 

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