Vor zwei Wochen veröffentlichte der Humanistische Pressedienst eine Entgegnung des Autors Adrian Beck auf meinen dort erschienenen Auszug des Queers for Palestine-Papers, in dem ich Schnittmengen zwischen dem Genderparadigma und der orthodoxen islamischen Sexualmoral aufgezeigt habe. Becks Replik wirft mir im Kern vor, Transgeschlechtlichkeit zu pathologisieren und Transpersonen mit meinen Thesen eine Art Konversionstherapie nahezulegen. Das kann ich so nicht stehen lassen. Es folgt eine Erwiderung auf die Erwiderung.
Zunächst bedanke ich mich ausdrücklich für die Gegenrede und nehme sie zum Anlass, zentrale Punkte zu präzisieren und einige Gedanken weiter auszuführen.
Im Teaser seiner Kritik bringt der Autor meinen Beitrag mit der Aussage des CDU-Politikers Jens Spahn – "Ich bin nicht queer, ich bin schwul" – in Verbindung. Von dort spannt er den Bogen zu der Beobachtung, dass nach einer Phase der erfolgreichen Rückeroberung des Begriffs "queer" nun ein rechter Rollback drohe, der sexuelle und geschlechtliche Minderheiten erneut mit eben diesem Begriff zu diskreditieren versucht.
Zwei Dinge vorweg: Meine Skepsis am Konzept der Geschlechtsidentität und am Transaktivismus entspringt keiner reaktionären Sorge um traditionelle Geschlechterrollen begleitet von der Angst vor einer vermeintlichen gesellschaftlichen Degeneration durch sexuelle Devianz. Zumal ich auch nicht denke, dass Spahn diesem Ressentiment aufsitzt. Mein Beweggrund jedenfalls ist die Parteinahme für das, was Thomas Maul (verstorben 28. Januar 2025) als die "kleinste gesellschaftliche Minderheit, die es gibt, nämlich das Individuum" bezeichnete.
Mit anderen Worten: Die geschlechtliche Verortung einzelner Menschen ist mir gleichgültig. Zum Problem wurde die Bewegung erst dort, wo sie – nachdem sie ganz richtig dazu beigetragen hat, Menschen von normativen Rollenzwängen zu befreien (ein Verdienst, den ich der Aneignung des Begriffs "queer" ausdrücklich zugestehe) – inzwischen in ihr Gegenteil umzuschlagen droht. Statt Emanzipation erzeugt sie erneut Schubladen geschlechterpolitischer Homogenisierung und trägt, wie ich im Folgenden erörtern werde, zu einer repressiven Geschlechterdefinition im Gewand des Progressiven bei.
Eine Vorbemerkung, die nicht unwesentlich ist und Adrian Beck bei der Lektüre des gesamten Papers hätte erfahren können. In seiner Replik unterstellt er meiner Publikation, "generalisierte Rückschlüsse über alle queeren Menschen" zu ziehen. Zum Mitschreiben, Fußnote 3: "Im Folgenden wird zwischen Queer als Ausdruck sexueller Abweichung und dem Bedürfnis, ohne Angst sexuell unterschiedlich sein zu können, sowie der Vereinnahmung von Lebensentwürfen im Namen des Queeraktivismus oder der Queer Theory für autoritäre Sehnsüchte differenziert (vgl. l'Amour LaLove 2017)." Oder auch Fußnote 16: "Zu unterscheiden ist zwischen Transpersonen, die aufgrund einer Geschlechtsdysphorie – oft nach einem langen Leidensweg – transitioniert sind, und den emanzipationsfeindlichen Auswüchsen des Transaktivismus bzw. der Transideologie."
Äpfel mit Birnen vergleichen
Eingangs stört sich der Autor an meinen Einwänden gegenüber den Begriffen "Geschlechtsidentität" und "Non-binary" sowie an meiner Einschätzung, dass damit einer "Schiefheilung" mittels Transition der Weg bereitet werden könne. Die Termini "Geschlechtsidentität" und "Non-binary" erscheinen mir als der verzweifelte Versuch, einer geschlechtlichen Starrheit zu entkommen – die jedoch paradoxerweise gerade dadurch reproduziert wird. Es braucht keine neuen begrifflichen Konstruktionen, wenn wir bereits durch die Psychoanalyse über ein weitaus komplexeres Verständnis von Geschlecht verfügen.
Dazu und zur "Schiefheilung" gleich mehr. Zunächst aber zu Becks Einlassungen.
Beck kontert mit einem banalisierenden Vergleich von Maßnahmen der medizinischen Geschlechtsumwandlung mit Eingriffen der Körpermodifikation. Letztere seien laut ihm ein Beleg dafür, dass Geschlechtsinkongruenz beziehungsweise Geschlechtsdysphorie schlicht jedem Menschen zugrunde liegen würde:
"Was gemeinhin gender-affirming care genannt wird und im Kontext von Transgeschlechtlichkeit meist Maßnahmen wie die soziale Transition, Hormonersatztherapie oder operative Geschlechtsangleichung meint, existiert auch für cis Menschen. Genderinkongruenz und -dysphorie sind nicht auf trans Menschen beschränkt. Jedes kosmetische Brust-, Po-, Haar- oder Wadenimplantat ist Ausdruck einer Inkongruenz zwischen der gewünschten und wahrgenommen Geschlechtlichkeit. Jede kosmetische Penis- oder Hodenoperation ist Ausdruck einer solchen Inkongruenz."
Sowie:
"Menschen, die sich aus eigenem Antrieb die Brüste abbinden (…) agieren also frauenfeindlich (…) .Gilt das auch für Menschen, die sich die Brüste operativ vergrößern lassen?"
Allen voran fällt die Parallelisierung von rein ästhetischer Chirurgie mit umfassenden medizinischen Verfahren der Geschlechtsangleichung dem Leidensweg von Transmenschen mit Geschlechtsdysphorie in den Rücken – Komplikationen der Operationen einmal ausgeklammert; dort müsste man die jeweiligen Folgeschäden vergleichen. Darüber hinaus hinkt dieser Vergleich, da die von Beck angeführten Eingriffe meist kosmetische Stilisierungen bereits bestehender, als "richtig" im Sinne von zugehörig empfundenen primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen sind. Bei einer Transition hingegen handelt es sich um die Negierung der ursprünglich seit Geburt bestehenden Geschlechtsmerkmale. Die "Inkongruenz" ist bei "Schönheits-OPs" keine absolute, sondern eine punktuelle; eher ein "Ich hätte gerne mehr oder weniger davon" statt ein "Ich bin von allen Geschlechtsmerkmalen vollkommen entkoppelt". Zugleich eröffnet Beck hier jedoch einen Punkt, den ich im Folgenden mit einigen psychoanalytisch inspirierten Überlegungen zum Geschlecht weiterverfolgen möchte.
Geschlechtsidentität als Engführung
So wenig das Ich "Herr im eigenen Haus" (Freud 1917)1 ist, so wenig ist es auch das (psychische) Geschlecht. Freuds Theorie der Weiblichkeit kann – trotz berechtigter Kritik an ihren biologistisch-patriarchalen Setzungen – als Analyse der Genese des Subjekts Frau zwischen Anatomie und sozialer Ordnung verstanden werden. Die strittige Penisneid-These lässt sich angelehnt an die Historikerin Ljiljana Radonic etwa als Phallusneid-Theorie lesen, die nicht die Frau per se als Mangelwesen beschreibt, sondern den Mangel an Freiheiten des Mädchens im Vergleich zum Jungen, jenen prägenden Einfluss der Sozialisation auf die kindliche Entwicklung, dechiffriert.2
Mit der Entdeckung des Unbewussten legte Freud das Gesellschaftliche im Psychischen offen. Beobachten wir, wie verinnerlichte traditionelle Rollen sich auf das Triebschicksal auswirken, erkennen wir einmal mehr Geschlecht als Grenzbegriff zwischen Natur und Kultur. Geschlecht ist somit keine feste Identität, kein harmonisches Ganzes, sondern eine Folge von Anatomie, Rollenerwartungen, Trieben, inneren Konflikten und Abwehrmechanismen et cetera – eine Abstraktion also, eine komplexe bio-psychische Struktur mit eigener unbewusster Geschichte.
Trans- und Queer-Theorien hingegen betonen die Selbstdefinition. Geschlechtsidentität ist dort etwas, das eine Person mit Gewissheit über sich selbst zu bestimmen glaubt und auch gegen gesellschaftliche Normen oder die Natur total behaupten zu können meint. Sinngemäß lautet die Haltung: "Ich fühle mich so, also bin ich so" – die Vorstellung von einer Identität zwischen Empfindung, Wesen und Erscheinung. "Es wird nicht nur behauptet, alles, was man ist, sei geschlechtlich, sondern auch, dass das Geschlechtliche in einem Selbst aufgeht"3, so die Politikwissenschaftlerin Chantalle El Helou.
Damit fällt der identitätspolitische Feminismus hinter den einstigen feministischen Erkenntnisgewinn der zweiten Welle, der Unterscheidung zwischen sex und gender, zurück. Ein Widerspruch zum stereotypen Frausein – beispielsweise ganz platt "blau" statt "pink" zu tragen – oder ein inneres Unbehagen am Geschlecht zu formulieren, also das ganz gewöhnliche Gefühl, mit hegemonialen Geschlechteranforderungen nicht vollständig "im Reinen" zu sein, ohne dafür den eigenen Körper verändern zu müssen oder zu denken, man werde von falschen Gedanken beherrscht, wird dadurch erschwert.
Hier ist die psychoanalytische Auffassung von Geschlecht – wenn man so will – deutlich fortschrittlicher. Das Konzept der "Geschlechtsidentität" gleicht einer Verengung von Entfaltungsoptionen. Geschlechtlichkeit ist dem Bewusstsein nicht vollständig zugänglich; sie besitzt eine inhärent ambivalente Struktur. Gerade diese Ambiguität ermöglicht kritische Distanzierung und widersetzt sich der strengen Polhaftigkeit, die auch der Begriff der Binarität suggeriert.
Gerade hierin liegt die revolutionäre Sprengkraft der Psychoanalyse – gegen die damals schon erzkonservative Kulturpessimisten Sturm liefen. Freud selbst nahm sogar eine natürliche Bisexualität des Menschen an. Dieses Verständnis von Geschlecht ist offener formuliert als jeder Buchstabe im TQI+-Akronym. Denn je enger Geschlechtlichkeit gefasst wird, desto wahrscheinlicher der "Gender Trouble" – um hier Butler gegen sie und ihre Adepten zu wenden.
Um diesen Gedankengang noch mit einem Vergleich zu illustrieren: Ähnlich wie das Rechtssubjekt kann auch Geschlecht als eine abstrakte Gleichheit verstanden werden, unter der man individuell verschieden sein kann. Gleichwohl ist Geschlecht sowohl Natur als auch Nicht-Natur. Die biologische Anlage (sex) bestimmt niemals vollständig über die Ausgestaltung des sozialen oder psychischen Geschlechts (gender). Dennoch besteht eine Wechselwirkung: Begriffe wie "non-binary" oder "divers" bleiben in zentralen Momenten Illusionen, etwa wenn die Hormone mit uns durchgehen, in der Pubertät oder während der Periode, und die Biologie unserer Psyche etwas diktiert, oder während der sexuellen Fortpflanzung, die zwingend auf die Fusion männlicher und weiblicher Keimzellen angewiesen ist.
Interessant ist schließlich auch, dass gerade diejenigen, die Biologie, Zweigeschlechtlichkeit und Anatomie vehement bestreiten, diese im Transitionsprozess selbst bestätigen. Durch medizinische Geschlechtsumwandlung an Körper und Hormonhaushalt, soll ein gutes "Passing" erreicht werden, also die möglichst "authentische" Anpassung an einen weiblichen oder männlichen Körper, die nicht selten Frauen oder Männer geradezu karikiert.
Die Sache mit dem Körper
Wo wir schon beim Körper sind: Im Paper kritisiere ich die Leugnung biologischer Gegebenheiten seitens mancher Queeraktivisten und bewerte dies als fatal – zum einen wegen genitalbezogener Sexualität (Beck ergänzt um den subjektbezogenen Charakter von Sexualität – okay, danke!), zum anderen, weil geschlechtsspezifische Benachteiligung und Gewalt so ebenfalls nicht fassbar wären, etwa weibliche Genitalverstümmelung, Vergewaltigung, Doppelbelastung oder Wettbewerbsnachteile im Sport.
Adrian Beck hält entgegen, dass der Terminus "Entkörperung" Butler nicht vorzuwerfen sei; sie würde ja geradezu ein Plädoyer für den "Körper" halten:
"Der Aussage, Butler würde eine 'Entkörperung' vornehmen, muss ich widersprechen. Butler schrieb bereits 1995, Ziel müsse eine Rückkehr zu '(dem) Körper als einem gelebten Ort der Möglichkeit, dem Körper als einem Ort für eine Reihe sich kulturell erweiternder Möglichkeiten' sein."
Hier muss ich einhaken und auf den Natur- beziehungsweise Leibbegriff hinweisen, der meines Erachtens einen Kern unserer unterschiedlichen Ansichten definiert. Beck hat Recht: Entkörperung ist Butler nicht zu attestieren. Entleiblichung – um mit Gerhard Scheit vom "lebendigen Leib des Menschen"4 zu sprechen – oder "Kreationismus", um mit Christoph Türcke zu sprechen, hingegen schon.
Der Körper scheint bei Butler der Natur enthoben und zur endlos modellierbaren Verfügungsmasse zu gerieren – ein performatives "Everything is possible" quasi. Doch gerade ein Begriff von Geschlecht an der Schnittstelle zwischen Natur und Kultur ist notwendig, um die Erfahrbarkeit von Leid und die Begrenzung von Verfügbarkeit als Ausgangspunkt humanistischer und emanzipatorischer Praxis überhaupt zu denken. Ein Körper, degradiert zur reinen Materie, hilft da nicht weiter.
Denn wo nirgends mehr Natur, sondern ausschließlich Gesellschaft und subjektive Machbarkeit herrschen, gelten die Imperative des Marktes oder der rohen Gewalt. Man könnte auch die These aufstellen, dass die Beliebtheit geschlechtlicher Fluidität das Spiegelbild ökonomischer Flexibilisierung à la Ich-AG ist – von Butlers Nachsicht gegenüber islamistischer Gewalt ganz zu schweigen. An anderer Stelle im Paper (S. 18) lege ich dar, wie Butler statt Wehrhaftigkeit gegen Gewalt sogar die Identifikation mit ihr fordert.
Worum es geht – und worum nicht
Um konkret zu werden: Beck bezieht sich in seiner Replik auf einen Abschnitt meines Papers, in dem ich Tendenzen schildere, die eine Verdrängung der Frau im Kontext des wachsenden Phänomens der Transsexualität erkennen lassen. Ich arbeite dort Ähnlichkeiten heraus, ohne die Praktiken gleichzusetzen.
Besonders beanstandet Adrian Beck meinen Vergleich des "Brustbügelns" mit dem "Binding", den ich unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt einer Feindseligkeit gegenüber dem weiblichen Körper und dem Kaschieren seiner Silhouette betrachte. Er fragt: "Menschen, die sich aus eigenem Antrieb die Brüste abbinden, weil sie sich damit wohler, selbstbewusster und authentischer fühlen, agieren also frauenfeindlich, weil sie den weiblichen Körper unsichtbar machen?" – Klares Nein. Der Einzelfall sagt nichts über eine misogyne Haltung aus. Privates geht mich nichts an; im Gegenteil: Jeder Schritt, der dazu beiträgt, dass sich Menschen besser fühlen, ist zu unterstützen. Es ist nachvollziehbar, dass Körperteile, zu denen man eine Distanz entwickelt hat oder die an etwas Ungewolltes erinnern, eine psychische Last darstellen können.
Wenngleich ich den Anstieg von Transitionen kritisiere, respektiere ich jede individuelle, mündige Entscheidung zur Linderung von Leid. Von Bedeutung ist mir eine fragwürdige gesellschaftliche Dynamik, die subjektiv in einer "Schiefheilung" kulminieren kann.
Eine Studie der Uniklinik Ulm (2024) zeigte, dass die Diagnosen von Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen in zehn Jahren auf das Achtfache gestiegen sind. Besonders betroffen sind 15- bis 19-jährige Mädchen. Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer sehen darin eine beunruhigende Entwicklung und diesen Eindruck teile ich.
Am Beispiel des "Bindings" und der "Mastektomie" (operative Entfernung der Brust) kann sich zeigen, wie überfordernd das Leben in westlichen Gesellschaften – insbesondere für Mädchen – geworden ist: Schönheitsideale, Multioptionsgesellschaft, patriarchale wie auch genderfluide Rollenerwartungen, Selbstverwirklichungsdruck, Kämpfe um Anerkennung, Soziale Medien als permanente Vergleichsmaschinen und neue Weiblichkeitsbilder – von "Tradwives" bis "Vanilla Girls". All dies kann in einer tiefen Entzweiung von Selbst und Körper gipfeln bis zu dem Punkt, an dem das Abbinden oder gar die Amputation der Brüste als letzter Ausweg erscheint, oft gefolgt von einer Selbstinszenierung der Narben in Sozialen Medien als Akt der Bestätigungssuche.
Diese dramatische Zuspitzung der Geschlechterverhältnisse, die junge Frauen zu solch einschneidenden Schritten treibt, muss kritisch reflektiert werden. Das ist keine Pathologisierung, sondern eine antipatriarchale Kritik. Ein Feminismus, der die Identitätskonflikte junger Frauen ernst nimmt, müsste genau hier ansetzen, statt diese Auswüchse des postmodernen Geschlechterdiskurses zu tabuisieren.
Manche fühlen sich durch gesellschaftlichen Druck zu solchen Entscheidungen gedrängt, um gegebenenfalls auch anderen psychischen Belastungen zu entkommen; andere leiden tatsächlich an Geschlechtsdysphorie, für die eine Transition therapeutisch hilfreich sein kann. Empathisch schreibt Alice Schwarzer: "In diesem Konflikt haben die Transsexuellen selbst keine Wahlmöglichkeiten mehr: Ihr Hass auf den 'falschen' Körper ist weder durch Argumente noch durch Therapien zu lösen. Transsexuelle sind zwischen die Räder des Rollenzwangs geraten."5
Diesen Gedanken teilt auch der genderkritische Transmann Scott Newgent, der geschlechtsangleichende Eingriffe nur jenen empfiehlt, die ohne "nicht friedlich durchs Leben gehen"6 können.
Ist die Beschreibung dieser Umstände gleichzusetzen mit der Forderung nach Konversionstherapie – jener entsetzlichen pseudowissenschaftlichen Methode, mit der Homosexuelle "geheilt" werden sollten –, wie Beck mir unterstellt? Nein.
Erstens betrifft Trans das Geschlecht, nicht die sexuelle Orientierung. Zweitens geht sexuelle Orientierung mit keiner Diagnose von Geschlechtsinkongruenz oder -dysphorie, keiner Entfremdung von Seele und Leib einher. Drittens schaden homo- und bisexuelles Begehren weder Gesellschaft noch Individuum.
Transitionen dagegen sind schwerwiegende Eingriffe mit hoher Komplikationsrate: Infektionen, Schmerzen beim Urinieren und Geschlechtsverkehr, häufige Nachoperationen oder gar das Bereuen der Geschlechtsumwandlung sind alles andere als eine Seltenheit. In einem Kommentar zur Replik wurde der Autor treffend gefragt: "Wie unterscheiden Sie eine sog. Konversionstherapie von einer Anamnese und Therapie bei psychischen Begleiterkrankungen bei Transidentifizerenden sic Jugendlichen?"
Womit wir beim Begriff der "Schiefheilung" sind: Er nennt die "Teilhabe an einem kollektiven Symptom", um "der möglichen individuellen Symptombildung entgegen[zu]wirken"7. Kurz gesagt: die Auflösung des Individuums im Kollektiv, das trügerische Heilung verspricht, ohne jedoch die Ursache seiner Malais zu beseitigen. Zwar stammt der Begriff aus der Psychoanalyse des Antisemitismus, doch lässt er sich auch auf andere Phänomene übertragen.
Diesen Mechanismus sehe ich in den Fällen am Werk, wo Trans bedauerlicherweise zur Pseudolösung mit irreversiblen Folgen herangezogen wird und langfristig nicht die erhoffte Linderung bringt. So stellten Lindqvist et al. vom schwedischen Karolinska-Universitätskrankenhaus 2016 einen deutlichen "Honeymoon-Effekt" fest: Kurz nach der Geschlechtsumwandlung verbesserten sich bei den 190 Frauen ihrer Kohortenstudie psychische und körperliche Zustände, doch nach drei Jahren sank die Zufriedenheit in allen Belangen nachhaltig.8
Zugleich häufen sich Fälle von Detransition – Menschen, die ihre Transition, so gut es geht, rückgängig machen, weil sie ihnen nicht zum ersehnten Glück verhalf. Die finnische Psychiaterin Riittakerttu Kaltiala betont in Bezug auf präpubertäre Transitionen: "Bei der überwältigenden Mehrheit der Kinder mit Geschlechtsdysphorie – etwa 80 Prozent – löst sich ihre Dysphorie von selbst, wenn man sie die natürliche Pubertät durchlaufen lässt. Oft erkennen diese Kinder, dass sie schwul sind."9
So wie man beim Thema Antisemitismus auf Juden und beim Thema Islamismus auf Ex-Muslime hören sollte, sollte man beim Thema Geschlechtsidentität den Detransitionierten zuhören. Es geht schließlich um das Individuum, das Ausgestoßene im Zeitalter kollektiver Identitäten.
Die beiden Vorgänger-Texte zu diesem Artikel finden Sie hier:
1 Freud, S. (1917): Einführung in die Psychoanalyse. Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Leipzig/Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag.
2 Radonic, L. (2007): Psychoanalyse als Gendertheorie: Freud und seine Kritikerinnen. In: Gruber, A. , et al. Hg. Mit Freud: Gesellschaftskritik und Psychoanalyse. ça ira. Freiburg
3 El Helou, C. (2023). Vom Queersexismus zur Emanzipation: ein Lagebericht mit Auswegen. Querverlag. Berlin S. 20
4 Scheit, G. (2015): Verschwundener Leib, verdrängte Gewalt. Anmerkungen zur Kritik des Gender-Begriffs. In: Poetini, C. (Hg.): Gender im Gedächtnis. Geschlechtsspezifische Erinnerungsdiskurse in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Aisthesis. Bielefeld. S. 24
5 Schwarzer, A. & Louis, C. (2022): Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streitschrift. Deutschland: KiWi Verlag. Köln. S. 10
6 Zit. n. Zydatiss, K., & Feldon, M. (2024): Interregnum: Was kommt nach der liberalen Demokratie? Langen Mueller Herbig. Regensburg. S. 161
7 Brunner, Markus (2016): Vom Ressentiment zum Massenwahn. Eine Einführung in die Sozialpsychologie des Antisemitismus und die Grenzen psychoanalytischer Erkenntnis. In: Busch, C. et al. (Hg.): Schiefheilungen. Wiesbaden. S. 22.
8 Zit. N. Zydatiss, K., & Feldon, M. (2024): S. 160
9 Ebd.







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Anonym am Permanenter Link
Vielen Dank für Ihre umfassende Eingebung zu diesem Thema. Ich finde die Emanzipation der Trans-Community sehr interessant. Aus schwuler Sicht besteht eine gewisse Sympathie zum Prozess.
Ich kenne einige Transmenschen aus meinem persönlichen Umfeld, darum schreibe ich hier lieber anonym. Die klischeehafte Darstellung von Geschlecht ist mir eher bei Transfrauen aufgefallen. Transmänner wollten zumindest in meinem Umfeld eher mit dem Thema Geschlecht in Ruhe gelassen werden. Soziales Geschlecht ist auch immer das, was man draus macht. Manche Leute müssen ihr Geschlecht performen und ziehen viel Identität daraus. Das kommt mir immer sehr sexistisch vor, wird aber oft nicht so gesehen (Frauen sind so, Männer sind so. Im Zweifel mal in der Familie umhören).
Ich sehe aber auch, dass Transmänner eher zufrieden mit ihrer Sexualität sind, zumindest jene, die in meinen eher bunten Kontexten auftauchen. Ich kann mir vorstellen, dass es als cis-Frau nicht möglich ist sich ungescholten so auszuleben wie als schwuler Mann. Das ist schade, aber auch eine Frage der Kultur. In meinem Umfeld sind offene Beziehungen und wechselnde Sexualpartner*innen nichts für das man verurteilt wird. Ob man das so ausleben möchte, ist dabei jedem selbst überlassen. Liebe Leute, umgebt euch mit netten Menschen und arbeitet an euren Problemen.
Was mich am Artikel gestört hat, ist der starke Bezug zur Freudschen Psychoanalyse. Ich halte sie für unwissenschaftlich und somit nicht in der Lage belastbare Begründungen zu liefern. So steht aus meiner Sicht ein großer Teil des Artikels auf keinem Fundament.