BERLIN / BAD RADKERSBURG. (hpd) Am 26. April wird in Berlin darüber abgestimmt, ob Schülerinnen und Schüler (bzw. deren Eltern) darüber entscheiden müssen, ob die Jugendlichen in Ethik oder in Religion unterrichtet werden. Der Philosoph Gerhard Streminger hat sich – weit von Berlin entfernt in Österreich lebend – darüber Gedanken gemacht, und damit auch eine philosophische Sichtweise der Abstimmung ermöglicht.
Ein Kommentar von Gerhard Streminger
Vorbemerkung. Hinsichtlich der philosophischen Disziplin Ethik gibt es eine 2500 Jahre alte Tradition, die zumindest auf Platon und Aristoteles zurückgeht. In ihr werden die Prinzipien des richtigen Handelns auf vernünftige Weise zu erkennen versucht, wobei das Individuum, seine Anlagen und Fähigkeiten sowie seine Umgebung im Zentrum der Betrachtung stehen. Ganz anders im wesentlich jüngeren Christentum und Islam: Dort steht ein ewiges, ungewordenes Höchstes Wesen im Zentrum, und der Mensch ist nicht mehr das Subjekt, sondern das Objekt der Betrachtung. Während in der Philosophie die menschliche Urteilskraft bemüht wird, ist es in der Religion der Glaube, und zwar der Glaube an einen gütigen Gott. Ethik ist also vernunftgebunden, Religion hingegen bekenntnisgebunden. Vertreter von Pro Reli behaupten nun, dass Ethik und Religion insofern ranggleich seien, als sie gleichermaßen Menschen zu richtigem Tun verhelfen könnten. Aber die Wahrheit der religiösen Perspektive hängt davon ab, dass es tatsächlich einen gütigen Gott gibt, der die Gebote vorgibt und in gerechter Weise menschliches Handeln richten wird. Die ganze Kampagne, die von religiöser Seite gestartet wurde und so viel Staub (und Geld) aufwirbelt, steht und fällt mit dieser Annahme.
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Die allermeisten Christen und Muslime sind überzeugt, dass es einen gütigen und gerechten Gott gebe. So beginnen Muslime ihre Gespräche gewöhnlich mit jenen Worten, mit denen auch die Suren im Koran beginnen, nämlich mit der Anrufung des gütigen Gottes: Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Und Christen feiern in ihren Riten den Allmächtigen, der aus Liebe zu den Menschen seinen eingeborenen Sohn opferte, um uns den Weg ins Paradies zu ermöglichen. Vom Sohn selbst stammen die berühmten, wenn auch angesichts der späteren Entwicklung rätselhaften Worte (da Jesus sich darin gerade gegen eine Vergottung seiner Person wandte): “Jesus aber sprach zu ihm: Was nennst Du mich gut? Niemand ist gut als nur einer, Gott.“(Mk 10,18; 13,32)
Die beeindruckendste Zusammenfassung dieses positiven Gottesbildes gelang jedoch einem berühmten Philosophen, der auch Christ war: „Nichts ist größer als die Weisheit Gottes“, meinte Leibniz, „nichts gerechter als seine Urteile, nichts reiner als seine Heiligkeit und nichts unermesslicher als seine Güte.“ (G.W.F. Leibniz, Die Theodizee [1710], Hamburg 1968, S. 165) Die allermeisten Christen und Muslime (kurz: Theisten) gehen also davon aus, dass ein mächtiger Gott existiere, der alle positiven Eigenschaften in höchstem Maße in sich vereine. Aufklärer halten diese Behauptungen jedoch für wenig plausibel.
1. Realität und Theodizee
Arthur Schopenhauer, ein anderer großer Philosoph, der aber kein Christ war, buchstabierte >Welt< so: W eh, E lend, L eid, T od, womit er nicht nur seinen Pessimismus prägnant zusammenfasste, sondern auch ein prophetisches Wort sprach. Denn auf das Jahrhundert, in dem er lebte, dürfte sein düsteres Alphabet noch weniger zugetroffen haben als auf das folgende, mit den Erfahrungen zweier Weltkriege - und auf das unsrige, mit all den Bedrohungen, die sich wie ein schwarzes Gewölk über uns zusammenbrauen.
Brächte man Menschen die Leiden vor Augen, die sie erwarten könnten, so packte sie alle das Grauen. Auch der Held des Christentums wusste um die Schattenseiten des Daseins: „Jeder Tag hat an seinem Übel genug“, meinte Jesus lakonisch (Mt 6.34). Zumal christliche Priester pflegen in ihren Predigten zunächst die Fülle an Leid und menschlicher Schuld mit Nachdruck zu betonen, um die Frohbotschaft sodann umso strahlender erscheinen zu lassen.
Daneben gibt es natürlich ungleich Erfreulicheres: die Schönheit vieler Naturereignisse, der Morgenröte etwa, der viel besungene bestirnte Himmel über uns, die faszinierende Welt anderer Lebewesen oder die verschiedensten Formen menschlicher Zuneigung. Diese positiven Dinge bleiben jedoch oft in der Minderheit, denn nur wenige blicken mit Zufriedenheit zurück. Viel häufiger durchziehen Kummer oder ein fundamentales Gefühl der Sinnlosigkeit das Leben; dass Menschen längere Zeit glücklich sein sollen, scheint im göttlichen Weltplan nur selten vorgesehen zu sein. Die vielen Leiden sind jenes riesige Loch im geistigen Korb, durch das – zum großen Kummer des Klerus – der Glaube an die Existenz eines gütigen und barmherzigen Gottes immer häufiger hindurch fällt.
Würde ein intelligentes Wesen in diese Welt gesetzt, so käme es nach dem Sammeln von Erfahrungen wohl zur Einsicht,
- dass auf Erden gute und schlechte Götter um die Vorherrschaft ringen, oder
- dass es einen Gott geben muss, der selbst gegensätzlich – gut und böse – ist, oder
- dass die Erde ohne Weltenlenker einsam durch das Weltall ihre Bahnen zieht.
Alle diese drei Möglichkeiten sind mit der Wirklichkeit besser vereinbar als jene, die die allermeisten Theisten vertreten, dass nämlich ein mächtiger und gütiger Gott die Welt regiere.
Um ihren Glauben gegenüber diesen und allen anderen Möglichkeiten auszuzeichnen, haben Theisten seit vielen Jahrhunderten versucht, Rechtfertigungen für die Behauptung der Güte Gottes zu finden – trotz allen Leids in einer von Gott abhängigen Welt. Diese Rechtfertigungsversuche werden üblicherweise Theodizeen genannt, worin wiederum zwei Argumente besonders häufig vorgebracht werden: Das eine handelt von der Sittlichkeit des Menschen und das andere von den göttlichen Eigenschaften.
2. Alles Leid dient der Charakterbildung
Der erste Rechtfertigungsversuch lautet so: Gott ist gütig. Aber er schuf Leid (oder lässt dieses zu), damit Menschen Mitgefühl und Solidarität entwickeln können und zu moralischen Personen werden.
Alles Leid erfüllt somit eine wichtige Funktion, dient es doch der sittlichen Besserung, kurz: der Charakterbildung des Menschen (soul-making). Somit ist alles Leid gerechtfertigt, da es einem Zweck dient, der so hochwertig ist, dass dadurch die Negativität des Mittels – das Leid nämlich – mehr als aufgewogen werde. Da Solidarität, Mitgefühl, aber auch Tapferkeit und Standhaftigkeit hohe Güter sind, ist selbst die Existenz von Krankheiten und Missbildungen gerechtfertigt. Alle schmerzvollen Dissonanzen lösen sich auf im sittlichen Wohlklang.
Was ist nun von dieser Theodizee zu halten? Zunächst ist natürlich unbestritten, dass Menschen – durch Schmerz und Einsicht geläutert – manchmal von nichtigen Dingen des Daseins sich befreien. Manche werden aus Schaden klug, gelegentlich wird der menschliche Charakter durch Leid in positiver Weise geformt, bisweilen führt Leid tatsächlich zu einem höheren Gut. Der Genuss eines kühlen Getränks etwa kann so intensiv sein, dass man meint, der Durst, der diesem Vergnügen voran gegangen ist und es erst ermöglicht hat, werde mehr als aufgewogen.
Andererseits ist auf diese Weise das Leid der Tiere nicht zu rechtfertigen, da sie weder Solidarität noch Pflichtgefühl entwickeln. „Dass es viel Leiden auf Erden gibt“, meinte bereits Charles Darwin, „bestreitet keiner. Man hat das – wenigstens soweit es den Menschen betrifft – damit zu erklären versucht, dass es seiner sittlichen Besserung diene. Aber die Zahl der Menschen ist wie nichts im Vergleich mit der aller anderen fühlenden Wesen. Diese leiden oft erheblich ohne die Möglichkeit einer sittlichen Besserung.“ (K. Deschner [Hrsg.], Das Christentum im Urteil seiner Gegner. Ismaning b. München, S. 275)
Wenn Theisten auf diesen Einwand erwidern, dass Gott das Leid der Tiere deshalb zulasse, damit Menschen auch ihnen gegenüber ethisches Verhalten entwickeln können, dann ist dies schon deshalb unplausibel, weil es tierisches Leid schon lange gegeben hatte, ehe Menschen die Bühne des Lebens betraten.
Es ist also die Fülle an Leid, die der Annahme eines gütigen Weltenlenkers widerspricht. Worin könnte beispielsweise für ein junges, intelligentes, lebhaftes Mädchen oder dessen Angehörige die Charakterbildung bestehen, dessen Gehirn zu schrumpfen beginnt, das in einem Krankenhaus dahinsiecht, kaum noch seine nächsten Verwandten erkennt und ihr Tod allen – außer einigen unbarmherzigen Fundamentalisten – als ein Segen erscheint?
Leid kann oft genug nicht im positiven Sinne bewältigt werden, sondern bedeutet schlichtweg eine Überforderung. Zwar gilt gelegentlich: >Wächst die Not, so wächst das Rettende auch<, aber oft wächst nur die Not. Bedarf es beispielsweise riesiger Vulkanausbrüche, die ganze Städte unter sich begraben, Erdbeben und Tsunami, die Tausende in einer Nacht töten, um in anderen Mitgefühl und Barmherzigkeit zu wecken? Und worin sollte denn das Gut bestehen, das aus der Vernichtung eines anderen Volkes resultiert, aus dem langsamen Tod der Bewohner ganzer Landstriche, aufgrund von Unterernährung und Wassermangel?
Keine Güter folgen solchen Katastrophen, sondern eher das Gegenteil: Wegen der Quantität und Intensität der Leiden wenden viele sich ab, die sich nicht abwandten, gäbe es weniger davon. Der Bereich, innerhalb dessen das Leid seine segensreiche Wirkungen entfalten mag, ist eng begrenzt. Wenn schon – bildlich gesprochen – der Regen notwendig ist, damit gewisse Güter wachsen können, warum wird dann aus dem Regen ein Wolkenbruch und aus dem Wind ein Orkan? Ein Mensch, der durch zu viel Leid in die Gosse gestoßen wurde, ist, wenn er aufsteht, manchmal kein Mensch mehr, sondern ein Monster.
Viele leidvolle Situationen bedeuten keinen Fortschritt zum Besseren, sondern einen Rückschritt zum Schlechteren. Das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 beispielsweise rief die niedersten menschlichen Instinkte wach und wurde zu einem der Wurzeln des europäischen Pessimismus.
Es ist also nicht nur die Fülle an Leid, die oft nicht positiv bewältigt werden kann, sondern das Leid schafft häufig auch noch neue Übel. Dies zeigt sich etwa an der Verbitterung der Leidenden und an derjenigen der Helfenwollenden. Durch häufige Enttäuschungen ihres Wohlwollens werden viele verhärmt, ihre Geduld erschöpft sich, ihr Mut erlahmt und ihre Neugierde verkümmert.
Zudem stellt sich mit Nachdruck die Frage, ob es überhaupt je gerecht sein könnte, Menschen zugunsten anderer leiden zu lassen. Wenn wir ein Experiment planen, etwa einer Person ein neu entwickeltes Medikament verabreichen, dann klären wir sie auch über mögliche leidvolle Konsequenzen auf und fragen, ob sie bereit sei, diese auf sich zu nehmen; und wir empfinden es als skandalös, wenn dies nicht geschieht. Der angeblich unendlich Gütige fragt jedoch niemand, ob er oder sie großes Leid auf sich zu nehmen bereit ist. So wenig Respekt vor dem angeblich freien Willen des Menschen?
Und schließlich gibt es noch einem weiteren Grund, der zeigt, dass es weitgehend unrichtig ist, dass >Leid der Charakterbildung< diene, wie in vielen religiösen Ethiken behauptet. Denn zumeist sind es Verständnis, Liebe und Freude, die verhindern, dass Menschen sich auf sich selbst zurückziehen; es stimmt einfach nicht, wie es diese dunkle Pädagogik nahe legt, dass die allermeisten hart angepackt werden müssen und erst durch Leid lernen.
Mitgefühl erfordert nämlich etwas ganz anderes: So war auch für Schopenhauer Mitleid ein hoher Wert. Er erkannte jedoch, dass dieses zumeist nicht unmittelbar gegeben ist, sondern einer bestimmten Einsicht bedarf, nämlich jener, dass überall der gleiche Wille zum Leben herrsche: Mein Wille zum Leben ist auch dein Wille zum Leben, und dein Wille zum Leben ist auch identisch mit dem Willen zum Leben des geringsten Lebewesens. Dieses Bewusstsein der Identität des Willens ist nach Schopenhauer notwendig, damit Menschen ihren Egoismus, den eigenen Willen zum Leben nachhaltig zurücknehmen und Mitgefühl und Verständnis entwickeln können; blosses Vorhandensein von Leid genügt dafür nicht.
Aber wenn dem so ist, warum hat der Allwissende kein solches Bewusstsein gefördert, und warum hat Jesus -- für Christen der >größte Morallehrer aller Zeiten< -- davon nicht gesprochen? Wohl findet sich dieses Wissen ausserhalb des jüdisch-christlichen Kulturkreises: Tat twam asi [Dieses bist du] ist vielleicht so etwas wie der Kern asiatischer Weisheit.
Der obigen Theodizee liegt ein sonderbares Verständnis von überragendem moralischen Verhalten zugrunde: Vorbildlich wird genannt, wer durch das Leid anderer in seinem Tun motiviert wird. Aber hervorragender sind doch Menschen, die eine positive Einstellung gegenüber der Welt als solche haben, die nicht nur Leidenden, sondern auch glücklichen, zufriedenen, wohlhabenderen Menschen mit einem, wie Kant es nennen würde, >guten Willen< begegnet.
Im Märchen gibt es ein solches Wesen: Goldmarie. Sie braucht nicht mit der Tragödie anderer konfrontiert zu sein, um Dinge wie Mitgefühl, Solidarität oder Mitfreude zu entwickeln. Ein moralisches Verhalten ist ihr etwas Selbstverständliches. Es ist Teil ihrer Identität, sie wird nicht durch Leid in ihrem Verhalten motiviert, sondern handelt moralisch gleichsam >aus Unschuld<.
Die Kritik an der theologischen Vorstellung von >Leid als Charakterbildner< lässt sich sogar noch verschärfen, mit dem Hinweis nämlich, dass Mitleid und Barmherzigkeit gar keine Güter an sich sind. Denn ihren Wert beziehen sie allein aus der Tatsache, dass durch mitleidiges und barmherziges Verhalten Leid vermindert wird; aber gäbe es überhaupt kein Leid, so wären auch Mitleid und Barmherzigkeit keine Güter, da unnötig.
Der Rechtfertigungsversuch um die menschliche Sittlichkeit erweist sich somit als zirkulär und vermag nichts zu begründen: In ihm werden gewisse Verhaltensweisen wie Mitgefühl und Solidarität als große Güter behauptet und Leid mit dem Hinweis gerechtfertigt, dass es notwendig sei zur Realisierung dieser Güter. Aber da Mitleid und Solidarität nur deshalb Güter sind, weil dadurch Leid vermindert wird, war Gott nicht gerechtfertigt, Leid zu schaffen. Sich um Leidende zu kümmern, ist aufgrund der Beschaffenheit der Welt eine moralische Pflicht, aber ein Gut an sich – zur Entlastung Gottes – ist es nicht.
Da Menschen begrenzte Wesen sind, werden ihre Energien, die sie zur Leidminderung verwenden müssen, von intellektuellen oder künstlerischen Aktivitäten abgezogen. Es ist nicht einzusehen, weshalb gerade Mitgefühl und Solidarität so überragende Güter sein sollten – etwas, worauf die allermeisten theistischen Ethiken geradezu fixiert sind.
Eine Welt mit weniger Leid, Mitgefühl und Solidarität mag in gewisser Hinsicht ärmer sein. Aber dafür könnte es beispielsweise ungleich mehr wissenschaftliche Neugierde geben. Wo bleibt die kontemplative Entfaltung des intellektuellen und künstlerischen Lebens aller im Kampf gegen das Negative in der Welt? Nochmals: So, wie die Welt nun einmal beschaffen ist, wäre es unsere Pflicht, anderen in ihrer Not beizustehen. Aber die Tatsache, dass so viele einen Beistand benötigen, stellt Gottes Güte in höchstem Maße in Frage.
Der erste Versuch, die Güte Gottes zu rechtfertigen, gelingt also nicht. Es gibt viel zu viel und viel zu intensives Leid, damit daraus stets angebliche Güter wie Mitleid und Barmherzigkeit resultieren würden; vielmehr entstehen aufgrund des vorhandenen Leids häufig neue Übel. Damit ist aber diese Theodizee, der zufolge alles Leid der Charakterbildung diene und somit gerechtfertigt sei und Gottes Güte offenbare, misslungen.
3. Gottes Güte ist eine andere als die menschliche
Bei dieser Theodizee wird behauptet, dass Gott zwar das summum bonum, aber seine Güte nicht die unsere sei. Und nicht nur Gottes Güte ist mit menschlichen Kategorien nicht zu begreifen, sondern auch seine Ratschlüsse sind oft unerforschlich -- und seine Wege unergründlich.
Was ist nun von diesem Versuch, die Güte Gottes zu rechtfertigen, zu halten? Zu seiner Begründung wird immer wieder betont – und dies natürlich zu Recht –, dass wir nur einen Teil des Universums kennen. Aus dieser Beobachtung wird dann gefolgert, dass wir – sollten wir alles wissen – dieses als >sehr gut< erfassen könnten. >Manches, das uns jetzt als schädlich oder als zweckwidrig erscheint, wird später einmal in seinem Nutzen erkannt werden.< Aber weil dem so ist, ist Gottes Güte gerechtfertigt.
Aber aus der Tatsache, dass wir nur einen Teil des Ganzen kennen, kann nicht geschlossen werden, dass alles in allem gut sei. Denn gerade der bekannte Teil könnte – verglichen mit dem Rest – noch relativ gut sein. Immerhin gilt für den uns zugänglichen Teil der Welt, dass menschliche Wesen nicht ewig leiden müssen und auch als allerletzten Ausweg die Möglichkeit haben, sich selbst zu töten, falls ihnen das Leben nur noch zur Last geworden ist.
Mit ähnlicher Logik wie traditionelle Theisten könnten Vertreter einer Dämonenreligion argumentieren, dass die Leiden der Welt ohnedies die Existenz eines bösen Wesens nahe legen und dass die positiven Dinge, die es in der Welt zweifellos auch gibt, uns nur deshalb als positiv erscheinen, weil uns der Gesamtzusammenhang verborgen ist. Verfügten wir über einen vollkommenen Überblick, so könnten wir problemlos erkennen, dass alles Positive ein notwendiges Mittel zu einem Übel sei: >Wenn euch einige Dinge als gut erscheinen, so seid unbesorgt. Im Lichte eines völligen Überblicks könntet ihr erkennen, dass diese letzten Endes schlecht sind und dass diese Welt die vollkommenste Verkörperung des Bösen ist. Manches, das euch jetzt als nützlich und zweckdienlich erscheint, wird einmal in seinem Schaden erkannt werden.<
Mit dem Hinweis auf die Begrenztheit des menschlichen Urteilsvermögens könnte also ebenso die Existenz eines allbösen Wesens gezeigt werden, woraus folgt, dass mit dieser Logik die Güte des Schöpfers nicht zu begründen ist.
Aber einmal abgesehen von dieser Schwierigkeit, bedeutet diese Theodizee den Missbrauch des Attributs >gut< und damit aller moralischen Werte.
Denn wenn jene Güte, die üblicherweise Gott in maximalem Ausmaß zugeschrieben wird, nicht einmal jene bescheidene Form der Güte, die man sinnvollerweise von Menschen erwarten kann, zu umfassen braucht, dann haben Theisten die Eigenschaften Gottes offenbar falsch und irreführend formuliert.
Eine >Güte<, die nicht die unsere ist, die also mit dem, was wir gewöhnlich darunter verstehen – etwa: >Eine Handlung ist auf jeden Fall moralisch hervorragend, wenn sie dem Wohlwollen entspringt und dem Gemeinwohl dient< – Wenn also eine >Güte< mit dem, was wir darunter verstehen, nichts zu tun hat, dann ist dies für uns ein leeres Wort. Wir sollten Gott überhaupt nicht >gütig< nennen, wenn er nach menschlichem Ermessen nicht gut ist, denn uns ist allein ein menschlicher Maßstab zugänglich.
Ebenso wenig sollte man die Ausdrücke >Gerechtigkeit< oder >Liebe< gebrauchen, wenn Gott nicht im üblichen Sinn gerecht ist oder seine Geschöpfe nicht im üblichen Sinn liebt. Wird ernsthaft gesagt, Gott sei gut, aber seine Güte sei nicht die unsere, so könnten wir auch behaupten, er sei purpurfarben mit gelben Flecken oder kreisförmig oder ganz Frau – vorausgesetzt nur, diese Begriffe würden nicht im üblichen, sondern in einem übertragenen Sinn verwendet.
Wenn Gottes Güte und damit auch seine Moral eine andere als die unsere ist, so kann er für unser Handeln keine Bedeutung mehr haben, da wir einen menschlichen Maßstab brauchen. Jemand, der nicht mehr im üblichen Sinn des Wortes an die Güte und Gerechtigkeit des Schöpfergottes glaubt, sondern in diesem Zusammenhang vom >Mysterium< oder >Geheimnis< Gottes spricht, akzeptiert ein Weltbild, das von der traditionellen Lehre zumindest in einem wesentlichen Punkt gänzlich abweicht.
Denn die Idee einer ausgleichenden Gerechtigkeit im Jenseits, also die Vorstellung einer künftigen Belohnung der hier ungerecht Behandelten und eine Bestrafung der hier ungerecht Handelnden, ist nur sinnvoll, wenn man die Existenz eines göttliches Wesens annimmt, dessen Güte und Gerechtigkeit auch die unsere ist. Denn ist Gottes Gerechtigkeit nicht in unserem Sinn zu verstehen, dann ist es durchaus möglich, dass die Guten im Jenseits bestraft und die Bösen belohnt werden (wie dies im Diesseits oftmals geschieht): keine ausgleichende Gerechtigkeit dort, sondern die gleiche Ungerechtigkeit wie hier.
Gerade die Konzeption einer ausgleichenden Gerechtigkeit ist etwas, das auch viele nicht-religiöse Menschen nicht unbeeindruckt lässt. Denn die Hoffnung, dass es den Verdammten dieser Erde – den tagtäglich etwa 20.000 verhungernden Kindern beispielsweise – wenigstens im Jenseits besser gehen möge, lässt kaum jemand gänzlich kalt. Gerade mitfühlende Menschen mögen hoffen, dass es bei diesem Unrecht nicht bleiben möge, dass das irdische Unrecht das letzte Wort nicht sei.
Das sittliche Gefühl nimmt Anstoß an der Ungerechtigkeit des Weltlaufs. Wir leben in einer Welt, in der viele Unschuldige leiden, in der Menschen wie Sokrates hingerichtet, Galilei zum Schweigen gebracht und Bruno verbrannt werden. Tugend, die nicht schweigt, wandert im Diesseits oft in den Kerker und wanderte häufig genug auf den Scheiterhaufen. Aber, so wird von Theisten nun versichert, der Allmächtige lasse zwar die irdische Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen, aber einmal werde er den Spreu vom Weizen trennen! Mögen Menschen auch die Rolle, die sie im Weltdrama spielen, oftmals als erdrückend empfinden, so wird es doch eine Erlösung geben. Am Ende aller Zeiten werden die Dissonanzen der diesseitigen Übel im herrlichsten jenseitigen Wohlklang sich auflösen!
Aber alles dies setzt die Existenz eines gütigen und gerechten Gottes voraus, und zwar – entgegen dieser Theodizee – >gütig< und >gerecht< in unserem Sinn. Aber die Annahme der Existenz eines solchen Gottes ist bloßes Wunschdenken, da die Welt keinen gütigen Lenker offenbart. Der Schluss von einer irdischen Welt mit den vielen Jammertälern auf ein himmlisches Schlaraffenland erinnert, wie Bertrand Russell in Warum ich kein Christ bin gezeigt hat, an Folgendes: Wir erhalten eine Kiste Orangen und entdecken, dass die erste Lage völlig verdorben ist. Wenn man mit nüchternem Verstand urteilt, so wird man schlussfolgern, dass wahrscheinlich die ganze Kiste, also auch die künftigen Lagen Orangen, verdorben ist. Hat man jedoch eine profunde theologische Ausbildung genossen, so ist man geneigt, anders zu schließen, nämlich so: Gerade weil die oberste Lage verdorben ist, werden die künftigen vorzüglich sein.
Wenn Gott tatsächlich gerecht ist, insbesondere im Jenseits gerecht sein wird, so wäre er es bereits im Diesseits. Denn ist der Allmächtige nun einmal ein gerechtes Wesen, dann kann er auf Erden nicht ungerecht sein. Weil es im Diesseits jedoch ungerecht zugeht, ist die Vorstellung eines gerechten Gottes und daher die einer ausgleichenden Gerechtigkeit unbegründet. Sollte Gott tatsächlich genügend Macht besitzen, um für immer den Triumph der Gerechtigkeit zu garantieren, so ist nicht einzusehen, weshalb er im Diesseits nicht verschiedenste Übel eliminiert. Denn deren Beseitigung setzte viel weniger Macht voraus als jener künftige Zustand. Gerade weil Gott hier nicht eingreift, um größte Ungerechtigkeiten zu vermeiden, werden die einen noch dreister, die anderen noch verzweifelter – und die Hoffnung der dritten auf ein Jenseits noch größer.
Viel besser begründet als der Schluss vom leidvollen Diesseits auf ein leidloses Jenseits ist die Überlegung, dass eine ausgleichende Gerechtigkeit gerade deshalb erhofft wird, weil das Diesseits keinen gütigen Gott offenbart. Wenn wir in ein Konzert gehen und erleben müssen, dass die Ouvertüre misslungen ist, so wird die Hoffnung steigen, dass wenigstens das Hauptstück gelingen möge. Aber diese Hoffnung wäre viel besser begründet, wenn das Orchester bereits die Ouvertüre problemlos gemeistert hätte. Für die Existenz einer jenseitigen Gerechtigkeit gibt es also evidente Wünsche, aber keine evidenten Gründe.
Solange nicht gezeigt wird, dass es einen gütigen und gerechten Gott gibt, bleibt die Hoffnung auf eine ausgleichende Gerechtigkeit unbegründet. Neben dieser religiösen Hoffnung gibt es aber auch diese, dass Menschen ihre Energien einmal nicht mehr in Jenseitsspekulationen verzehren, sondern in die Schaffung einer gerechteren und lebenswerteren Welt investieren mögen. Vielleicht werden Menschen dann aufhören, sich um ein künftiges Dasein Sorgen zu machen. Sie werden sich über ihr Leben nach dem Tod so sehr sorgen wie über ihr Leben vor der Geburt, nämlich gar nicht.
In einer gerechteren diesseitigen Welt werden Menschen sich auch nicht mehr mit >großer, übergroßer Schuld< geißeln und mit Inbrunst singen: »O Herr, was du erduldest, ist alles meine Last. Ich habe selbst verschuldet, was du getragen hast. Ich, Jesu, bin's, ich Armer, der Zorn verdienet hat.“ (aus dem Kirchenlied >O Haupt voll Blut und Wunden<). Diese Menschen haben aufgehört, sich vor solchen Götzen zu erniedrigen.
Der Hinweis auf Gottes unergründlichen Ratschluss ist somit für eine Theodizee, die eine Rechtfertigung eines Wesens sein soll, das >alle positiven Eigenschaften in höchstem Maße in sich vereint<, denkbar ungeeignet. Denn dieser Hinweis ist gerade das Eingeständnis, dass auf menschliche Weise Gottes Güte nicht gerechtfertigt werden kann, und damit auch die Hoffnung auf eine ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits bloßes Wunschdenken ist.
Offenbar wird bei dieser Theodizee aus der Not, nämlich Gottes Güte angesichts der Übel der Welt nicht rechtfertigen zu können, eine mehr als zweifelhafte Tugend gemacht. Zwar wird Gott weiterhin als gütig behauptet, aber seine Güte ist nun nicht mehr auf menschliche Weise zu begreifen. Ist jedoch Gottes Güte nicht die unsere, so wissen wir nicht, ob Gott gut oder schlecht ist, ob religiöse Menschen das vollkommenste Wesen oder den Satan verehren.
Gottes Macht wird immer auf menschliche Weise interpretiert: Während Menschen nur begrenzt imstande sind, das zu tun, was sie tun wollen, kann Gott alles tun, was er tun will. Gottes Ratschlüsse werden indes oft als unerforschlich bezeichnet – wohl deshalb, weil so viele Manifestationen seiner Güte in krassem Widerspruch zu all dem stehen, was wir jemals als gut bezeichnen würden.
Kann aber nicht gezeigt werden, dass Gott gut ist, dann ist es auch nicht tugendhaft zu behaupten, der Glaube an Gott sei das Fundament der Moral. Denn nur ein gütiger Gott kann eine Stütze für die Moral und ein Garant für Moralität sein; und nur wenn wir wissen, dass Gott auch tatsächlich gut und gerecht ist, könnte es moralisch sein, seinen Geboten zu gehorchen. Menschen zu einem Glauben zu motivieren, demzufolge der Schöpfer Himmels und der Erde vollkommen gut ist (obwohl so vieles dagegen spricht), ist eine Missachtung fundamentaler moralischer Intuitionen.
Ein Wesen zu verehren und den eigenen Willen aufzugeben, um sich >dem Willen dieses Wesens zu überantworten<, das wir nicht als gut erkennen und daher auch böse sein könnte, bedeutet in moralisch unverantwortlicher Weise zu handeln; es heißt, unsere Autonomie für etwas aufzugeben, von dem wir wissen, dass es zu unmoralischen Handlungen fähig sein könnte. Wir müssen zumindest wissen, dass Gott gut ist, ehe wir behaupten können, dass es gut sei, seinen angeblichen Befehlen zu gehorchen.
Halten Theisten trotz dieser Einwände weiterhin daran fest, dass dann, wenn über Gott geredet wird, übliche Eigenschaften >in einem übertragenen Sinn< verwendet werden, so wird die Gottesvorstellung völlig willkürlich. Denn nun können wir mit gleichem Recht sagen: Gott ist böse, aber seine Bösartigkeit ist nicht die unsere, Gott ist ein Sadist, aber sein Sadismus ist nicht der unsere, etc. Einem jeden Unsinn wäre damit Tür und Tor geöffnet. Wenn Gott nicht in unserem Sinn gut ist, dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen ihm und dem fürchterlichsten Tyrannen, der ja auch von sich behaupten könnte, sein moralisches Empfinden sei zwar gut, aber mit menschlichen Kategorien nicht zu erfassen.
Aber trotz aller Winkelzüge von theologischer Seite gilt: Auch unendliche Güte bleibt immer noch Güte, wie ja auch ein unendlich großer Raum immer noch ein Raum, und ein vollkommenes Dreieck immer noch ein Dreieck ist. Der Unterschied zwischen göttlicher und menschlicher Güte kann also kein qualitativer, sondern bloß ein quantitativer sein.
Nähme man wirklich ernst, dass Gottes Güte nicht die unsere sei, so bedeutete dies, was Skeptiker allerdings begrüßen könnten, das Ende der Theologie -- sofern man darunter die begründete Lehre vom Wirken und von den Eigenschaften Gottes versteht. Denn sind nun einmal Gottes Wege nicht die unseren, dann sollte man aufhören, so zu tun, als könnten sie doch noch erkannt oder gedeutet werden ... und beharrlich schweigen.
Aber diese Konsequenz ist nicht wirklich zu befürchten. Denn wenn gerade keine Skeptiker in der Nähe sind – sondern bloß unwissende Kinder beispielsweise –, dann wird blumig von der Güte Gottes erzählt, von der Erschaffung der Welt aus dem Nichts, vom göttlichen Geist, der über den Wassern schwebte, vom gütigen Gott, der die Menschen aus Lehm schuf und in ein Paradies setzte, von den ungehorsamen ersten Menschen, die der List eines anderen von Gott geschaffenen Wesens auf den Leim gegangen sind und deshalb vom Gerechten aus dem Paradies vertrieben und in ein leidvolles Dasein gestoßen wurden, vom gütigen Vater, der sich ihrer jedoch erbarmte und, um sich mit ihnen zu versöhnen, seinen einzigen Sohn foltern und kreuzigen ließ, der zwar zum Himmel aufgefahren, aber dennoch allgegenwärtig bleibt und – wie eine vollkommene Überwachungskamera – nun auch über allen Bettdecken schwebt, der hilfreich und gut ist, wenn man nur fest daran glaubt, der sich in ein Stückchen Teig einnistet, wenn katholische Priester einige geheimnisvolle Handlungen vollziehen, den man dann, den Schöpfer Himmels und der Erde, am Gaumen schmecken kann, aber keinesfalls beißen darf, der uns lieb hat, aber auch einiges gar garstig finden tut – etwa wenn man unter der Bettdecke ein Buch liest – und den man, der so viel für uns getan hat, doch keinesfalls enttäuschen will.
In allen diesen Geschichten wird angenommen, dass Gottes Güte und Weisheit durchaus mit menschlichen Begriffen nachvollziehbar sei – und wird die Theodizee, der zufolge Gottes Güte und seine Wege nicht die unseren wären, nicht sehr ernst genommen.
4. Fazit
Die hier diskutierten Argumente zur Lösung des Theodizee-Problems vermögen nicht zu überzeugen. Sowohl der Versuch, alles Leid mit dem Hinweis auf menschliche Charakterbildung, als auch der Versuch, Güte und Gerechtigkeit in fundamentaler Art umzudeuten, misslingen. Auf diese Weise kann Gottes Güte offensichtlich nicht gerechtfertigt werden. An anderer Stelle habe ich auch alle anderen Rechtfertigungsversuche diskutiert (Gottes Güte und die Übel der Welt. Tübingen 1992), aber auch hier war das Ergebnis rein negativ: Es kann nicht gezeigt werden, dass angesichts der Leiden der Welt ein gütiger und gerechter Gott existiert. Wenn man aber gar nicht weiß, ob die angebliche moralische Autorität überhaupt gütig ist, so ist es unmoralisch, seinen Willen tun zu wollen.
Aber scharfsinnige Theisten könnten trotz alledem noch immer versucht sein, das Ungetüm des Zweifels bei den Hörnern zu packen und folgendermaßen argumentieren: >Zugegeben, die einzelnen Argumente, die für die Güte Gottes sprechen sollen, sind nicht stichhaltig. Aber in Summe machen sie die Annahme der Existenz eines gütigen Gottes zumindest wahrscheinlicher als das Gegenteil.< Aber wenn man mit einem löchrigen Eimer kein Wasser transportieren kann, dann kann man es auch mit 20 löchrigen Eimern nicht.
Auch der Hinweis, dass der Glauben an ein gütiges Höchstes Wesen doch so weit verbreitet sei, ist für Skeptiker nicht wirklich hilfreich. Zwar dürfte etwa die Hälfte der Menschheit tatsächlich in Ländern leben, deren Kultur von einem Monotheismus dieser Art zumindest mitgeprägt ist. Aber die Wahrheit einer Behauptung lässt sich nicht an deren Verbreitung ablesen. So waren einmal wohl alle Menschen der Meinung, dass die Erde eine Scheibe sei – und doch war dieser Glaube falsch.
Und schließlich macht auch der Hinweis auf sein Alter einen Aberglauben nicht wahr. Zwar ist auch hier beeindruckend, wie das Gottesbild kleiner Sekten, die in der Nähe eines Sees bzw. der Wüste lebten, sich viele Jahrhunderte lang über große Teile der Welt ausbreiten konnte. Aber das Alter macht einen Irrtum noch nicht wahr. Denn dann wäre – was Christen und Muslime allerdings nicht sehr goutieren dürften – das Judentum wahrer als die beiden anderen >abrahamitischen< Religionen … und der Götzendienst wahrer als das Judentum.
Eben weil keine Argumente von der Güte und Gerechtigkeit Gottes überzeugen, greifen religiöse Menschen als letzten Ausweg oft zum reinen Irrationalismus, zum blinden Sprung in den reinen Glauben nämlich. Denn sie fordern von sich und anderen, Gott einfach zu vertrauen, >weil wir seine Kinder seien und der Vater eben mehr als seine Kinder weiß<. Aber auch dieser Vorschlag bedeutet eine Vergewaltigung unserer innersten moralischen Intuitionen. Denn ein Kind bezieht sein Vertrauen aus den Handlungen seiner Eltern (hier: seines Vaters) und wird nur dann einsehen, dass es dem Vater vertrauen kann, wenn es eine Fülle von Beispielen kennt, dass es ihm zu Recht vertrauen konnte. Aber die Welt, wie sie sich uns darbietet, weist eine Menge ungerechtfertigten Leids auf, weshalb es ja auch die Theodizee-Frage gibt. Solange diese unbeantwortet bleibt, existieren keine hinreichend guten Gründe, Gott zu vertrauen.
Dass es mit dem Vertrauen auf Gott angesichts der Übel der Welt in Wirklichkeit gar nicht so weit her ist, wissen natürlich auch jene, die sich als >Stellvertreter Gottes auf Erden< unter großem Applaus im Papamobil, im kugelsicheren gläsernen Sarg, durch die Lande kutschieren lassen. Dennoch bekommen sie kein schlechtes Gewissen, wenn sie vom Kirchenvolk fordern, >einfach Gott zu vertrauen< -- und selbst mit schlechtem Beispiel vorangehen. So wenig Vertrauen in die Güte und Weisheit des Allmächtigen?
Gerhard Streminger hat im letzten Jahr ECCE TERRA veröffentlicht, ein Buch, das von der englischen Gartenkunst und den aufgeklärten Ideen, die dieser zugrunde liegen, handelt. Streminger ist u.a. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Giordano Bruno Stiftung.