Zur Demokratie- und Politikverdrossenheit

(hpd) Der Politikwissenschaftler Serge Embacher betont in seinem Buch „Demokratie! Nein danke? Demokratieverdruss in Deutschland“ auf Basis einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass die steigende Demokratiedistanz mit einer wachsenden Enttäuschung über die Erosion von sozialstaatlichen Grundprinzipien in der praktischen Politik verbunden sei.

 

Vertraut man den Ergebnissen eine Umfrage, so ist das Vertrauen in die Demokratie von nicht wenigen Deutschen erschüttet: 37 Prozent beurteilen sie als „weniger gut“ oder „schlecht“, 22 Prozent halten die Gesellschaftsordnung nicht für verteidigenswert, und 47 Prozent könnten sich vorstellen, nicht zu den nächsten Bundestagswahlen zu gehen. Doch wie kommt es zu dieser Demokratie- und Politikverdrossenheit, lässt sich doch auch das Paradox von steigendem Politikinteresse einerseits und sinkender Wahlbeteiligung andererseits ausmachen? Dieser Frage geht der Politikwissenschaftler Serge Embacher auf Basis der Auswertung einer repräsentativen Umfrage nach, welche im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt wurde und nach den Ursachen für die skizzierte Entwicklung fragen will. Der Autor geht hierbei davon aus, dass die Verweise auf die Frustration der persönlich Benachteiligten als Antwort zu kurz greifen und vielmehr die grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen ins Zentrum der Analyse gehörten.

In seinem Buch „Demokratie! Nein danke? Demokratieverdruss in Deutschland“ präsentiert er zunächst einige Daten der Befragung, die zwischen Januar und März 2008 bei knapp über 2.500 Bürgern durchgeführt wurde. Bei der Analyse geht Embacher davon aus, „dass das Vertrauen in die Demokratie von sozialen Voraussetzungen abhängt, die viele Menschen als derzeit nicht gegeben ansehen“ (S. 15). Anhand von vergleichenden Betrachtungen zu den Daten über die Einstellung der Demokratieverdrossenheit und der sozialen Situation der so Eingestellten zeigt sich für den Autor ein klarer Zusammenhang: „Vor allem bei Menschen aus unteren sozialen Schichten mit schwieriger materieller Situation greift eine grundlegende Skepsis gegenüber dem Aufstiegsversprechen der freiheitlichen Gesellschaft um sich“. Und weiter heißt es: „Dieser in Deutschland sehr tief verwurzelte Glaube an den Zusammenhang von persönlicher Leistung und materiellem bzw. sozialem Status scheint in relevanten Teilen der Bevölkerung erschüttert zu sein“ (S. 42).

Angesichts der hohen Wertschätzung für solidarische Werte, die mit dem Stichwort „soziale Gerechtigkeit“ verbunden sind, würden Sozialstaatsreformen in Richtung eines desintegrierenden Besitzindividualismus zunehmend negativ mit der Demokratie verbunden. Angesichts dieser Erkenntnisse plädiert der Autor für zwei Lösungsstrategien: „Demokratische Politik muss wieder viel stärker an die Vorstellung von Demokratie als soziale Demokratie herangeführt werden ...“ Und: „Der Wert der demokratischen Teilhabe muss viel stärker betont werden als bislang“ (S. 72). Dementsprechend solle sich das Demokratieverständnis weder am klassischen liberalen noch am klassischen republikanischen Modell orientieren. Statt dessen plädiert Embacher für eine deliberative Variante der Demokratie, die auf diejenigen Bedingungen für den politischen Prozess setzt, welche vernünftige Resultate erwarten lassen. So könne „Demokratie als Herrschaftsform der kollektiven Selbstbestimmung“ (S. 129) am besten verteidigt werden.

Der Autor legt mit seinem schmalen Band eine beachtenswerte Studie zum Thema Demokratieverdrossenheit vor, welche eine vereinfachte Deutung mit einer pauschalen Schuldzuweisung an die Frustrierten und Reformopfer von sich weist. Vielmehr geht die Analyse dem Zusammenhang von gesellschaftlichen Werten, sozialer Erfahrung und politischer Deutungsverarbeitung nach. Dabei erinnert Embacher auch an die sozialstaatliche Komponente des demokratischen Selbstverständnisses: „Wenn das Freiheitsversprechen nicht mehr glaubwürdig ist, weil die Gesellschaft mitsamt ihren ökonomischen ‚Spielregeln’ als ungerecht empfunden wird, gerät auch das Vertrauen in die politische Verfasstheit des Gemeinwesens ins Wanken“ (S. 43). Kritikwürdig an seiner Deutung ist zum einen, dass die sozial Benachteiligten lediglich als Objekte vorkommen, und zum anderen, dass sich aus dem beschriebenen Sein nicht zwingend das gewünschte Sollen ergibt. Gleichwohl verdient die Studie aufgrund des thematisierten Kontextes in hohem Maße Aufmerksamkeit.

Armin Pfahl-Traughber

 

Serge Embacher, Demokratie! Nein danke? Demokratieverdruss in Deutschland. Die neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2009 (J. H. W. Dietz-Verlag), 135 S., 12,80 €