Ein neues Handbuch zum Thema

"Was ist Antisemitismus?"

"Was ist Antisemitismus? Begriffe und Definitionen von Judenfeindschaft", so ist ein neues Handbuch zum Thema überschrieben. Autoren sind bekannte Antisemitismusforscher, häufig aus dem Kontext des "Zentrums für Antisemitismusforschung". Aufgrund der Breite wie Kleinteiligkeit ist ein nützliches Nachschlagewerk entstanden. Einige Detailkritik zu bestimmten Inhalten darf aber auch vorgetragen werden.

"Was ist Antisemitismus?" Antworten wurden in der Forschung auf diese Frage in vielfältigstem Sinne geliefert. Dabei können sowohl Interessierte wie Kenner schnell den Überblick verlieren. Umso erfreulicher ist daher das Erscheinen einer neuen Monographie. Es handelt sich um eine Art vorläufige Bilanz, die auf den Antisemitismus auf unterschiedlichen Ebenen bezogen ist: "Was ist Antisemitismus? Begriffe und Definitionen von Judenfeindschaft". Die Autoren und Herausgeber entstammen meist, aber nicht nur dem Zentrum für Antisemitismusforschung. Sie wollen damit ein Handbuch zu Positionen und Problemfeldern vorlegen. Dabei wird gleich zu Beginn eine fehlende Einheitlichkeit eingeräumt, gibt es doch bezogen auf die jeweiligen Auffassungen entsprechende Vielfalt. Gleichwohl musste eine gewisse Angleichung vorgenommen werden, was wohl für die dafür Verantwortlichen nicht so leicht war. Aber darüber schweigt sich die Einleitung aus, was mehr als nur Nachvollziehbarkeit beanspruchen kann.

Cover

Insgesamt gliedert sich das Handbuch in vier große Kapitel, jeweils bestehend aus mitunter nur fünf bis acht Seiten langen Unterkapiteln. Die kleinteilige Gliederung macht daraus ein nützliches Nachschlagewerk: Zunächst geht es um Grundbegriffe, wozu auch "Antisemitismus" als allgemeiner Terminus zählt. Dem schließen sich Ausführungen zu "Antijudaismus", "Moderner Antisemitismus", "Neuer Antisemitismus", aber auch "Muslimischer/arabischer/islamisierter/islamistischer Antisemitismus" oder "Postkolonialer Antisemitismus" an. Dabei wurden erkennbar die Bezeichnungen aus den Debatten gewählt, vielleicht wäre aber eine identische Ebene für die jeweilige Unterscheidung besser gewesen. Gemeint ist eine Ausdifferenzierung nach Ideologieformen, also etwa nach nationalistischer, religiöser oder sozioökonomischer Prägung. So kommt es in der Auflistung dazu, dass manche Antisemitismusformen nicht ausdrücklich thematisiert werden, etwa die kulturelle, rassistische oder verschwörungsideologische Variante.

Auch dürfen kritische Anmerkungen zu zweien der dortigen Kapitel vorgetragen werden: "Muslimischer/arabischer/islamisierter/islamistischer Antisemitismus" kommt lediglich auf vier Seiten vor. Das Ausmaß der Dimensionen, welche die empirische Sozialforschung überall auf der Welt veranschaulicht, ist aber kein gesondertes Thema. Dafür warnt man bezogen auf "muslimischer Antisemitismus" als Formulierung davor, Judenfeindschaft unterschiedlichen Menschen zuzuschreiben. Einen solchen Automatismus in der Bewertung muss es aber gar nicht geben, denn auch "christlicher Antisemitismus" oder "linker Antisemitismus" unterstellen Christen und Linken nicht pauschal Judenfeindschaft. Ähnliches gilt für die Anführungszeichen bei "Postkolonialer Antisemitismus", denn Antisemitismus ist durchaus manchen postkolonialen Diskursen eigen, wenngleich das nicht für die ganze gemeinte sozialwissenschaftliche Richtung gilt. Dies würden aber auch nicht "christlicher Antisemitismus" oder "linker Antisemitismus" umgekehrt nahelegen.

Fern von solcher Detailkritik, die aber gegenüber dem Band erlaubt sein muss, finden sich darin in den folgenden Kapiteln wichtige Problemfeldbeschreibungen. Zunächst beziehen sie sich auf Arbeitsdefinitionen zum Antisemitismus, Antisemitismus und Rassismus, Antisemitismus als Element von Autoritarismus oder Einstellungsforschungen zur Judenfeindschaft. Danach werden die Auffassungen und Deutungen bekannter Forscher und Intellektueller gesondert thematisiert, sei es Hannah Arendt oder Zygmunt Bauman, sei es Klaus Holz oder Astrid Messerschmidt, sei es Helen Fein oder Shulamit Volkov. Der Beitrag zu Judith Butler hätte angesichts ihrer jüngsten Kommentare indessen kritischer ausfallen können. Und dann geht es abschließend noch um die bei Begriffsbildung und Definition aufkommenden Probleme, etwa bezogen auf Bezeichnungspolitiken, Sprachverwirrung oder Zurechnungsfragen. Bei allen kritischen Anmerkungen zu Einzelfragen lässt sich aber sagen, dass hier ein hilfreiches Handbuch zum Thema entstanden ist.

Peter Ullrich u.a. (Hrsg.), Was ist Antisemitismus? Begriffe und Definitionen von Judenfeindschaft, Göttingen 2024 (Wallstein Verlag), 315 S., 24,00 Euro

Unterstützen Sie uns bei Steady!