Religion: Die neuesten Erkenntnisse (3)

Aus dem Unrecht erwuchs der Glaube

„In unserer Ableitung haben wir die Enstehung der Religionen an die Neolithische Revolution geknüpft; sie wären also höchsten[s] 10 000 Jahre alt“ (S. 179), schreiben Thomas Junker und Sabine Paul in ihrem Buch Der Darwin Code. Animismus und Magie, die älter sind als Religion, sehen sie dabei als eigenständige Phänomene. Dieser Interpretation stimme ich zu und möchte ergänzend auf einen Artikel von Pascal Boyer hinweisen, der argumentiert, dass Höhlenmalereien keineswegs einen religiösen Hintergrund hatten, sondern überwiegend das Geschmiere sind von pupertierenden Steinzeitjungs, vergleichbar mit den Verzierungen öffentlicher Toiletten aus unserer Zeit.

Laut der Interpretation von Junker und Paul war Religion ursprünglich ein Mittel, mit dem Könige ihre Macht legitimierten, so paraphrasieren sie „Religion“ an einer Stelle sogar mit der „Unterwerfung unter die Interessen der Herrschenden“ (S. 185).

Zweifellos haben Könige ihre Macht auch und vor allem mit Hilfe der Priesterklasse legitimiert und sich beizeiten selbst zu Göttern oder Gottgesandten erklärt. Das konnte jedoch nur funktionieren, weil der Glaube an Gott bereits existierte. Religion ist nicht in erster Linie Priestertrug – wobei sie das auch ist. Doch in ihrem innersten Wesen ist Religion Opium des Volks, nicht Opium für das Volk. Dies legen neueste Forschungserkenntnisse zumindest nahe.

Die Hauptursache gesellschaftlicher Krankheiten

In ihrer Studie von 2004, Sacred and Secular, argumentieren die Forscher Pippa Norris und Ronald Inglehart erstmals für eine neue Variante der Säkularisations-Hypothese: Ihnen zufolge ist es nicht die technologische Entwicklung oder das Bruttoinlandsprodukt als solche, die zur Abnahme der Religion führen, sondern vor allem die persönliche Sicherheit, die eng gekoppelt ist an eine gerechte Einkommensverteilung.

Folgende Gesellschaftskrankheiten korrelieren stark mit ungerechter Einkommensverteilung: Kindersterblichkeit, geringe Lebenserwartung, Geschlechtskrankheiten, Teenagergeburten, Gewaltverbrechen, Korruption, psychische Störungen und Verluste in der Biodiversität. Bei allen hier verlinkten Studien wurde jeweils versucht, andere Faktoren auszuschließen und die Daten konkret auf einen Zusammenhang mit der Verteilungsgerechtigkeit zu prüfen. Wir können auf jeden Fall feststellen, dass eine zu große Kluft zwischen Arm und Reich eine Katastrophe ist für die Gesundheit einer Gesellschaft. Einkommensungerechtigkeit führt zu gesellschaftlichen Krankheiten, die wiederum die persönliche Unsicherheit erhöhen und über diesen Umweg die Religiosität ansteigen lassen.

Ein Heilmittel für alte Wunden

Das bedeutet, dass Einkommensgerechtigkeit das zentrale Anliegen jeder politischen Partei werden muss. Damit ist allerdings nicht Einkommensgleichheit gemeint. Ist das Einkommen unabhhängig vom Arbeitsaufwand, dann arbeitet niemand mehr, oder nur noch wenig, und die Wirtschaft bricht zusammen. Wenn planwirtschaftliche Experimente eines gezeigt haben, dann das. Auch haben unsere Vorfahren über Jahrmillionen hinweg keineswegs auf diese Art und Weise gelebt. Es gab schon immer gewisse Unterschiede in Besitz und Einkommen, nur keine derart gewaltigen wie heute.

Das Hauptargument gegen eine gerechte Einkommensverteilung lautet, dass Reiche ohne diese großen Unterschiede entweder keinen Antrieb mehr hätten, zu arbeiten, oder dass sie mit ihren Unternehmen ins Ausland abwandern würden, um dort einen höheren Gewinn zu erzielen. Die negativen Effekte für die Wirtschaft im Falle von mehr Verteilungsgerechtigkeit wurden allerdings in einer Studie vom Dezember 2008 von dem Wirtschaftswissenschaftler Lonnie K. Stevens widerlegt (siehe dazu auch Telepolis). Er untersuchte anhand von vier verschiedenen Maßstäben der Einkommensverteilung deren Einfluss auf das Wirtschaftswachstum. Ergebnis: Bei zwei der Verteilungskennzahlen ergab sich keine Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum bei gerechterer oder ungerechterer Einkommensverteilung. Bei den zwei verbliebenen Maßstäben sank das Wirtschaftswachstum bei fallender Verteilungsgerechtigkeit.