(hpd) Der Journalist Alan Posener formuliert in seinem Buch „Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft“ eine Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Positionen des Papstes, die sich gegen die kulturelle Moderne und die offene Gesellschaft richteten.
Bei aller Einseitigkeit und Polemik vermag der Autor eine Reihe von bedenklichen Auffassungen kritisch aufzuarbeiten und dabei etwa die Diffamierung des Pluralismus und die Umdeutung der Vernunft als besonders bedenkliche Beispiele zu benennen.
Mit ihrer Schlagzeile „Wir sind Papst“ scheint die „Bild“-Zeitung nach der Ernennung Joseph Ratzingers zum Papst auch eine andere Wahrnehmung von Person und Wirken von Benedikt XVI. eingeleitet zu haben. Während der frühere Präfekt der Glaubenskongregation in Medien und Öffentlichkeit mitunter noch kritisch kommentiert wurde, ließ sich ähnliches nach seinem Karrieresprung an die Spitze des Vatikans nur noch selten ausmachen. Damit blieben auch eine Reihe von bedenklichen Einschätzungen und Handlungen - mit Ausnahme des Umgangs mit den Pius-Brüdern - weitgehend kritikfrei. Dieser dominierenden affirmativen Wahrnehmung will der Journalist Alan Posener, Korrespondent für Politik und Gesellschaft für die „Welt“-Gruppe, mit seinem Buch „Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft“ eine Streitschrift entgegen setzten. Darin argumentiert der Autor nicht gegen die Person oder die Theologie von Ratzinger. Er fragt nach den gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen seiner Positionen.
Poseners Buch gliedert sich in acht Kapitel: Darin geht es um Benedikts Kampagne gegen die Demokratie und seine Umdeutung der Vernunft. Dem folgend thematisiert der Autor das Verhältnis des Papstes zu den Juden und dessen Einschätzung des Holocaust. Die Auffassungen zur Sexualität in Gesellschaft und Kirche und zu Ergebnissen der naturwissenschaftlichen Forschung stehen danach im Zentrum des Interesses. Und schließlich erörtert Posener Benedikts Verhältnis zum fundamentalistischen Islam und zur von ihm so geschätzten „Integrierten Gemeinde“. Erst im Schlusswort steht auch die Person als solche im Zentrum des Interesses, wobei das Fehlen von Kampfeslust und Mut und gleichzeitige Vorhandensein von Kleinlichkeit und Rachsucht als unangenehme Eigenschaften geschildert werden. Darüber hinaus habe er sich auf seinem Karriereweg von einem Vertreter einer Kirche von unten zu einem Vertreter einer Kirche von oben gewandelt und dabei seine Seele an die Macht in der Kirchenhierarchie verkauft.
Posener geht es aber nicht um eine Kritik an der Person Ratzinger, sondern an den Positionen. „Die benedettinische Wende bedeutet: Abkehr von der Moderne, Rollback der Aufklärung, Einschränkung der Demokratie, Abschied vom wissenschaftlichen Denken, Schluss mit der Emanzipation der Frau und der sexuellen Selbstbestimmung aller Menschen. Sie bedeutet eine massive Umdeutung der Geschichte und eine Umwertung aller Werte. Sie hat letzten Endes mit dem fundamentalistischen Islam mehr gemeinsam als mit der säklaren Gesellschaft Europas. Benedikts Kreuzzug bedeutet also die Verneinung von allem, was den Westen bei aller Unzulänglichkeit zur liebens- und lebenswertesten Gesellschaft macht, die unser Planet bislang gekannt hat“ (S. 17). Denn: „Es geht Benedikt XVI. nicht nur darum, die französische Revolution rückgängig zu machen; es geht ihm darum, die Revolution der Moderne ungeschehen zu machen. Diesen Kampf nenne ich Benedikts Kreuzzug.“ Ihn zu kritisieren bedeute, „sich der geistigen Grundlagen des modernen Europa zu versichern“ (S. 8).
Posener räumt selbst ein, sein Buch sei „erklärtermaßen eine Streitschrift“ und das gezeichnete Bild sei „einseitig“ (S. 14). Er neigt auch zu unnötigen Polemiken wie „Am Wesen des deutschen Papstes soll die Welt genesen“ (S. 23) oder zu unangemessenen Vergleichen mit der „nationalsozialistischen Kritik an den Juden“ (S. 218). Derartige notwendige Einwände können und sollen aber nicht die Berechtigung vieler Einschätzungen negieren. Dies gilt insbesondere für zwei so zentrale Werte offener Gesellschaften wie den Pluralismus und die Vernunft, welche von Ratzinger diffamiert oder umgedeutet werden. Posener hätte sogar noch überzeugender deutlich machen können, dass das Schlagwort von einer „Diktatur des Relativismus“ keineswegs gegen die Beliebigkeit, sondern letztlich gegen die Toleranz gerichtet ist. Ratzinger kennt die intellektuellen Diskurse, und ihm muss sehr wohl der Unterschied von Relativismus und Toleranz bekannt sein. In der Tat wäre Ratzingers Alternative dazu die „Diktatur der Wahrheit“ (S. 23) in seinem Sinne.
Gegenüber der Vernunft nutzt der Papst eine andere Methode: Diese wird bereits in Publikationen weit vor dem Schritt von Ratzinger zu Benedikt im Diskurs der säkularen Aufklärung entwunden und der katholischen Kirche zugeordnet. Man kann dies hier angesichts der historischen Frontstellung dieser Institution gegen die Vernunft zunächst mit Verblüffung zur Kenntnis nehmen. Noch mehr Erstaunen löst dann die erkenntnisfördernde Wirkung dieser Vernunft aus. Sie erklärt immer das für vernünftig, was den Positionen der katholischen Kirche entspringt. Derartige Anmaßungen kritisierte Paolo Flores d’Arcais in seinem Streitgespräch mit Joseph Ratzinger, Jürgen Habermas ließ sie in seinem Disput mit ihm unkommentiert. Auf diese und andere bedenkliche Positionen des Papstes aufmerksam gemacht zu haben, ist ein beachtenswertes und reflexionswürdiges Verdienst von Posener. Er hätte es noch sachlicher machen können, er hat es aber wenigstens gemacht. Dadurch wird das Buch auch zu einem Beitrag zur Verteidigung der Moderne.
Armin Pfahl-Traughber
Alan Posener, Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft, Berlin 2009 (Ullstein-Verlag), 269 S., 18 €