Er nannte mich einen „Wolf im Schafspelz“

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Johannes Neumann / Fotos © Evelin Frerk

BERLIN/OBERKIRCH-BOTTENAU. (hpd) In Vorbereitung seines heutigen 80. Geburtstages haben Prof. Dr. Johannes Neumann und Evelin Frerk korrespondiert: über seine Jugend, die Eltern, sein Studium, die Vorbilder, seine Professorenzeit, über Ethik, Angst und Aktuelles.

Lieber Johannes, neulich in Mastershausen haben wir uns gesehen, aber nicht wirklich miteinander sprechen können. Du warst immer von anderen Besuchern und Gästen ‚gefragt’. Nicht, dass ich mich beschwere, keinesfalls, es hat mir Freude gemacht, dich, der die anderen meist um Kopfgröße überragt, umrundet zu sehen. Es gäbe so vieles von Dir zu erfahren und was ich immer schon fragen wollte fasse ich einfach einmal zusammen:

Hast Du in Deinem ehemals religiös geprägten Leben daran gedacht, ein hohes Amt innezuhaben, so wie es gekommen ist, und sollte es „an der Seite Gottes“ sein? Ich frage deshalb, weil dieser Platz und Aufstieg speziell Jungs vorbehalten ist. Ich dagegen wollte als Kind immer gerne Schuhverkäuferin werden. In den Schuhgeschäften roch es so gut nach Leder.

Als Kind habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht: ich lernte sehr früh, dass es unterschiedliche Formen des Lebens und des Glaubens gibt. Mein Vater stammte aus einer evangelischen Familie, meine Mutter kam aus einer kaschubisch-katholischen Familie. Ich bin also mit sehr unterschiedlichen Glaubensstilen aufgewachsen. Nach dem Krieg war ein Geschäftsfreund meines Vaters äußerst überrascht, als er hörte, mein Vater sei katholisch gewesen: er habe immer so "evangelisch“ gesprochen. Recht hatte er. Als meine Eltern sich damals im katholischen Rheinland zur Heirat entschlossen konvertierte mein Vater, denn darauf bestand die katholische Kirche bei den so genannten Misch-Ehen.

Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn, ein hohes kirchliches Amt erstreben zu wollen. Dazu kam, dass ich schon sehr früh, nämlich mit 15 Jahren, kriegsbedingt von meinen Eltern getrennt wurde. Nach dem Krieg betätigte ich mich ziemlich hauptamtlich in der Jugendarbeit. Bei den Pfadfindern brachte ich es bis zum Gaufeldmeister. Dieser Arbeit widmete ich meine ganze Kraft.

Und die Schulzeit? Du warst sicher ein guter Schüler oder gab es auch etwas, dass dir nicht so leicht von der Hand ging?

Für die Schule hatte ich unter diesen Umständen kaum Zeit und Lust. Ich fing erst in der Abiturklasse mit dem Lernen an. Dass ich dennoch das Abitur mit der Durchschnittsnote 2,3 geschafft habe, erscheint mir heute noch wie ein kleines Wunder. Die Schule habe ich gehasst und als notwendiges Übel verstanden. Die Arbeit mit jungen Menschen schien mir wichtiger als mathematische Formeln.

War Dein Hauptstudium zuerst im Bereich von Theologie und Philosophie angesiedelt, so hast Du auch andere Fakultäten besucht. Was hat Dich veranlasst bzw. begeistert?

Ich sah damals in der Theologie eine Möglichkeit mit jungen Menschen zu arbeiten. Weitergehende Überlegungen habe ich kaum angestellt. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München habe ich zum ersten Mal die freie Luft der Wissenschaft gekostet. Ich war sehr neugierig. Mich interessierte alles, angefangen von Archäologie bis zur Kunstgeschichte, über Medizin bis zur Biologie. Warum ich damals dann doch bei der Theologie geblieben bin, verstehe ich heute selbst kaum.

Es waren vor allem menschlich begeisternde Lehrer, die mich bei diesem Fach hielten. Wie Gottlieb Söhngen, der sich bewusst versprach, wenn er vom „Heiligen Aristoteles“ redete oder als Beispiel zu ihm: „Gestern hatte ich eine ganz merkwürdige Erscheinung, da habe ich doch ein paar weiß gekleidete Jünger der Kybele gesehen…“ Tatsächlich waren die Gebäude der LM Universität nach Fürstenried ausgelagert. Das Exerzitienhaus der Diözese war einzusehen und dort wurde die Mai-Andacht gefeiert. Oder Josef Schmidt, dem Neutestamentler in München, oder Alfons Deissler, dem damals jungen Alttestamentler in Freiburg, oder den Studentenpfarrer Dr. Becker.

Natürlich gab es auch das normale Mittelmaß an Professoren in München wie später in Freiburg, die einem das Studium verleiden konnten; aber man musste ja nicht in eine ihrer Vorlesungen gehen. Das war der große Unterschied zu heute, wo die Universitäten zu Paukanstalten verkommen sind.

 

Als mich dann der Kirchenrechtsprofessor während des Diplomexamens fragte, ob ich bei ihm promovieren wolle, lehnte ich zunächst ab und gab an, in neuerer Geschichte promovieren zu wollen. Das stimmte damals auch. Doch das immer neue Insistieren des Kirchenrechtsprofessors blieb schließlich nicht ohne Wirkung. Prognosen, wie: “Sie gehören in den Generalstab“, haben für einen jungen Menschen etwas sehr Verführerisches, und so begann ich mit dem Studium des Kirchenrechts und der Rechtswissenschaft. Die strenge Logik der Juristerei machte mir Spaß. Neben dem Studium gab ich 15 -18 Stunden in der Woche Unterricht an diversen Berufsschulen in München und so konnte ich meine Arbeit mit Jugendlichen fortsetzen.

An das Studium schließt sich erst einmal eine beeindruckende Bilderbuch-Karriere an. Welche Gedanken und Vorstellungen motivierten Dich?

Ob es eine Bilderbuchkarriere gewesen ist, weiß ich nicht; auf jeden Fall konnten wir damals noch ohne Zwang zeitlicher Befristung studieren. So habe ich auch noch als Assistent in fremden Gefilden „gewildert“, was mir für die akademische Karriere von großem Vorteil war, kannte ich doch viele Lehrer der Universitäten in München und Freiburg. Damals wurde die Basis für viele Kontakte gelegt, die mir später geholfen haben. Mir machte es schlicht Spaß, „zweckfrei“ zu arbeiten und zu denken.


Gab es Vorbilder?

Aus der Vielzahl beeindruckender Menschen will ich nur den Münchner Moraltheologen Richard Egenter und wieder den Neutestamentler Josef Schmid nennen. Dieser fragte mich eines Tages unvermittelt auf dem Gang vor seinem Institut, ob ich ihm kurz sagen könnte, was die Kirche sei. Ich versuchte ihm eine korrekte theologische Definition zu geben. Er sagte: „Quatsch! Die Kirche ist ein Brokatmantel über einem riesengroßen Misthaufen!“ Das Antimodernistenzeitalter war noch nicht lange vorbei und viele Wunden waren noch offen!

Und dann gab es in München zwei bedeutsame Kreise, die mich geprägt haben: einen sehr lebendigen Kreis katholischer Laien, die später Professor Schmaus als "ehemals Katholische Laien“ verunglimpfte, und die Oratorianer um Heinrich Kahlefeld und Philipp Dessauer. Viele hielten mich damals für einen Oratorianer. Was mich sehr kränkte, denn ich wollte unabhängig sein und meine Freiheit nicht für ein Linsen-Gemüse preisgeben.

Da schließt sich gleich meine nächste Frage an: Als Dekan der Fakultät und als Rektor der Universität von Tübingen, und damit Dienstvorgesetzter von Professor Josef Ratzinger, hast Du die Missio aus eigenem Entschluss heraus zurückgegeben?  Ist diese Entscheidung gereift – oder war der Gedanke eher plötzlich da und nahm seinen Lauf?

Meine Beziehung zu Herrn Ratzinger war sehr widersprüchlich: einerseits nahm ich ihn aus Kollegialität mit meinem Wagen zu unzähligen Konzerten und Veranstaltungen mit und andererseits war ich sein schärfster Widersacher. Deshalb nannte er mich einen „Wolf im Schafspelz“, weil ich damals im Winter einen Ledermantel mit einem Schafspelz trug. - Er war, als mein Nachfolger in Dekans-Amt, ein Despot. Als es in einem Streit wegen der Maßregelung eines Kollegen an der Pädagogischen Hochschule in Reutlingen darum ging, dass die Fakultät ihre Solidarität mit dem gemaßregelten Kollegen bekundete, kam Ratzinger zu spät in die Sitzung. Er kassierte den einmütigen Beschluss der Fakultät und sagte, es sei unanständig, gegen den eigenen Bischof so etwas zu unternehmen. Ich war der einzige, der sich laut gegen diese Selbstherrlichkeit verwahrte, packte meine Sachen zusammen und verließ den Raum, die Türe zuknallend. Das war sonst nicht mein Stil, auch nicht in heftigen Auseinandersetzungen. Seither haben sich unsere Wege sehr verschieden entwickelt.

Hans Küng hatte Ratzinger unbedingt nach Tübingen holen wollen und geglaubt, er fände in ihm einen soliden Verbündeten. Ich habe nie daran geglaubt und mich gegen eine Berufung Ratzingers nach Tübingen bis zum Schluss gewehrt. Die Kollegen jedoch glaubten, ihn in die Fakultätsdisziplin einbinden zu können. Das war auch Küngs verhängnisvoller Irrtum. Außerdem war es jedem klar, dass er bei nächster Gelegenheit nach Regensburg wechseln würde. Dort war sein Bruder Chef der Regensburger Domspatzen.

Mein Abschied von der Theologie war ein langer und quälender Prozess. Allerdings nicht, weil ich Höllenqualen fürchtete, sondern weil ich fürchtete, die Arbeit, die ich bislang getan hatte, zu diskreditieren.

Eigentlich glaubte ich an viele wesentliche Punkte des Christentums schon lange nicht mehr. Es durfte aber für katholisches Denken bezeichnend sein, dass ich in der obligaten Beichte vor der Diakonatsweihe dem Beichtvater meine Schwierigkeiten mit einigen Punkten des Glaubens bekannte. Daraufhin lobte er mich und sagte, solche Leute brauche die Kirche. Heute sehe ich die Frage etwas anders. Ich befand mich damals noch in der Unmündigkeit des Gläubigen. Immerhin mag so erklärlich sein, wieso es nur eines vergleichsweise kleinen Anlasses bedurfte, um meinen Entschluss, die Theologie zu verlassen, in die Tat umzusetzen.

Der sich gerne modern gebende Bischof Moser hatte ein dichtes Netz der Überwachung aufgebaut. Er glaubte auch mich benutzen zu können, um Küng zu „domestizieren“. Dagegen verwahrte ich mich ausdrücklich.

In meiner Vorlesung zum "Ordinationsrecht" behandelte ich auch die Frage, wie man aus dem geistlichen Stand wieder herauskommen kann. In der daran anschließenden heftigen Diskussion mit den Studierenden hielten diese mir vor, sie für etwas auszubildenden, was in seiner Konsequenz zutiefst unmoralisch sei. Dadurch wurde ein Denkprozess in mir vorangetrieben, der schon lange schwelte. Mir wurde klar, dass ich es nicht verantworten konnte, junge Menschen für einen Beruf auszubilden, hinter dem ich selber nicht voll und ganz stand. Zumal ich nach diesem Disput mit den Studierenden zum Bischof zitiert wurde und er mich im vorwurfsvollem Ton fragte, warum ich denn alles, was ich wüsste, den Studenten sagen würde. - Das war übrigens ein Vorwurf, den ich oft in meiner Professorenlaufbahn hören musste, es sei ja alles richtig, was ich sage, aber warum müsse ich das vor Laien oder den Studierenden sagen. - Dabei handelte es sich nicht um Glaubensfragen, sondern um Tatsachen, die auch nicht bestritten wurden.

Nachdem Ratzinger Tübingen bereits verlassen hatte, stellten wir fest, dass zwei Assistenten von ihm ein Pamphlet in der Zeitschrift "Neues Hochland“ veröffentlicht hatten, in dem sie es so darstellten, dass die Fakultät von zwei Kollegen, nämlich Josef Möller und mir, manipuliert worden sei. So schief diese Darstellung auch war, so enthielt sie doch Interna, die erkennen ließen, dass Ratzinger ihnen die Feder geführt hatte. Damit war der Beginn des Endes der ehemals so erfolgreichen theologischen Fakultät Tübingen eingeläutet: vier Kollegen wechselten in andere Fakultäten und ich verließ sie auch bald darauf.

Liebende Empfindungen im weitesten Sinne sind für jeden Menschen elementar und gerade für einen ‚Seelsorger’ unverzichtbar – denke ich jedenfalls. In diesem Zusammenhang die Frage, ist das Zölibat eine Sackgasse oder von bedeutender Wichtigkeit?

Ich bleibe bei dem ersten Aspekt der Frage: Ich hatte damals eine Assistentin, die mich einerseits heftig kritisierte und mir gleichzeitig immer wieder rote Rosen auf dem Schreibtisch stellte. Zu ihrem großen Kummer nahm ich diese Blumen überhaupt nicht wahr! Erst nach dieser Diskussion der Studierenden bemerkte ich dieses kleine aber deutliche Zeichen der Zuneigung. Jene Assistentin ist heute meine Frau. Manchmal sage ich heute zu ihr mit dem Vers aus einem Kirchenlied: "Ach, dass ich Dich so spät erkannte!“

Dann ging alles sehr schnell. Ich war der erste und bislang wohl der einzige Theologe, der von sich aus den kirchlichen Lehrauftrag zurückgegeben hat. Die Stelle einer Assistentin war zeitlich befristet und sie wurde dann ins Bischöfliche Ordinariat als Referentin für die Vorschulerziehung übernommen. Am Tag unserer Hochzeit jedoch erhielt sie die Kündigung. Ich dagegen hatte das große Glück, dass ich aufgrund meines Ansehens, das ich im Ministerium genoss, dank meiner Verbeamtung auf Lebenszeit in meinem Beruf weiter arbeiten konnte und mir sogar das Fachgebiet heraussuchen konnte, in dem ich weiter beschäftigt sein wollte. Die Kirche allerdings hätte mich gerne in Arbeitslosigkeit und Armut gestoßen.

Zum zweiten Teil der Frage: Ja. Das Zölibat ist eine Sackgasse. Jeder weiß darum, darf aber nicht darüber sprechen.


Warum ein Sprechverbot?

Weil es für das Zölibat keine Gründe gibt.

Wie fühlte es sich an, die Welt naturalistisch zu betrachten nachdem die Beschwernis der beruflichen Verquickung entfallen war? Ich frage das, weil mir scheint, Du bist einer der wenigen Menschen, der beide Seiten aus eigenem Erleben kennt.

In diesem Zusammenhang kann ich mich an eine Begebenheit erinnern. Es mag im Winter 1943 auf 44 gewesen sein, als meine Mutter kleine Medaillons an unsere Fenster hängte; auf meine verwunderte Nachfrage was das bedeute, gab sie mir zur Antwort das seien geweihte "agnus dei“-Medaillons; sie sollten unser Haus und unsere Wohnung behüten. Darauf fragte ich meine Mutter, ob sie wohl glaube, dass, wenn die ganze Stadt in Flammen steht, unsere Wohnung allein verschont bleiben würde. Meine Mutter schaute mich irritiert an; ich nehme an, sie hat dann für ihr missratenes Kind gebetet. Ich war damals 13 Jahre alt. - Ich hatte also schon vorher in meiner Familie, wie ich schon angedeutet habe, beide Seiten erlebt: inbrünstige Frömmigkeit und kühle Rationalität auf der anderen Seite. Nicht umsonst war mein Vater Naturwissenschaftler und Musiker in einer Person. Als begeisterter Ingenieur war es für ihn immer wieder schwer, naturwissenschaftliche Erkenntnisse und den theologischen Glauben zu vereinbaren. Als Kind habe ich mit großen Augen daneben gestanden.

Stellte die humanistisch-naturalistische Weltanschauung tatsächlich eine Zäsur da und wie äußert sich diese?

Die humanistisch-naturalistische Weltanschauung brachte ich also von Zuhause mit; sie hat sich in mir weiter entwickelt und gefestigt, mein Fortgang von der Theologie war in Wahrheit keine Zäsur, vielmehr eine Weiterentwicklung. Nur das Tote verändert sich nicht mehr!

Wie ist es mit der Ethik - speziell religiöse und auch einige politische Amtsinhaber vertreten die These, christliche Werte seien die eigentlichen. Mir erscheint diese Denkweise arrogant und sondert ohne Verständnis für individuelle Denkweisen einen großen Teil der Menschen auf dieser Erde aus. Was magst Du dazu speziell jungen Menschen mit auf den Weg geben?

Vor einigen Wochen hat der geist- und kenntnisreiche Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung zu diesem Thema ein gut verständliches und sachlich begründetes Buch verfasst, es trägt den Titel „Jenseits von Gut und Böse“. Darin setzt er sich mit dem Anspruch der Religiösen auseinander, nur sie könnten bestimmen, was gut und böse sei. Wenn man sieht, wie Teile unserer Welt in Blut und Tränen versinken, wie religiöse Ideologien miteinander bis aufs Messer streiten, da weiß man, dass die Frage nach gut oder böse eine schwierige ist, die aber ganz gewiss nicht von religiösen Ideologien beantwortet werden kann.

Bundeskanzlerin Merkel wurde auf der Pressekonferenz zur Regierungsbildung am 27. Oktober danach gefragt, warum sie Herrn Schäuble zum Finanzminister berufen habe, obwohl er sich in der Spendenaffäre im Jahr 2000 nicht an einhunderttausend Mark erinnern konnte. Ihre erste Antwort war plausibel, nämlich weil sie ihm vertraue. Und zum Thema nachgefragt verweigerte sie jeden weiteren Kommentar.
Dieses nur als Beispiel zu meiner Frage: Regen wir Menschen uns zu häufig über unwichtige Aktualitäten auf oder ist das Verhalten, dem Volk die Auskunft zu verweigern der Anfang vom Ende und damit sehr wohl beachtenswert?

Ich meine, wenn man auf drängende Fragen keine Antwort gibt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn unsere Antworten nicht ernst genommen oder gar nicht gehört werden. Das gilt für alle Bereiche der Politik wie des menschlichen Miteinanders.

Was ändert sich im Laufe eines langen Lebens? Welche Dinge beschäftigen Dich aktuell um Deinen Geburtstag herum? Bei unserem letzten Gespräch hattest Du gerade Deine Computer-Lehrerin verabschiedet ….

War ich mit 14 Jahren alleine aus Königsberg furchtlos mit einem der letzten Züge herausgefahren, währenddem meine Eltern drei Tage später für die gleiche Reise drei Tage brauchten, blieb die Angstlosigkeit bei mir. Ich war über 60 Jahre alt, als sich ein Gefühl von Angst einstellte. Es kam plötzlich im Auto beim Bergfahren. Angst war für mich dabei unvoraussehbar, denn dieses Fahren war bis dato mein Hobby. Aber ich musste meine Frau Ursula bitten, das Steuer zu übernehmen. Seither begleitet die Angst mich mal weniger, mal stärker. Es ist Angst, Krank zu werden, Hinzufallen, Schmerzen zu haben.

Zu meinem Geburtstag habe ich ein besonderes Geschenk von meiner Frau, meiner Familie und mir selbst bekommen: es ist ein Edelstahl-Geländer und führt entlang der Treppe von der Veranda in den Garten hinunter und damit zur Straße. Ich kann mich darauf stützen, ich bin wieder beweglich und damit glücklich. Siebenmal bin ich schon gegangen ….

 

Evelin Frerk, Berlin, Johannes Neumann, Oberkirch-Bottenau,
28. Oktober - 20. November 2009

Beispielbild
  Johannes Neumann inmitten von Mitgliedern des Beirates und Mitarbeitern der Giordano Bruno Stiftung