Kein Platz für Gott

Die Reaktion war bezeichnend. Diffamierung Darwins im gesamten englischen Sprachraum. Zu recht und auch sehr explizit fürchteten die Kirchenfürsten, Darwin würde das Weltbild zum Einsturz bringen, was den eigenen Machterhalt wesentlich schwieriger machte. Dass die Thesen des Forschers rasch wissenschaftliches Allgemeingut wurden, konnte die Kampagne nicht verhindern.
Dass Darwin ein Jahrzehnt später postulierte, Mensch und Affe hätten gemeinsame Vorfahren gehabt, war für den Autor ungleich gefährlicher. Hier versuchten Darwins Gegner, seine Autorität in weiten Kreisen der Bevölkerung zu erschüttern. Dass der Mensch nicht Gottes Ebenbild sei, wurde zu einer der großen narzisstischen Kränkungen der Menschheit, wie es Sigmund Freud später formulierte. Das rief Widerstand auf den Plan. Wie groß die Kränkung war, wie groß das Bedürfnis, alte, „gottgewollte“ Zustände wiederherzustellen, zeigte 1925 „Scopes' Monkey Trial“ in den USA. Der Lehrer John Scopes stand in Tennessee vor Gericht, nachdem er Darwins Evolutionstheorie gelehrt hatte. Ein Verstoß gegen den „Butler Act“, der verbot, an öffentlichen Schulen im Bundesstaat Lehren zu verbreiten, die der Schöpfungslehre widersprachen. Insbesondere zu lehren, „der Mensch stamme von einer niedrigeren Klasse von Tieren ab“. Ungeachtet der bis heute existierenden Bestrebungen christlicher Fundamentalisten in den USA, die Evolution aus den Schulen zu verbannen, das letzte große Rückzugsgefecht. Lächerlicher konnten sie sich in einer aufgeklärten Welt nicht machen. Eine Welt, die auch Darwins Verdienst war.

Metaphysik des Materialismus

Darwin half mit, eine Ära der Fortschrittsgläubigkeit, der Wissenschaftsgläubigkeit, der Rationalität, einzuläuten, wie sie die (westliche) Welt noch nicht gesehen hatte. Auch diese nicht ohne Nachteile. Der unbedingte Technik-Optimismus wurde beinahe so absolut wie es früher das Bekenntnis zu einem allmächtigen Gott gewesen war, samt nachgeordneter Strukturen wie den diversen Kirchen. Auch dieser Materialismus hatte seine Metaphysik. Diese Ideologie, samt den rasanten gesellschaftlichen Änderungen, die sich aus der ökonomischen Entwicklung ergaben, förderte massiv die Reaktion. Oder man könnte sagen, sie schuf sie im heutigen Sinn. Als Ausdruck einer Rückkehr nach „geordneten“, weniger „chaotischen“ Zuständen, als Heil im Gestern. Und es ist zulässig, zu behaupten, dass die Synthese aus Technik-Gläubigkeit und Reaktion erst die mörderische Ideologien von Rassismus und Faschismus entstehen ließ. Das Darwin anzulasten, wäre aber Humbug.

Langfristig verstanden es die westlichen Religionsgemeinschaften, sich mit der Evolution zu arrangieren. Sie interpretierten die Genesis einfach zur Mythologie um, aus der es Lehren zu ziehen gelte. Was ihnen teilweise das Monopol zurückgab, über die Entstehung des Menschen zu verfügen. Eine andere Strategie war, die Naturwissenschaften mit Geistlichen zu unterwandern. Wenn schon jemand neue bahnbrechende Erkenntnisse haben würde, sollten es wenigstens Pfarrer oder Mönche sein. Giordano Bruno war lang verdrängt. Auf katholischer Seite taten sich die Jesuiten hervor. Monsignore Georges Lemaitre etwa war neben Edwin Hubble einer der Väter der Urknalltheorie. Kurioserweise verwehrte er sich dagegen, dass die katholische Kirche den Urknall als Schöpfungsakt deutete. Die Welt war seit Darwin aus den Fugen geraten. Seltsamere Allianzen sind kaum vorstellbar.

Schöpfung über’s Hintertürl

Aus Sicht der Kirche(n) erweist sich im Sinn der Selbsterhaltung die Theorie des „Intelligent Design“ als vielversprechender. Sie ist wissenschaftlich unwiderlegbar. Sie bringt ein per definitionem unbeweisbares Objekt in die These ein. Gott. Dass sie das nach allen wissenschaftlichen Kriterien zu einer unlauteren Theorie, genau genommen zu einer Nicht-Theorie, macht, stört US-Fundamentalisten und katholische Geistliche wie Christoph Schönborn wenig. Egal, wie wenig seriöse Wissenschaftler das „Intelligent Design“ ernst nehmen können, für sie ist es der Ausweg aus dem Dilemma. Wenn sogar die katholische Kirche die Evolution als Realität akzeptieren muss, kann man die Theorie nicht mehr anfechten. Will man die eingestürzte Säule der Deutungshoheit über den Ursprung der Welt wieder aufrichten, muss man die Schöpfung übers Hintertürl wieder reinbringen. Das ist „Intelligent Design“, die Verkörperung einer christlich-fundamentalistischen Vorstellung einer Synthese. Das erlaubt es auch, sich zu engagieren, „Lücken“ in der Evolutionstheorie zu schließen. Je perfekter die Theorie, desto perfekter die Synthese.

Das glaubt diese eigenwillige Allianz von US-Fundis und katholischen Reaktionären. Darwin zum Trotz. Die reaktionäre Ideologie, die sich als Wissenschaftlichkeit tarnt, dürfte wohl länger nicht von der Bildfläche verschwinden. Bis die Fundis eine neue Strategie entdecken, die aus ihrer Sicht mehr Erfolg verspricht.