Die „Religionisierung“ von Konflikten

(hpd) Der als Experte für religiöse Gewalt bekannt gewordene Soziologe Mark Juergensmeyer, Professor an der University of California, Santa Barbara, präsentiert in seiner Studie „Die Globalisierung religiöser Gewalt. Von christlichen Milizen bis al-Qaida“ die Ergebnisse einer vergleichenden Analyse von Interviews mit Angehörigen ganz unterschiedlicher Gruppen von religiös motivierten Gewalttätern.

Mit dem islamistischen Terrorismus ist das Thema „Gewalt und Religion“ in den Fokus des breiten öffentlichen Interesses gerückt. Doch gibt es derartige Phänomene nicht nur unter den Muslimen. In vielen Weltreligionen bildeten sich in den letzten Jahren Gruppierungen heraus, welche im Namen ihres Glaubens brutal gegen Anders- und Nichtgläubige vorgehen. Die Aufständischen im Irak stehen dafür ebenso wie die Milizen in den USA, Militante in Israel ebenso wie Hindu-Nationalisten in Indien. Insofern lässt sich auch von einer „Globalisierung religiöser Gewalt“ sprechen. So betitelte auch der Soziologe Mark Juergensmeyer, Direktor des Orfalea Center for Global and International Studies an der University of California, Santa Barbara, sein Buch zum Thema. Es will die damit angesprochene Entwicklung aus der Eigenwahrnehmung der Gewalttäter deuten und „die Perspektive der Aktivisten“ (S. 17) verstehen. Daher stützt sich Juergensmeyers Studie auch auf um die 140 Interviews mit religiös motivierten Militanten aus unterschiedlichen Bewegungen.

Umrahmt sind die nach regionalen Gesichtspunkten aufgegliederten Darstellungen zu diesen Gruppen durch zwei analytische Kapitel: Zunächst geht es um das Spannungsverhältnisses von Religion und Säkularismus in den jeweiligen Ländern, welches den ideologischen Hintergrund für die besondere Politisierung der Gewalttäter bilde. Dem folgen Ausführungen zu den militanten Bewegungen und Organisationen im Nahen Osten, in Süd-, Mittel- und Südostasien und in Europa, Ostasien und den Vereinigten Staaten. Darüber hinaus finden die transnationalen Netzwerke der Dschihadisten noch gesonderte Aufmerksamkeit. Dem folgt eine bilanzierende Analyse, die sich dem Kontext im Konfliktfeld von Demokratie und Menschenrechten mit Gewalttaten und Konfrontationen widmet. Und schließlich skizziert der Autor auch die unterschiedlichen Prozesse der religiösen Rebellion von den Aufständen über Internationalisierung und Antiamerikanismus bis zum globalen Krieg, jeweils verbunden mit der Frage, was die Religion als Bedingungsfaktor damit zu tun habe.

Ausgangspunkt für Juergensmeyers Erklärungsansatz ist die Deutung des religiösen Gewaltpotentials als Widerstandsbewegung gegen den Modernismus des säkularen Staates, sieht man darin doch die eigentliche Ursache für die beklagten Missstände und Probleme. Die westlich geprägten Modelle nationaler Souveränität gelten als gescheitert, in der religiösen Ausrichtung von Politik sieht man eine hoffnungsvolle Alternative – obwohl diese inhaltlich nicht näher entwickelt ist. Die Konflikte in vielen Regionen der Welt würden zwar nicht durch religiöse Ideen ausgelöst, aber im ideologischen und politischen Kampf häufig „religionisiert“ und verschärft. Die Religion fügte, so der Autor, „dem Konflikt nicht nur einen bloßen Vorrat an Symbolen und die Aura göttlicher Unterstützung hinzu, sondern verschärfte die Probleme zusätzlich durch ihren nachhaltigen Absolutismus, ihre Rechtfertigung von Gewalt und der Vorstellung von einem Krieg, in dem der Feind dämonisiert ist und der Konflikt als transhistorisch begriffen wird“ (S. 403).

In dieser besonderen und differenzierten Deutung besteht das Verdienst der Studie, welche das Selbstverständnis der religiös motivierten Gewalttäter zum Ausgangspunkt einer damit verbundenen Analyse macht. Dabei sollte die Erklärung für entsprechende Taten allerdings nicht als deren Rechtfertigung verstanden werden – wie Juergensmeyers Ansatz mitunter fehlgedeutet wurde. Kritik verdient sie gleichwohl, allerdings stärker im formalen Bereich: Bei den Darstellungen zu den einzelnen Gruppierungen verliert sich der Autor mitunter all zu sehr in Detailfragen und unterscheidet nicht genauer zwischen unwichtigen und wichtigen Informationen. Auch hätte die Gesamteinschätzung des Phänomens, das auf einer erkenntnisfördernden vergleichenden Betrachtung beruht, stringenter und systematischer präsentiert werden können. Denn aus dem Ergebnis der vorliegenden Forschungen lassen sich wichtige Rückschlüsse ziehen: Religion dient zur Artikulation und Verschärfung von Konflikten, welche aber auf ganz anderen Motiven beruhen.

Armin Pfahl-Traughber

 

Mark Juergensmeyer, Die Globalisierung religiöser Gewalt. Von christlichen Milizen bis al-Qaida. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Thomas Pfeiffer, Hamburg 2009 (Hamburger Edition), 485 S., 35 €