BERLIN. (hpd) Der Wissenschaftsrat hat ein Gutachten zur Weiterentwicklung von „religionsbezogenen Wissenschaften“ veröffentlicht. Nach einer ersten Durchsicht ist der Vorstand des Koordinierungsrat säkularer Organisation (KORSO) überhaupt nicht begeistert, sieht aber doch zumindest kleine, wenn auch allzu zögerliche Schritte in eine richtige Richtung. Eine verpasste Chance, die nachträglich zu ergreifen ist?
Im KORSO sind säkulare Organisationen zusammengeschlossen, die sich z.T. selber als Weltanschauungsgemeinschaften betrachten und z.T. eher als Kritiker religiöser Gemeinschaften und der Kirchen. Für einige geht es allein um die Durchsetzung der Trennung von Staat und Kirche, andere fordern als Weg zu diesem Fernziel erst einmal die konsequente Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen, die sich im Rahmen der Verfassung bewegen. Die einzelnen Mitgliedsverbände des KORSO nehmen daher – angesichts der Bedeutung dieser Denkschrift des Wissenschaftsrates – auch aus ihrer jeweils besonderen Perspektive dazu Stellung. In dieser Stellungnahme des KORSO geht es um die Grundzüge einer Kritik an der Inkonsequenz und Zögerlichkeit des Vorgehens des Wissenschaftsrates, der die Herausforderung durch die neue Wirklichkeit des Islam in Europa und in Deutschland leider nicht zum Anlass genommen hat, das Verhältnis von Staat, Religionen und Weltanschauungen realitätsnah neu zu durchdenken.
Stellungnahme des KORSO
Der Wissenschaftsrat berät die Bundesregierung und die Regierungen der Länder. Seine Empfehlungen sollen unter anderem den Erfordernissen des sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens entsprechen. Das Gutachten und die Empfehlungen des Wissenschaftsrates (in voller Länge), für deren Erstellung kein Zeitdruck besteht und wofür wissenschaftliche Kapazitäten zur Verfügung stehen, könnte die Möglichkeit bieten, längerfristige Perspektive zu denken, zu wagen, abzuwägen, längerfristigere Linien und erkannte Probleme zu formulieren. Diese Chance wurde leider nicht wahrgenommen - auch wenn zumindest gelegentlich eine Ahnung aufscheint, wie sehr sich die Lage seit dem pro-klerikalen Grundkonsens der alten Bundesrepublik inzwischen verändert hat.
Noch mehr, aus dem Status quo der religiösen Situation in Deutschland wurde der Artikel 4 des Grundgesetzes wiederum ‚halbiert’ und die eigentlich gleichermaßen zu berücksichtigenden Weltanschauungen und Weltansuchauungsgemeinschaften vorsätzlich ausgeklammert. Insofern werden schon allein dadurch realitätsfremde Behauptungen formuliert, die den wissenschaftlichen und politischen Diskurs nicht voran bringen, sondern ihn insgesamt auf einem historisch überholten Stand festzuzurren versuchen.
Bereits der Titel des umfangreichen Textes (156 Seiten) benennt die verengte Perspektive der Halbierung des Artikel 4 GG, indem die Weltanschauungen übergangen werden: „Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“.
Der mögliche Einwand, dass die Empfehlungen nur die betrachten, die bereits da sind, und was interessiert es eigentlich die Säkularen, greift aus drei Gründen nicht. Zum einen soll es um die „Weiterentwicklung“ gehen, zweitens sind die Konfessionsfreien (mittlerweile ein Drittel der Bevölkerung) ein ebenso neues Phänomen für Deutschland wie die Muslime, über die man viel spricht und für die drittens, jetzt Institute an den Universitäten empfohlen werden. Warum keine „Humanistik“, oder wird angenommen, dass die Säkularen keine eigenen Debatten und Forschungen zur Ausarbeitung und Profilierung ihrer weltanschaulichen und ethisch-kulturellen Haltungen brauchen, wenn sie schon ohne eigentliche „Vorbeter“ auskommen?
A. Ausgangslage
Es wird in dem Text zwar nicht genannt, welche Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe zur Erstellung des Textes mitgearbeitet haben, aber die Absicht der Empfehlungen sind „Strukturveränderungen im Rahmen des bestehenden Staatskirchenrechts“ (S. 6). Und da die Empfehlungen dann noch an die Kirchen und Religionsgesellschaften gerichtet sind, haben diese dann auch gleich an der Erstellung des Textes mitgewirkt.
Diese Mitwirkung und Kombination aus Staatskirchenrecht und Religionsgesellschaften durchzieht dann – wie ein roter Faden – den ganzen Text.
Es beginnt mit der anscheinend unvermeidlichen Behauptung einer „Rückkehr der Religionen“, zu der weder empirische Belege angedeutet werden, (die es ja auch nicht gibt,) noch dass ausgeführt wird, wie Religion als wichtiger „Aspekt globaler Aspekte“ zu Gewalt und Terror oder auch zu deren Abwehr beitragen könnte. Stattdessen wird auf anderes verwiesen: „Religion, religiöse Orientierung und religiöse Institutionen sind eine Ressource, auf die das demokratische Leben in der Bundesrepublik Deutschland in vielfältiger Weise zurückgreift.“ Belege dafür: keine.