„Wird Religion überflüssig?“

Machtanspruch an Stelle von Argumenten

Einer gewinnbringenden Gesprächsrunde ebenfalls abträglich war die professoral herablassende Attitüde des Theologen von Dobbeler, der sich auch nicht scheute, einen sich für ihn möglicherweise unangenehm entwickelnden Gesprächsverlauf mit so genannten „Totschlagargumenten“ auszuhebeln.

Der pointiert und scharf vorgetragenen Kritik Vowinkels (und auch von Seiten des Publikums) am Alten Testament als skandalträchtigen Antijudaismus zu brandmarken, gehört ebenso dazu wie die Forderung, erst einmal die gesamten Schriften Bultmanns gelesen haben zu müssen, bevor man ihn zitieren dürfe, ja, dass es überhaupt ungehörig sei, jenen für seine eigenen (atheistischen) Zwecke zu „missbrauchen“. Eine inhaltliche Begründung wurde leider nicht mitgeliefert. Dass das von Bernd Vowinkel ins Spiel gebrachte Bultmann-Zitat („Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben“) heftigste Reaktionen auslöste bis hin zur Bezichtigung des unwissenschaftlichen Arbeitens (wobei die thesenartige Kurzpräsentation als Grundlage zur Diskussion ohnehin nicht den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt) zeigt, wie dünnhäutig man von theologischer Seite aus reagiert, wenn auch die letzten Reste des Fells drohen hinfort getragen zu werden und man sich auf die offensichtlich keineswegs überwundene Haltung Machtanspruch an Stelle von Argumenten versteift. Sicherlich war jedem der Zuhörer klar, dass auch bei einem Theologen wie Bultmann noch ein „aber“ kommt. Nun, dies auszuarbeiten und zu diskutieren unterblieb aber auf Grund der aggressiven kirchlichen Abwehrhaltung und auch wegen des leider nicht in Erscheinung tretenden „Führungswillens“ der Gesprächsleitung.

Von Dobbeler verlangte zwar unbedingten Respekt vor religiösen Positionen; er selbst zeigte dies aber gegenüber von seinen Positionen abweichenden Einstellungen eher wenig. Ebenso erwartete er, dass sich die Gegenseite über sein Metier bis ins Detail informiere, ohne aber umgekehrt größeres Interesse an deren Inhalten zu zeigen.

Nachdem nun der Protestant von Dobbeler eine „gefühlt katholische Attitüde“ zur Schau trug, argumentierte der Katholik Buchholz eher „protestantisch“ – quasi in vertauschten Rollen. Diese Rollenverteilung überraschte so manchen im Publikum, änderte aber nichts an der Tatsache, dass der Kern dessen, was die Vertreter der Kirchen bei allen partiellen Unterschieden in ihren Auffassungen vortrugen zu der Frage, warum ihrer Ansicht nach Religion nicht überflüssig werde, dass also dieser Kern auch bei sorgfältiger Nachlese nicht sichtbar wurde. Die intellektuell schwer zumutbare Gleichung Glaube = Gewissheit als die auch so titulierte „entscheidende Grundlage“ wurde auf dezidierter Bitte um Erläuterung durch Abgleiten ins Atmosphärische vernebelt. Wohl niemand hegt Einwände gegenüber Toleranz, Hilfe für Hilfsbedürftige, Suche nach und Spenden von Trost, Liebe etc.

Allein, damit war die obige Gleichung aus ihrer Erklärungsnot nicht befreit. Da man aber diese positiv besetzten Wertigkeiten gern für sich akzeptiert, wird wohl von apologetischer Seite erhofft (und leider allzu oft mit vollem Erfolg so erreicht!), dass diese Verneblungsstrategie, wortreich und „wärmend“ vorgetragen, übersehen lässt, dass fragliche „Gleichung“ auf diese Weise nicht im geringsten erklärt wurde. Die Herleitung positiver Werte und Empfindungen somit aus der „Kraft des Glaubens“ herleiten zu können, schlugen (wieder einmal) fehl.

Die berüchtigten M als Blitzableiter

Den Religionsfreien wurde seitens der christlichen Vertreter (hier vor allem: René Buchholz) attestiert, dass sie gleicher Maßen „Werte hätten“ und Menschen mit Stärken und Schwächen wären wie religiöse. „Alles andere ist Unsinn!“ Immerhin!

Allein, überzeugender und von längerem Bestand an Glaubwürdigkeit wäre es gewesen, wenn nicht wenige Gedankengänge später die „instrumentelle Vernunft“ für die Gräuel des 20. Jahrhunderts verantwortlich gemacht worden wäre. Da lugte also wieder Mixa unter der (peinlich berührt) flach gehaltenen Decke hervor (Buchholz: „Meisner und Mixa sind lediglich AB-Maßnahmen für die Presse!“), nur in wohlgesetzteren, dezent verklausulierten Worten. Dass diese Unverfrorenheit unkommentiert verhallen konnte, war wohl auch der nicht vorhandenen Gesprächsführung zu verdanken. Meisner und Mixa aber als zwei der berüchtigten drei M aus der Giftküche katholischer Einfalt dienten auch hier wieder als dankbare Blitzableiter, um von den substantiellen Problemen einer in dramatische Erklärungsnot geratenen Nachfolgeorganisation bronzezeitlicher Wüstensekten abzulenken.

Insgesamt aber war die von christlicher Seite geführte (übrigens immer häufiger zu beobachtende Strategie bei Diskussionsrunden mit religionskritischer Gegenposition) von solcherlei Art, dass religiöse Positionen, die einer naturwissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten können, verbal erst einmal weitestgehend geräumt werden, in der Hoffnung, dass durch der Theologen apologetische Schulung die „mentale Hintertür“ offen bleibt. Diese religiöse Positionen werden dann, in „philosophisch“- theologische Schwabulierungen eingewickelt, wieder unterm Talar hervorgezaubert, um damit in intellektuelle Ruheräume zu flüchten, für die Vernunft gesteuertes Denken nicht zugelassen wird. Gern mag man dies (privat) ein jedem zugestehen, solange er/sie daraus nicht „Wahrheit“ ableitet, Machtpositionen besetzt und verantwortliches Denken und Handeln behindert, vor allem auch im sensiblen Bildungsbereich. Der abwehrend vorgetragenen Überzeugung eines Religionslehrers ob seines offenen und fortschrittlichen Unterrichts standen aber die diesbezüglich erheblich anders gearteten Erfahrungen vieler Zuhörer entgegen.

In beträchtliche Erklärungsnot gerieten aber die kirchlichen Vertreter bezüglich des vielstimmig vorgetragenen Unverständnisses in punkto Diskrepanz zwischen der von ihnen vorgetragenen „weichgespülten“ Sicht und den tatsächlichen Verlautbarungen der Amtskirche und dem ritualisierten kirchlichen Leben an der Basis. Eine apologetische Position, die substantiell zu verorten gewesen wäre, verblieb wie gesagt im Nebulösen. So bestätigte sich einmal mehr der von Bernd Vowinkel zitierte Satz des Theologen Prof. G. Lüdemann: „Der Kern des modernen Christentums ist weich geworden bis zur völligen Beliebigkeit und Inhaltsleere.“

Leider schauen immer noch zu wenige genau genug hin.

 

Ein weiterer, unabhängiger Bericht über die Veranstaltung.