„Wird Religion überflüssig?“

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Ev. Haus der Kirche, Bonn. Foto: Hdk (Sabine Hennes)

KÖLN. (hpd) „Herkünftigkeit als in der Kausalität enthaltene Bedingung der Möglichkeit…“ Bericht zur Podiumsdiskussion „Wird Religion überflüssig? Der Neue Atheismus stellt die Gottesfrage“.


Von Burkhard Wepner

Zum Gelingen einer Diskussion ist es unter anderem erforderlich, dass die beteiligten Diskutanten bereit sind, eine gemeinsame Sprachebene zu finden. Bei der Podiumsdiskussion mit dem Thema „Wird Religion überflüssig? Der Neue Atheismus stellt die Gottesfrage“ vom Dienstag, 16.03.2010, im Haus der Evangelischen Kirche in Bonn hatte man des Öfteren den Eindruck, dass dies nicht wirklich gelingen wollte.

Zur Konzeption der abendlichen Veranstaltung gehörte es, dass zunächst jeder der drei Redner angehalten war, in einem kurzen Statement die jeweils eigene Position vorzustellen. Während der Vertreter des so genannten „Neuen Atheismus“, der Physiker Dr. Bernd Vowinkel vom 1. Physikalischen Institut der Universität zu Köln und Mitglied der Regionalgruppe Köln-Bonn-Düsseldorf der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) mit einem klar gegliederten zwanzigminütigen Kurzvortrag über die Ziele der Stiftung referierte und zu dem fraglichen Thema einige prägnante Thesen in allgemeinverständlicher Sprache vorstellte, war es den Vertretern der christlichen Kirchen vorbehalten, in nicht geringem Ausmaß einen theologischen Duktus zu wählen, der – wie sich im Laufe der späteren Diskussion mit dem Publikum herausstellte - doch mehr Fragen aufwarf, als er Antworten zu geben vermochte und zunehmend den Unmut von Teilen des zahlreich erschienenen – wenn auch recht heterogenen - Publikums auf sich zog.

Als federführender Veranstalter fungierte die VHS Bonn, vertreten durch Dr. Adrian Reinert, dessen Idee, nach den Statements (neben Bernd Vowinkel sprachen noch Dr. René Buchholz, Katholisches Bildungswerk Bonn und Prof. Dr. Axel von Dobbeler, Evangelisches Forum Bonn) sogleich die Diskussion zu öffnen und das Publikum mit einzubeziehen, sich als unglücklich erwies. Eine zunächst thematisch geordnete Struktur hätte es vermutlich eher vermocht, eine gemeinsame Sprachebene zu finden und damit die unterschiedlichen Positionen der Diskutanten einer vielleicht fruchtbareren Kontroverse zuzuführen. Da sich die Gesprächsleitung darauf beschränkte, die diskursive Teilhabe des Publikums ausschließlich auf die Reihenfolge des Eingangs des jeweiligen Gesprächswunsches zu stützen, war ein substantielles Vertiefen einzelner Positionen von Vornherein zum Scheitern verurteilt. Ohne wirklich in die Diskussion zu treten blieb es weitgehend bei einem Austausch von Standpunkten.

Neuer Atheismus – Neuer Humanismus

Der von der Presse (vorweg der ‚Spiegel’) so titulierte „Neue Atheismus“ wird immer wieder danach befragt, was denn nun eigentlich neu an ihm sei. Leider wird dabei übersehen, dass dies zunächst nur ein sich verselbstständigt habendes Schlagwort der veröffentlichten Meinung ist. Die von den anwesenden Theologen herabgewürdigte Aufklärung des 19. Jh. ist entgegen derer Meinung aber nicht von vorgestern, sondern sogar auf diesem Stand noch keineswegs vollzogen. Dass sich durch die Fortschritte der Wissenschaften das Menschenbild und Weltbild verändert hat, darauf wies Bernd Vowinkel unter Hervorhebung von Genetik, Hirnforschung und Kosmologie zu Recht hin.

Der Physiker möchte wohl auch von diesem Begriff des „Neue Atheismus“ wegkommen und schlug unter Zuhilfenahme einer Gleichung folgende Begrifflichkeit vor: Atheismus + säkulares Wertesystem + Naturalismus = Neuer Humanismus.

Der nicht eingeforderten Diskussionskultur geschuldet war es leider auch den beiden Theologen ermöglicht worden, auf wesentliche von Bernd Vowinkel zur Debatte gestellte Punkte nicht oder nur rudimentär einzugehen. So wurde von letzterem das generelle Erkenntnisproblem der Theologie thematisiert, welches er u. a. durch Gegenüberstellung von Grundpfeilern wie ‚Heilige Schrift’ vs. ‚Logik’, ‚Offenbarung’ vs. ‚Empirie’ etc., oder aber auch ‚Absolute Glaubenswahrheit’ vs. ‚Annäherung an absolute Wahrheit’ usw. umriss.

Gespannt aber vergeblich wartete man auch auf eine Reaktion von Seiten der kirchlichen Vertreter bezüglich des von Bernd Vowinkel (an Hand einer Karikatur des gbs-Mitglieds Jacques Tilly) dargelegten Sachverhalts, dass unsere abendländischen Werte keineswegs dem Christentum zu verdanken sind, sondern gegen den erbitterten Widerstand der katholischen Kirche durchgesetzt werden mussten.

Wie nun solche Entgegnungen aussehen, verdeutlichen die Statements der Anwälte christlicher Lehre. Einige Verlautbarungen aus Theologenmund seien hier zur allgemeinen Erbauung unter Verzicht eines sich selbst erübrigenden Kommentars sinngemäß zitiert:

Von Dobbeler:

Religion ist radikaler Kritik zu unterziehen, nur der Gott der Bibel ist wahr.

(Zitat Schleiermacher:) Glaube ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche. Glaube ist eine eigenständige und durch Wissen nicht zu ersetzende Erkenntnisform.

Gewissheit verhält sich zu Glaube wie Gewusstes zu Wissen.

Religion befähigt zu schonungslosem Realismus, die Bruchlinie verläuft nicht zwischen Transzendenz und Immanenz, sondern zwischen tiefer und platter, banaler Immanenz.

Der Reduktionismus weiß sich der Aufklärung verpflichtet, blendet dabei allerdings aus, dass der Motor der Aufklärung, die Kritik, sich erst in der Fähigkeit zur Selbstkritik erweist. Ich denke, hier wäre von der Theologie einiges zu lernen.

Da die Atheisten doktrinär dem Reduktionismus-Gott verfallen sind, verstehen sie nichts vom richtigen und wahren Gott, der so etwas ist wie der sich selbst erniedrigende Mensch-Gewordene, auf Golgatha Gekreuzigte, der durch seine Ohnmacht in der Welt Raum gewinnt.

Buchholz:

Schöpfung meint eine Herkünftigkeit, die nicht im strengen Sinne selbst noch mal in der Form einer Kausalität zu denken ist, sondern in der Kausalität selbst als Bedingung der Möglichkeit enthalten ist.

Wenn die Dynamik endlicher Vernunft, diese Selbsttranszendenz endlicher Vernunft, nicht ins Absurde und Leere laufen soll, so zielt sie auf eine Wirklichkeit, die nicht nochmals das endliche Produkt unserer Projektionen und Modelle ist.

Religion ist nur dort überflüssig, wo alle Tränen abgewischt sind. Dies ist jedoch, wenn man sich die Welt betrachtet, nicht verwirklicht.

Gerade dieses letzte Zitat entlarvt die Theologie unfreiwillig aber schonungslos.
Ehrlicher Weise räumt es ihren Dienstleistungscharakter ein, den ich persönlich aber lieber in der Hand z. B. professionell ausgebildeter Psychologen sehen würde.

Machtanspruch an Stelle von Argumenten

Einer gewinnbringenden Gesprächsrunde ebenfalls abträglich war die professoral herablassende Attitüde des Theologen von Dobbeler, der sich auch nicht scheute, einen sich für ihn möglicherweise unangenehm entwickelnden Gesprächsverlauf mit so genannten „Totschlagargumenten“ auszuhebeln.

Der pointiert und scharf vorgetragenen Kritik Vowinkels (und auch von Seiten des Publikums) am Alten Testament als skandalträchtigen Antijudaismus zu brandmarken, gehört ebenso dazu wie die Forderung, erst einmal die gesamten Schriften Bultmanns gelesen haben zu müssen, bevor man ihn zitieren dürfe, ja, dass es überhaupt ungehörig sei, jenen für seine eigenen (atheistischen) Zwecke zu „missbrauchen“. Eine inhaltliche Begründung wurde leider nicht mitgeliefert. Dass das von Bernd Vowinkel ins Spiel gebrachte Bultmann-Zitat („Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben“) heftigste Reaktionen auslöste bis hin zur Bezichtigung des unwissenschaftlichen Arbeitens (wobei die thesenartige Kurzpräsentation als Grundlage zur Diskussion ohnehin nicht den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt) zeigt, wie dünnhäutig man von theologischer Seite aus reagiert, wenn auch die letzten Reste des Fells drohen hinfort getragen zu werden und man sich auf die offensichtlich keineswegs überwundene Haltung Machtanspruch an Stelle von Argumenten versteift. Sicherlich war jedem der Zuhörer klar, dass auch bei einem Theologen wie Bultmann noch ein „aber“ kommt. Nun, dies auszuarbeiten und zu diskutieren unterblieb aber auf Grund der aggressiven kirchlichen Abwehrhaltung und auch wegen des leider nicht in Erscheinung tretenden „Führungswillens“ der Gesprächsleitung.

Von Dobbeler verlangte zwar unbedingten Respekt vor religiösen Positionen; er selbst zeigte dies aber gegenüber von seinen Positionen abweichenden Einstellungen eher wenig. Ebenso erwartete er, dass sich die Gegenseite über sein Metier bis ins Detail informiere, ohne aber umgekehrt größeres Interesse an deren Inhalten zu zeigen.

Nachdem nun der Protestant von Dobbeler eine „gefühlt katholische Attitüde“ zur Schau trug, argumentierte der Katholik Buchholz eher „protestantisch“ – quasi in vertauschten Rollen. Diese Rollenverteilung überraschte so manchen im Publikum, änderte aber nichts an der Tatsache, dass der Kern dessen, was die Vertreter der Kirchen bei allen partiellen Unterschieden in ihren Auffassungen vortrugen zu der Frage, warum ihrer Ansicht nach Religion nicht überflüssig werde, dass also dieser Kern auch bei sorgfältiger Nachlese nicht sichtbar wurde. Die intellektuell schwer zumutbare Gleichung Glaube = Gewissheit als die auch so titulierte „entscheidende Grundlage“ wurde auf dezidierter Bitte um Erläuterung durch Abgleiten ins Atmosphärische vernebelt. Wohl niemand hegt Einwände gegenüber Toleranz, Hilfe für Hilfsbedürftige, Suche nach und Spenden von Trost, Liebe etc.

Allein, damit war die obige Gleichung aus ihrer Erklärungsnot nicht befreit. Da man aber diese positiv besetzten Wertigkeiten gern für sich akzeptiert, wird wohl von apologetischer Seite erhofft (und leider allzu oft mit vollem Erfolg so erreicht!), dass diese Verneblungsstrategie, wortreich und „wärmend“ vorgetragen, übersehen lässt, dass fragliche „Gleichung“ auf diese Weise nicht im geringsten erklärt wurde. Die Herleitung positiver Werte und Empfindungen somit aus der „Kraft des Glaubens“ herleiten zu können, schlugen (wieder einmal) fehl.

Die berüchtigten M als Blitzableiter

Den Religionsfreien wurde seitens der christlichen Vertreter (hier vor allem: René Buchholz) attestiert, dass sie gleicher Maßen „Werte hätten“ und Menschen mit Stärken und Schwächen wären wie religiöse. „Alles andere ist Unsinn!“ Immerhin!

Allein, überzeugender und von längerem Bestand an Glaubwürdigkeit wäre es gewesen, wenn nicht wenige Gedankengänge später die „instrumentelle Vernunft“ für die Gräuel des 20. Jahrhunderts verantwortlich gemacht worden wäre. Da lugte also wieder Mixa unter der (peinlich berührt) flach gehaltenen Decke hervor (Buchholz: „Meisner und Mixa sind lediglich AB-Maßnahmen für die Presse!“), nur in wohlgesetzteren, dezent verklausulierten Worten. Dass diese Unverfrorenheit unkommentiert verhallen konnte, war wohl auch der nicht vorhandenen Gesprächsführung zu verdanken. Meisner und Mixa aber als zwei der berüchtigten drei M aus der Giftküche katholischer Einfalt dienten auch hier wieder als dankbare Blitzableiter, um von den substantiellen Problemen einer in dramatische Erklärungsnot geratenen Nachfolgeorganisation bronzezeitlicher Wüstensekten abzulenken.

Insgesamt aber war die von christlicher Seite geführte (übrigens immer häufiger zu beobachtende Strategie bei Diskussionsrunden mit religionskritischer Gegenposition) von solcherlei Art, dass religiöse Positionen, die einer naturwissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten können, verbal erst einmal weitestgehend geräumt werden, in der Hoffnung, dass durch der Theologen apologetische Schulung die „mentale Hintertür“ offen bleibt. Diese religiöse Positionen werden dann, in „philosophisch“- theologische Schwabulierungen eingewickelt, wieder unterm Talar hervorgezaubert, um damit in intellektuelle Ruheräume zu flüchten, für die Vernunft gesteuertes Denken nicht zugelassen wird. Gern mag man dies (privat) ein jedem zugestehen, solange er/sie daraus nicht „Wahrheit“ ableitet, Machtpositionen besetzt und verantwortliches Denken und Handeln behindert, vor allem auch im sensiblen Bildungsbereich. Der abwehrend vorgetragenen Überzeugung eines Religionslehrers ob seines offenen und fortschrittlichen Unterrichts standen aber die diesbezüglich erheblich anders gearteten Erfahrungen vieler Zuhörer entgegen.

In beträchtliche Erklärungsnot gerieten aber die kirchlichen Vertreter bezüglich des vielstimmig vorgetragenen Unverständnisses in punkto Diskrepanz zwischen der von ihnen vorgetragenen „weichgespülten“ Sicht und den tatsächlichen Verlautbarungen der Amtskirche und dem ritualisierten kirchlichen Leben an der Basis. Eine apologetische Position, die substantiell zu verorten gewesen wäre, verblieb wie gesagt im Nebulösen. So bestätigte sich einmal mehr der von Bernd Vowinkel zitierte Satz des Theologen Prof. G. Lüdemann: „Der Kern des modernen Christentums ist weich geworden bis zur völligen Beliebigkeit und Inhaltsleere.“

Leider schauen immer noch zu wenige genau genug hin.

 

Ein weiterer, unabhängiger Bericht über die Veranstaltung.