Vom Philosophieren mit Kindern

mueller01.jpg

Hans-Joachim Müller / Foto: privat

(ds/hpd) Das Philosophieren mit Kindern nimmt einen breiten Raum in der Praxis und in den Konzepten bereits bestehender bzw. geplanter Humanistischer Kindertagesstätten und Schulen ein. Das wurde auch vom Bremer Verwaltungsgericht in seiner Urteilsbegründung, warum die vom HVD Bremen beantragte Schule eine Humanistische Weltanschauungsschule sei, besonders herausgehoben.

Im Zuge der Bemühungen, Humanistische Lebenskunde in Niedersachsen als ordentliches Unterrichtsfach in der Grundschule einzuführen, ist der Landesverband Niedersachsen auf die „Gesellschaft zur Förderung des Philosophierens mit Kindern in Deutschland“ aufmerksam geworden. Hans-Joachim Müller, Vorsitzender dieser Gesellschaft, unterstützt den Verband bei diesem Vorhaben.
 

Diesseits: Herr Müller, Sie sind Vorsitzender der Gesellschaft des Philosophierens mit Kindern in Deutschland. Wie kamen Sie dazu?

Hans-Joachim Müller: Als Grundschullehrer war ich sehr unzufrieden mit dem Anteil, den die Kinder selbstständig in den Lernprozess einbringen und suchte nach neuen Wegen. Mehr zufällig stieß ich dabei auf das Philosophieren mit Kindern (PmK) als Haltung, Methode und Inhalt.

Ich habe mich zunächst mit der Literatur auseinandergesetzt und einige Dinge im Unterricht ausprobiert und habe dann sehr schnell bemerkt, dass PmK bei allen Beteiligten Veränderungen bewirkt. Zunächst in der Rollenbeziehung – ich war nicht mehr der vermeintlich allwissende Lehrer, sondern zunehmend authentischer Gesprächspartner für die Schülerinnen und Schüler.

Das wiederum hatte zur Folge, dass diese ihre eigene Rolle neu gestaltet haben. Sie waren nicht mehr in erster Linie Objekte, sondern Subjekte von Bildung, fühlten sich in ihren Gedanken und Überlegungen ernstgenommen und entwickelten zunehmend den Mut, ihren Verstand zu gebrauchen und dadurch – das war dann die dritte Ebene – wurde auch der Unterricht ein anderer. Schnell fühlten sich alle Beteiligten in dieser Form von Unterricht wohler. Das war der Ausgangspunkt, mich über Fortbildungen weiter zu entwickeln und zu qualifizieren und schließlich das, was ich selber erlernt und erfahren habe, an andere weiterzugeben.
Sie haben dann nicht nur an Ihrer Grundschule PmK praktiziert und ihre Kollegen „angesteckt“. Ihr Engagement zieht inzwischen ja weit größere Kreise. Irgendwann ergab sich die Frage: Reicht es aus, Schulkinder philosophieren zu lassen oder muss man nicht noch früher anfangen? Damit stand der Kindergarten auf der Tagesordnung. Bei den Kleinen zeigte sich, dass deren Fragebedürfnis einen attraktiven Anknüpfungspunkt für das PmK als pädagogische Grundhaltung bietet. Das haben wir ausprobiert und festgestellt, dass die Kinder sich sehr gut angesprochen und aufgenommen fühlen. Dann stand nur noch die Frage, was geschieht eigentlich an den Universitäten und Hochschulen, speziell im Bereich der Lehrerausbildung. Da hat sich gezeigt, dass es relativ unbemerkt voneinander an verschiedenen deutschen Universitäten und Hochschulen Menschen gab, die sich mit diesem Thema intensiv beschäftigten. Eine Vernetzung war dann nur noch eine Frage der Zeit. Daraus entstand unsere Gesellschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, das PmK aus seinem Nischendasein herauszuholen und es stärker als bisher an Kindergärten, an den Schulen und auch an den Universitäten zu etablieren. Diese drei Ebenen repräsentieren wir auch personell. Wir haben Hochschullehrer der verschiedensten Fakultäten bei uns, Lehrkräfte und erstaunlich viele Leiterinnen von Kindertageseinrichtungen.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es Ihnen nicht um ein gesondertes Schulfach „Philosophie“ oder „Philosophieren“. Welche Fächer eignen sich denn am meisten?

Ich habe damit im Deutschunterricht angefangen. Gerade was die Arbeit mit Texten angeht, bietet das Philosophieren große Möglichkeiten. Ich habe auch zeitweise Kunst unterrichtet und konnte auch in diesem Unterricht leicht philosophische Zugänge finden. Dann kam ich auf die Mathematik und den Sachunterricht und habe gemerkt, dass, wenn man es ernsthaft betreibt, es kein Fach gibt, was sich nicht auch – das „auch“ ist mir hier ganz wichtig – über philosophische Zugänge erschließen lässt.

Deswegen ist es richtig, wir wollen kein neues Fach, wie in Mecklenburg-Vorpommern, wo es PmK als Unterrichtsfach gibt in den Klassenstufen 1-4, sondern wir wollen versuchen, das PmK in Unterrichtsfächer zu integrieren, die bereits existieren.

Sie betonten, dass die Fragehaltung im Kindergarten besonders ausgeprägt sei.

Wir kennen im Diskurs über Kinderphilosophie eigentlich zwei Basiskompetenzen. Die erste ist die Fähigkeit zu staunen und die zweite ist die Fähigkeit zu fragen. Beide Fähigkeiten sind bei Kindern sehr früh entwickelt. Die Frage ist immer, wie werden diese Basiskompetenzen genutzt? Wir meinen, dass Kinder ab einem Alter von etwa drei Jahren in der Lage sind, erste Schritte einer philosophierenden Aneignung von Welt zu gehen. Das muss man nutzen. Deswegen setzen wir hier einen Schwerpunkt. Es setzt entsprechend ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher voraus und es bedingt die Zusammenarbeit mit Eltern.

Es hört sich danach an, als müsste man in Kindergarten und Grundschule dafür sorgen, dass Kinder das freie Denken nicht verlernen.

Nicht nur nicht verlernen. Ich würde es schärfer formulieren: dass es ihnen nicht systematisch abgewöhnt wird, das sehe ich als das zentrale Problem an. Wir haben zunehmend Tendenzen in der Bildungslandschaft, die das Input-Output-Modell favorisieren. Das erinnert mich sehr stark an ein altes Instrument deutscher Bildungspolitik, den Nürnberger Trichter: Wir setzen ihn auf, füllen ein und meinen, unserem Bildungsanspruch Genüge getan zu haben. Das Philosophieren versucht einen anderen Weg zu gehen, es versucht das, was bereits in den Köpfen der Kinder steckt, im Sinne des Hebammen-Prinzips zu nutzen.