hpd: Von der Religion geht, wie Sie schreiben, „eine Form der Gegenaufklärung aus“. Können Sie kurz erklären, was Sie damit meinen?
Dux: Das neuzeitliche Bewusstsein, unter konstruktiv geschaffenen Lebensformen das Leben zu führen, ist allgemein geworden. Man kann deshalb meinen, dies säkulare Verständnis der Welt und des Menschen in der Welt, sei eben nur eines, das wissenschaftliche Verständnis. Erhalten bleiben daneben das religiöse und metaphysische.
hpd: Was lässt die metaphysischen und religiösen Weltbilder überholt erscheinen?
Dux: Wir kennen den Grund, der sie sich hat ausbilden lassen und in jeder Kindheit neu ausbilden lässt. Die Religion bildet sich unter einsichtigen Bedingungen als ein säkulares Konstrukt. Die Logik ihres Weltverstehens weist eine innerweltliche, d.h. säkulare Genese auf. Aus der Immanenz der Welt kann man nicht ausbrechen.
hpd: An einer Stelle ihres letzten Aufsatzes über „die Erkenntniskritik der Religion“ schreiben Sie: „Wir werden, könnte man mit Nietzsche sagen, Gott nicht los, solange wir uns nicht der Strukturen der Grammatik entledigen, sie wenigstens reflektieren.“ Was hat Religion mit der Grammatik der Sprache zu tun?
Dux: Die Logik der subjektivischen Deutung dessen, was in der Welt geschieht, hat in der Syntax, dem Satzaufbau, ihre Objektivation erfahren. Die Sprache erweckt deshalb immer wieder den Anschein, als werde die Prozessualität des Universums von intentionalen, sinnhaften Bezügen bestimmt. Wäre es so, hätte man guten Grund, an Gott zu glauben.
hpd: Was immer wieder erstaunt, ist, dass sich hartnäckig auch in unserer westlichen Demokratie Religion und der Glaube an Gott, trotz Aufklärung und naturwissenschaftlicher Revolution, behaupten. Worin sehen Sie den Grund hierfür?
Dux: In jeder Kindheit bildet sich die Logik religiösen Verstehens, die eine Geschichte lang das Weltbild der Menschen bestimmt hat, neu.
hpd: Verstehen Sie die Überwindung der Religion als eine Konsequenz, die sich im Verlauf des eines evolutionären Kulturprozesses mehr oder weniger notwendig ergibt oder eher als Ergebnis eines mühevollen Aufklärungsprozesses?
Dux: Ob die Menschheit in Zukunft jemals dahin gelangt, dass alle Menschen in allen Kulturen sich einem säkularen Verständnis der Welt verpflichtet wissen, ist immerhin fraglich. Es verlangt jedenfalls Aufklärung darüber, dass die humane Lebensform und das Verständnis der humanen Lebensform eine in den Grenzen der Welt verbleibende Erklärung finden kann.
hpd: Mit der Überwindung „subjektivistischer kognitiver Denkstrukturen“ ist es ja nicht getan, Religion und der Glaube an Gott beinhaltet für die meisten Menschen vor allem auf der emotionalen Ebene Trost, Hoffnung und Orientierung. Was könnte eine säkularisierte Welt hier diesen Menschen als Alternative bieten?
Dux: Ich sehe keine. Eine wirkliche Alternative kann es nicht geben.
Redaktion und Fragen: Anna Ignatius
Günter Dux, geboren am 23.6.1933, war von 1974 bis 1997 Professor für Soziologie und Direktor des Instituts für Soziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. In seinen zahlreichen Publikationen setzt er sich vor allem mit der Geistesgeschichte des Menschen auseinander. (Zur Genese der Religion siehe insbesondere „Die Logik der Weltbilder“, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-518-07970-0)
Die Zitate im Text sind aus:
Günter Dux: Erkenntniskritik der Religion. Denken, was unabweisbar ist. In: Christian Danz, Jörg Dierken, Michael Murrmann-Kahl (Hrsg): Religion zwischen Rechtfertigung und Kritik. Perspektiven philosophischer Theologie. Peter Lang, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-631-53882-0