Integrierte Gesamtschule geht auch ohne Kirche

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Screenshot / http://www.igs-wunstorf.de

WUNSTORF. (hpd) Eine geplante evangelische Integrierte Gesamtschule in Wunstorf bei Hannover startet im August 2010 aus formalen Gründen zunächst in staatlicher Trägerschaft. Erst zum Schuljahr 2011/2012 soll diese an die Landeskirche abgegeben werden. Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. (IBKA) begrüßt diesen Aufschub. Ein Blick nach Wunstorf.


Von Andreas Dietz

Die Formalitäten seien bis zum Beginn des Schulbetriebs der neuen Integrierten Gesamtschule (IGS) im August 2010 nicht mehr zu schaffen, berichtete am 12.05.2010 die Leinezeitung. Es fehle beim Land ein Antrag des Landeskirchenamtes zur Übernahme der IGS-Trägerschaft. Bereits genehmigt ist der Antrag auf Einrichtung einer staatlichen IGS.

Die Entwicklung nimmt der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten zum Anlass, die Verantwortlichen zum Umdenken aufzufordern: "Im kommenden Schuljahr werden alle Beteiligten feststellen, dass eine IGS auch sehr gut ohne Kirche funktioniert", prognostiziert Hans-Jürgen Rosin, Landessprecher seines Verbandes für Niedersachsen und Bremen.

Nicht der erste Versuch

Die Übernahme allgemeinbildender Schulen ist ein erklärtes Ziel der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Diese ist ebenso wie die katholische Kirche mit sinkenden Mitgliederzahlen konfrontiert und beabsichtigt, über das Bildungswesen verstärkt kirchenferne Menschen zu erreichen. Geeignete Anlässe scheinen in Niedersachsen Neugründungen von Integrierten Gesamtschulen zu sein.

Das Wunstorfer IGS-Projekt ist nicht der erste Versuch dieser Art. Bereits im zurückliegenden Winter wurde diskutiert, die Haupt- und Realschulen zweier Gemeinden (Hinte und Krummhörn, nördlich von Emden) in eine einzige Schule übergehen zu lassen: in eine evangelische IGS. Der Humanistische Pressedienst hatte darüber berichtet (02.02.2010). Wäre dieses Projekt im Sinne der Landeskirche geglückt, hätten sich auch konfessionsfreie Eltern gezwungen gesehen, ihre Kinder in die Hände der evangelischen Kirche zu geben, wollten sie keine langen Schulwege in Kauf nehmen. Das Projekt in Ostfriesland ist gescheitert.

Wunstorf handelt verantwortungslos

Für die Landeskirche war dies jedoch kein Grund, ihre Bemühungen um die kirchenfernen Kinder in Wunstorf aufzugeben. Auch hier traf man auf Kommunalpolitiker, die sich damit einverstanden erklärten, dass die Landeskirche das Angebot öffentlicher Schulen ersetzt. Doch die Wunstorfer Stadtverwaltung gab sich nicht nur naiv, sondern auch dreist: Den verpflichtenden Charakter des Religionsunterrichts an der Kirchen-IGS listete sie in der Reihe der Vorteile auf (HAZ, 19.02.2010).

Ähnlich beurteilt das Hans-Jürgen Rosin, Landessprecher des IBKA: "Die Stadt handelt verantwortungslos, wenn sie allein wegen der Einsparung eines kleinen Teils der Kosten sämtliche Kinder dem Zwangs-Religionsunterricht der Kirchen zuführt." Und in der Tat finanzieren sich Konfessionsschulen, auch jene geplante in Wunstorf, zum allergrößten Teil über öffentliche Haushalte: Die Lehrergehälter zahlt aller Voraussicht nach das Land. An den Sachkosten und am Gebäudeunterhalt beteiligt sich weiterhin die Stadt. Dass letztere bei diesem Deal langfristig auch spart, ist unerheblich. Zunächst stehen städtische Investitionen für die Innenraumsanierung (1,85 Mio. €) und den Neubau einer Sporthalle an (Wunstorfer Stadtanzeiger, 27.05.2010). Darüber hinaus hat das Kultusministerium die Grundausstattung für den Ganztagsbetrieb der Schule zugesichert (Neue Presse, 06.05.2010).

Assimilation statt Integration

Und obendrein zahlen die Eltern im Falle einer kirchlichen Trägerschaft Schulgeld. Trotz dieses hohen Anteils an Fremdfinanzierung erwirkt die Kirche mit ihrer Trägerschaft das Zugriffsrecht auf Nicht- und Andersgläubige während des gesamten Schulalltags und vor allem im verpflichtenden Religionsunterricht.

Letzteres war im März auch der Initiative türkischer Eltern in Wunstorf (TEW) aufgestoßen: Es sei nicht tragbar, dass Kinder zur Teilnahme am Religionsunterricht gezwungen werden (Leinezeitung, 09.03.2010). In dieser Einschätzung sind sich Muslime und Konfessionslose offenbar einig. Der Integrationsgedanke einer IGS verliert an Glaubwürdigkeit, wenn zwar Kinder verschiedenen Leistungsstandes miteinander lernen, in weltanschaulicher Hinsicht aber zwangsassimiliert werden.

Die Stadt indes sieht darin kein Problem. Wie der Wunstorfer Stadtanzeiger am 29.05.2010 berichtete, werden die Verhandlungen mit dem Ziel fortgesetzt, die Trägerschaft zum Schuljahr 2011/2012 an die Landeskirche abzugeben. Wenn Stadt und Kirche sich einig sind, folgt der Antrag zur Übernahme der Trägerschaft beim Land. Kirche und Ministerium seien dazu bereits im Gespräch, heißt es.

Interessant dürften mit Blick auf die Verhandlungen auch kleinere Details sein: „Dazu gehört unter anderem, dass auch konfessionslose Eltern oder Eltern anderer Konfessionen als Elternvertreter und auch in den Schulvorstand gewählt werden können. Diese Frage hatte die Eltern immer wieder beschäftigt.“ (Wunstorfer Stadtanzeiger, 27.05.2010) Offenbar war von Seiten der Kirche niemals vorgesehen, nichtchristlichen Eltern die gleichen Rechte bei der Gestaltung des Schullebens einzuräumen wie christlichen.

Relikte aus einer Zeit der Glaubensfehden

Zuletzt wurde bekannt, dass für den ersten Jahrgang im kommenden Schuljahr 192 Anmeldungen vorliegen. Da die – zunächst staatliche – auf Fünfzügigkeit angelegte IGS nur 150 Schüler aufnehmen kann, werden nach einem Auswahlverfahren 42 abgewiesen (Leinezeitung, 11.06.2010). Der Andrang zeigt, dass die Eltern in Wunstorf das Modell der Integrierten Gesamtschule wollen.

Für eine konfessionelle Ausrichtung sind die Zahlen aber kein Votum. Stadt, Land und Eltern mögen sich im kommenden Schuljahr von den Vorzügen einer weltanschaulich neutralen Schule überzeugen und die kirchliche Trägerschaft überdenken.

Hans-Jürgen Rosin ergänzt: "Für den IBKA sind Konfessionsschulen Relikte aus einer Zeit der Glaubensfehden. Sie verdienen keinerlei Unterstützung durch Staat und Kommunen."