BERLIN. (hpd) Für die einen, vor allem für westdeutsch sozialisierte Menschen, ist die Jugendweihe und deren vitale Existenz noch heute ein Phänomen. Für die anderen, für ostdeutsch sozialisierte Menschen ebenso wie für selbstbewußte Säkulare zwischen Nordsee und Bodensee, sind Jugendweihe bzw. Jugendfeier ein ganz normaler “Passageritus” unter vielen anderen. Trotz aller medialen und klerikalen Beeinflussung steigen die Teilnehmerzahlen in Ost und auch in West sogar an.
Was vor gut 160 Jahren in kleinstem Rahmen als freiwillige freireligiöse Alternative zur allgemeinpflichtigen (evangelischen) Konfirmation bzw. (katholischen) Firmelung begann, hat sich heute zu einem attraktiven humanistischen Feierkultur-Angebot für religionsfreie Menschen entwickelt.
Aus Anlass des 125jährigen Bestehens der Jugendweihe in Berlin hat Herausgeber Manfred Isemeyer vom Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg (HVD) einen überaus ansprechenden, anschaulichen und aussagekräftigen Sammelband “Jugendweihe und Jugendfeier in Deutschland. Geschichte – Bedeutung – Aktualität” vorgelegt.
Obwohl es sich bei der Jugendweihe um ein speziell deutsches Ritual handelt und obwohl es aus klerikaler Sicht als kirchenfeindlich bezeichnet wurde und wird, stellt Isemeyer gleich eingangs klar, dass Feste – also auch Passageriten – so alt wie die Menschheit selbst sind und rund um den Erdball gefeiert werden. Gefeiert werden diese in ganz konkreten historischen Ausformungen als mythologische, religiöse, weltanschauliche oder politische Rituale. Gesellschaftliches verbindet sich dabei mit Privatem/Familären, gerade bei den Passageriten anlässlich von Geburt (Namensgebung), Geschlechtsreife (Jugend), Eheschließung sowie Tod (Trauer). Trotz aller Ausformungen könne man gerade bei den Passageriten sehr viele Gemeinsamkeiten erkennen.
Was Isemeyer nicht so deutlich sagt: Passageriten etc. sind absolut keine originär christlich-kirchlichen Erfindungen und haben global gesehen absolut kein Alleinstellungsmerkmal! Christliche Feste gründeten sich – wie Feste in anderen Kulturen auch – stets auf ältere Ritualen. Und so nahmen sich ab dem 19. Jahrhundert freigeistige Bewegungen ebenso wie die Arbeiterbewegung das Recht, sich eine eigene Fest- und Feierkultur zu schaffen. Wobei gerade in der Jugendweihe die Einheit von Gesellschaftlichem/Politischem und Privatem gelang.
Deshalb, so schreibt Isemeyer, kann “die Historie der Jugendweihe durchaus auch als eine Geschichte des Kampfes um die Macht interpretiert werden, geht es doch bei diesem Passageritus um die weltanschauliche Beeinflussung der nächsten Generation.” (S. 15)
Zwischen Tradition und Moderne – ein historischer Überblick
Manfred Isemyer zeichnet faktenreich und mit zahlreichen Bildbelegen in seinem Hauptbeitrag “Jugendweihe/-feier zwischen Tradition und Moderne” die Geschichte der Jugendweihe von ihren Anfängen bis in die Gegenwart nach. Dabei beschränkt er sich nicht auf Berlin, wo am 14. April 1889 die erste weltliche Jugendfeier dieser Stadt zelebriert wurde. Er geht auf die Ursprünge in Nordhausen ebenso ein wie auf den neben Berlin wichtigstem Veranstaltungsort Hamburg. In Berlin und Hamburg bildeten sich bereits im Kaiserreich und dann später in der Weimarer Republik die Inhalte dieses Passageritus heraus: vorbereitender Jugendunterricht und Struktur der Feierstunde mit Kultur, Festrede, Gelöbnis, Urkunde und Geschenkbuch. In Weimarer Zeiten wurden Jugendweihen nicht nur vom Freidenkerverband (einem Vorläufer des HVD) und den Freireligiösen angeboten, sondern auch von den Arbeiterparteien. Isemeyer geht hier auch auf die eigenständigen Feiern von SPD und KPD ein.
Da freidenkerische und proletarische Jugendweihen nicht systemkonform waren, verbot die Naziregierung gleich 1933 neben den Arbeiterparteien und dem Freidenkerverband gerade auch dieses Fest.
Nach 1945 lebte die Jugendweihe in unterschiedlichster Resonanz wieder auf, die Entwicklungen gingen jedoch in West- und Ostdeutschland sowie in Westberlin in unterschiedliche Richtungen und entwickelten sich sehr konträr. Das zeigt Isemyer sehr deutlich auf: im Westen blieb die Jugendweihe eher marginal, im Osten war sie zunächst eher unerwünscht, wurde dann aber staatlich gefördert. In der DDR ging so die Jugendweihe den Weg von einem weltanschaulich/atheistischen Ritual zu einem staatsbürgerlichem. Das zeigte sich auch in der Entwicklung der Gelöbnisse und der Geschenkbücher.
Hatten klerikale Kreise (auch in der Politik) nach 1989 gehofft, die Jugendweihe wäre als “kirchenfeindlichliches DDR-Relikt” zum Aussterben verurteilt, so wurden sie enttäuscht. In der DDR war die Säkularisierung nur zügiger erfolgt als in anderen europäischen Staaten und in der DDR war die Jugendweihe sehr rasch zum wohl beliebtesten Familienfest geworden. Und sie blieb es auch nach dem 3. Oktober 1990. Die Veranstalter der Jugendweihe organisierten sich neu, fusionierten u.a. in dem Jugendweihe Deutschland e.V. als größtem Träger. Der HVD wurde deutschlandweit zum zweitgrößten Träger – wobei er sich entschied, diesen Passageritus nun als Jugendfeier anzubieten. Übrigens mit Rückgriff auf einen durchaus üblichen früheren Begriff. Daneben gibt es viele andere kleinere Anbieter.
Isemeyer geht kurz auch auf die unterschiedliche Praxis seines Verbandes und von Jugendweihe Deutschland ein. Er resümiert: “Fasst man die Darstellung der wechselvollen Geschichte der Jugendweihe in Deutschland zusammen, so zeigt sich, dass ihre Ausformung immer im Kontext historischer Zäsuren stattfand. (…) Die veränderte politische Landschaft nach der Wiedervereinigung 1989 und die damit einhergehende Säkularisierung der bundesdeutschen Gesellschaft haben auch zu einer Neubestimmung der Jugendweihe und Jugendfeier geführt. Im Jahre 2014 ist der politische Kampf um die Jugendweihe in Ost und West entschieden. Trotzdem bleibt das Dilemma der Jugendweihe wie auch der Konfirmation und anderer Passageriten, auf welcher Legitimationsgrundlage die ‘neue Jugendfeier’ in Zukunft stehen kann.” (S. 62)
Mit seinem Beitrag “Die Jugendweihe – Ein Passageritual auf dem Prüfstand seiner Geschichte” vertieft und ergänzt Horst Groschopp Isemeyers Darlegungen aus kulturwissenschaftlicher Sicht. Leider kann aus Platzgründen an dieser Stelle auf diesen exzellenten Artikel nicht näher eingegangen werden. Für den Autor handelt es sich bei der 160jährigen Jugendweihe keinesfalls um “eine kulturhistorisch zufällige Marginalie, sondern um ein kulturwissenschaftlich relevantes Geschehen. Wenn diese Festkultur aus theologischem Interesse ‘neureligiös’ genannt wird, so ist das ein Zeichen dafür, dass es schwierig ist, säkulare Zumutungen innerhalb kirchlicher Begriffe und Strukturen zu verarbeiten, und kein Zeichen einer Analyse der neuen Umstände.” (S. 84)
Groschopp schreibt an anderer Stelle: “Konfirmation und Firmung verpflichten (…) und sind nötig wegen der Kindstaufe, des Zwangseintritts des religionsunmündigen Wesens in die Christenheit. (…) Vielleicht ist dies der größte Unterschied zwischen dem religiösen und dem humanistischen Initiationsangebot.” (S. 93) Für ihn bleibt trotz aller positiven Entwicklung dieses humanistischen Angebotes “die Frage virulent, wie es denn aussieht, mit einem Mehr an betont humanistischer Sinngebung. Sie wird allerdings nicht gesellschaftlich diskutiert, sondern lediglich verbandskleinteilig.” (S. 102). Leider ist das tatsächlich so!