Über Konfessionsfreie, die Lebensphase Jugend und Werte
Bereichert werden die Abhandlungen von Isemeyer und Groschopp durch Carsten Frerks datenreicher Analyse “Konfessionsfreie in Deutschland”. Frerk stellt hier, illustriert durch zahlreiche Grafiken, ausgewählte empirische Befunde zu Religiosität, Werthaltungen und -anschauungen in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Jugendlichen vor. Ein Zitat mag hier genügen: “…verweisen religiöse Instanzen darauf, dass die Wertevermittlung in der deutschen Gesellschaft durch Religionen erfolge – eine Darstellung, die von den Befragten des Religionsmonitors 2013 jedoch nicht bestätigt wird.” (S. 119/120)
Ergänzt wird Frerk durch den Beitrag “Lebensphase Jugend” von Werner Schulz, der Befunde zur Werteorientierung einer Generation vorstellt. Schulz räumt zu Beginn mit einer heute nicht mehr zutreffenden Anschauung auf: “Noch immer hört man bei Veranstaltungen zu Jugendweihe oder Konfirmationen, dass diese Feste einen Übergang vom Kind zum Erwachsenen symbolisieren würden. Nichts ist falscher! Es kann höchstens von einem Wechsel von der Kindheit zur Jugendphase gesprochen werden.” (S. 161)
“Werteerziehung ohne Religion” – so ist ein Beitrag von Michael Bauer und Ulrike von Chossy überschrieben. Über Ziele religionsfreier Erziehung schreiben sie u.a.: “Weder stehen ihnen [religionsfreien Eltern; SRK] heilige Schriften als verbindliche Wertequellen zur Verfügung, noch können sie ohne Weiteres religiöse Autoritäten befragen. Sie müssen selber denken. Und das ist auch gut so.” (S. 170) Eine religionsfreie Werteerziehung sei aber keinesfalls intolerant, denn beim Philosophieren mit Kindern oder in Humanistischer Lebenskunde werde sich durchaus auch mit religionenkundlichen Themen befasst, denn “auch für eine religionsfreie Gedankenwelt können in solchen [religiösen; SRK] Traditionen Schätze verborgen sein, die es zu heben gilt, ohne dies mit dem Glauben an übernatürliche Kräfte zu verknüpfen.” (S. 176)
Zerrbilder aus kirchlicher Sicht
Es ehrt den HVD und die Humanistischen Akademien, dass sie in ihren Veranstaltungen und Publikationen stets auch Theologen zu Wort kommen lassen. In diesem Band ist es der promovierte evangelische Hochschulpfarrer Andreas Fincke, der “Anmerkungen zur Jugendweihe aus kirchlicher Sicht” macht. Allerdings können Finckes Auslassungen an keiner Stelle als wissenschaftlichen Betrachtungsweise bewertet werden. Sie sind pure Ideologie und voller Aversionen gegen Menschen und Rituale, die ohne religiöse Dogmen auskommen wollen und können. Es würde sich erübrigen, diesen Beitrag zu besprechen, wenn nicht solche Texte nach wie vor den publizistischen Mainstream beförderten.
Einige Zitate mögen Finckes Sicht (aus der geistigen Enge eines Pfarrhauses) und die einander sogar teilweise widersprechenden Rundumschläge dieses Kirchenmannes aufzeigen: “…seit in der DDR die Jugendweihe als atheistisches Zwangsbekenntnis eingeführt wurde. (…) …dass das einst weltanschaulich aufgeblasene Fest ab Mitte der 1970er Jahre in der DDR zu einer kleinbürgerlich-spießigen Feier mutierte, auf der zwar der Parteisekretär vom Sieg des Sozialismus sprach, die aber im wirklichen Leben oftmals als Eingangstor zu den ‘Genüssen’ des Erwachsenenseins verstanden wurde.” (S. 109) Die Jugendweihe als “agressiver Akt gegen die Kirchen mit atheistischer Begleitmusik und antireligiösen Attitüden” (S. 109) Beklagt wurde das Jugendweihealter mit 14, weil da ja "die Jugendlichen traditionell zur Konfirmation gehen. (S. 110)
Desweiteren ist mehrfach die Rede von “erzwungener Unterwerfung”, “Gewissensnot” und “Zwangsritual” bzw. “Unterwerfungsritual” und “ersatzreligiösen Elementen” oder davon, dass “Tausende von Jugendlichen schwere berufliche Benachteiligungen und entsprechende Hinweise in ihrer Personalakte hinnehmen mussten”, weil sie nicht an der Jugendweihe teilnahmen. Noch schlimmer wird es mit der Polemik, dass nicht mehr zu klären sei, “wie viele der Menschen, die vor dem Mauerbau in den Westen geflohen sind, diesen Schritt aus Verzweiflung über die Jugendweihe getan haben” und “dass die Jugendweihe ein weiterer Grund war, der Hunderttausende in die Flucht trieb.” (alles auf S. 111).
Gegen die damaligen Festredner (und die nicht erwähnten Gesprächspartner der Teilnehmer in den Jugendstunden) bringt Fincke schwerstes Geschütz in Stellung: in der DDR hätten “Partei- und Staatsführer als unfehlbar” gegolten, “ja, sie wurden sogar als Schöpfer der Welt gedeutet” (so auf S. 112). Dann ist die Jugendweihe bei Fincke mal “Unterwerfungsritual und diffuses Massenphänomen”, mal “ entpolitisiertes Familienfest und private Familientradition bzw. kleinbürgerliches Familienfest”. (S. 112/113) Ja, was denn nun? Nun, der Theologe kann wohl absolut nicht mit dem Umstand umgehen, dass in der DDR etwa 97 Prozent aller Achtklässler an der Jugendweihe und der ihr vorausgehenden Jugendstunden teilnahmen, dass dieses säkulare Fest von den DDR-Bürgern einfach angenommen worden ist. Zumal ja als Festredner und Gesprächspartner in den Jugendstunden beileibe Parteisekretäre nicht die Mehrheit bildeten, sondern Wissenschaftler, Ärzte, Künstler, KZ-Überlebende und auch ganz “normale” Werktätige…
Dann befremdet es den Theologen mit Blick auf das Hier und Heute aus “kirchlicher Sicht, dass die staatlichen Schulen, die zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet sind, der Jugendweihe so viel Raum einräumen. Viele Pfarrer wären froh, wenn sie an Schulen in gleichem Maße für die Konfirmation werben könnten.” (S. 114)
Oh, Pfarrer Dr. Fincke, kennen Sie denn nicht das “Achte Gebot Gottes”??? Jugendweihevereinen ist es zumindest in ostdeutschen Landen untersagt, in den Schulen zu agieren. Ganz im Gegensatz zu evangelischen und katholischen Schulpfarrern (die sich auch an nichtkirchlichen Schulen selbst etabliert haben) und den Religionspädagogen des pflichtigen Religionsunterrichtes!
Und nochmals fährt der Theologe schwerstes Geschütz auf, wenn er über die Jugendweihe behauptet: “Die Veranstalter belügen Kinder und Jugendliche, wenn sie ihnen erzählen, das Leben sei voller Spaß, Konsum und ohne Konflikte; ein Leben ohne Misserfolge, Niederlagen und Enttäuschungen sei möglich.” (S. 116) Da hatte er wohl vergessen, was er nur eine Seite zuvor zu Papier brachte: Hier echauffiert er sich zum einen darüber, dass z.B. Diana Skibbe – vor 1989 Lehrerin und SED-Mitglied – heute Festreden bei Jugendweihen hält und zum anderen darüber, dass sie jetzt Mitglied der LINKEN-Landtagsfraktion in Thüringen ist. Er prangert aus seiner Sicht Ungeheuerliches an, indem er aus einer Skibbe-Festrede zitiert: “Geht selbstbewusst und mit erhobenem Haupt durch das Leben. Lasst Euch den Wind ins Gesicht blasen und von der Sonne wärmen. Traut Euch zu lachen, wenn Euch zum Lachen ist und zu weinen, wenn Trauer Euer Herz berührt. Vergesst nicht, dass ein starkes Rückgrat den aufrechten Gang ermöglicht. Mischt Euch ein, wenn Ihr merkt, dass Unrecht geschieht.” (S. 115)
Fincke zieht aus all dem den Schluss, die Kirchen sollten offensiv gegen die Jugendweihe angehen, denn sie “können zeigen, dass der Segen Gottes mehr wert ist, als eine ‘geile Zeit’ oder üppige Geschenke.” (S. 117)
Der Rezensent erspart sich Kommentare zu obigen Auslassungen und möchte auch nicht näher auf seine eigenen und guten Erfahrungen als Jugendweiheteilnehmer im Jahre 1967, später als Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei Mitgestalter in einem mecklenburgischen Jugendweiheausschuss auf dem flachen Lande oder als Teilnehmer an diversen Feiern zwischen Ostsee und Thüringer Wald in den 1980er Jahren ebenso wie in diesem Jahrtausend eingehen.