(hpd) In Deutschland wird derzeit nur zögerlich über die Wehrpflicht diskutiert, in anderen Ländern gibt es diese gar nicht oder sie wurde abgeschafft. Derzeit jedenfalls gehen die Diskussionen an den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und gar wehrtechnischen Erfordernissen grundlegend vorbei.
Eine kurze Pressemeldung weist darauf hin, dass sich Schweden von der Wehrpflicht, die seit 1901 in der heutigen Form gilt, verabschiedet. Der skandinavische Staat will bis 2014 die Streitkräfte in eine reine Berufsarmee umwandeln. Der Wehrdienst ist zukünftig die freiwillige Entscheidung des Einzelnen. Ebenso oder ähnlich geartet denkt man in anderen Staaten schon seit Jahren. Die Wehrpflicht ist abgeschafft oder zumindest ausgesetzt. Der Zwang zum Dienst an der Waffe ist ein überholtes Modell aus einer Zeit, als die Welt noch in zwei große Militärblöcke aufgeteilt war.
Sogar in der Bundesrepublik wird seit kurzem über Sinn und Unsinn der Wehrpflicht öffentlich diskutiert. Wohin diese Diskussion führen wird, ist noch völlig offen. Doch sie darf nicht im politischen Alltagsgrau Berliner Zank- und Streit-Koalitionen untergehen. Das Pflänzchen Hoffnung auf ein Ende dieses Nachkriegsreliktes muss gegossen werden.
In Deutschland gibt es den Zwangsdienst beim Militär seit 1814. Nach dem 2. Weltkrieg, als Deutschland sich eine neue Verfassung gab, wurde die Pflicht zum Waffendienst im Paragraph 12a wieder festgeschrieben. Auf diesem Artikel basiert das Wehrpflichtgesetz (WPflG), welches im Juni 1956 beschlossen und bis heute nur in einigen wenigen Punkten verändert wurde. Jüngste Aktualisierung ist die Verkürzung des Grundwehrdienstes auf nur noch sechs Monate. Manch einer sieht mit dem Blick durch die konservativ beschlagene Brille in dieser Modifikation bereits einen Fortschritt. In Wirklichkeit ist es nicht weiter als eine reine Verlegenheitstat Berliner Koalition.
Unzeitgemäßer Unsinn
Tatsächlich mindert die Reduzierung der Dienstzeit das Problem des Zwangsdienstes so gut wie gar nicht. Denn dieses halbe Jahr Lebenszeit ist für unzählige junge Männer noch zu viel, weil es an der Realität vorbei geht. Wer heute eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und im Anschluss daran einen Arbeitsplatz erhalten hat, der hat gewiss andere Sorgen, als ein paar Monate Krieg zu spielen. Und nicht nur die jungen Männer, sondern auch deren Arbeitgeber, vor allem, wenn es sich um kleine Firmen handelt, können es sich kaum leisten, ein halbes Jahr auf qualifiziertes Personal zu verzichten. Nicht selten sind Mitarbeiter während der Ausbildung bereits in verantwortungsvolle Tätigkeiten und betrieblichen Strukturen hineingewachsen und deshalb nicht ohne Nachteile für den jeweiligen Betrieb - etwa durch Leiharbeiter - zu ersetzen.
Und was für das Gebiet des zivilen Berufslebens stimmt, das betrifft auch die Bundeswehr. Was, so fragt sich der gesunde Menschenverstand sollen die jungen, Männer in sechs Monaten vom militärischen „Handwerk“ lernen? Die Zeiten, da der Soldat sich Mann gegen Mann und mit einem gewöhnlichen Gewehr auf dem Feld bewähren musste, sind doch schon lange Geschichte. Die modernen Waffensysteme verlangen vielmehr gut ausgebildete, hoch motivierte und auch vernünftig bezahlte Militärs.
Woher aber soll die Motivation der Wehrpflichtigen kommen, sich von Vorgesetzten, die nicht selten nur aufgrund ihres Dienstgrades etwas „Höheres“ darstellen, in den Dreck oder über den Exerzierplatz jagen zu lassen? Vom Verlust des geregelten Monatseinkommens und der Einschränkung persönlicher Freiheiten kommt die Begeisterung auf jeden Fall nicht. Nicht zuletzt fallen die Männer, die aus ihrem beruflichen Leben gerissen werden, dem Steuerzahler doppelt zur Last, da sie zum Einen sechs Monate keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen und zum Zweiten aus dem klammen Staatshaushalt einen recht bescheidenen Sold beziehen. Einzige legale Alternative ist der Zivildienst, der ebenfalls in der Kritik steht, da die Kriegsdienstverweigerer häufig als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. Wo also soll der Nutzen des Ganzen liegen? Das in den sechs Monaten gelernte verblasst sehr schnell und der Soldat a.D. wird im Regelfall den Rest seines Lebens nie wieder etwas mit der Armee zu tun haben und wenn doch, hat sich das Militärwesen derart weiterentwickelt, dass er buchstäblich wie die Kuh vor'm neuen Tor steht.
Bessere Lösungen
Angesichts dieser Tatsachen und Umfragen zu Folge müsste es den Verantwortlichen doch leicht fallen, mit dem Umbau der Bundeswehr zur Berufsarmee schnellstens zu beginnen. Die Einsatzgebiete der der deutschen Streitkräfte sind seit Jahren so geartet, dass eine verkleinerte und effektiv aufgestellte Truppe die beste Lösung wäre. Den Einwand, dass dafür eine Grundgesetzänderung nötig sei, kann man nicht gelten lassen. Denn die Wehrpflicht vorher nur auszusetzen, das ginge auch mit einem ganz normalen Gesetz. Außerdem ist eine Verfassung, die über ein halbes Jahrhundert alt ist und unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges geschrieben wurde, keine heilige Kuh. Man muss diese auch nicht komplett umschreiben, doch sie sollte viel mehr als bisher auf den Prüfstand und dann modifiziert werden. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Wehrpflicht
Was in Schweden oder anderswo geht, muss doch auch in Deutschland möglich sein.
Eine Gesellschaft, die einen Teil ihrer Bevölkerung, denn es betrifft nur männliche Bundesbürger, zu Zwangsdiensten – dazu gehört auch der Zivildienst - heran zieht und bei Weigerung des Antrittes diesen mit Polizeigewalt durchsetzt, ist alles andere als human und gerecht. Ferner hat das ganze kaum etwas Zeitgemäßes an sich.
Ansatzweise hat man das in Deutschland nun begriffen. Doch die Reformer sind noch in der Minderheit und werden von den konservativen Kräften mit hohlen Worten aber kräftig nieder gehalten. Die Wehrpflicht gehört ausgemustert, denn sie ist ein krankes Geschwür, das quasi scheintot - nur noch erhalten von einem „politischen Apparatemedizin“ - dahin vegetiert,. Die meisten Argumente, die für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht angebracht werden sind schlichtweg nur scheinheilig.
Apropos Scheinheilig!
Die meisten Widersacher einer Berufsarmee findet man im christlich-konservativen Lager. Wie das das Leben so spielt. Oder welch ein Zufall.
Thomas Häntsch